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Çay und Baklava in FfM und Hamburg

Sohbet („Pläuschchen“), ein Glas heißer Tee und knusprige Baklava: Für viele klingt das nach einem netten Abend zu Hause, mit Freunden oder Familie – vergangene Woche aber hat dieser Anlass an der Uni Hamburg aber 150 türkeistämmige Studierenden zusammengebracht. Hier ein Erlebnisbericht der DIDF-Jugend aus Frankfurt und Hamburg.

Mit 1.000 Flyern haben wir als DIDF-Jugend zu unserem Çay und Baklava Abend eingeladen, sind die Tage davor durch die Mensa von Tisch zu Tisch und haben Videos gedreht und unsere Freunde angehauen. Sogar jedes einzelne Bad am Campus wurde mit Plakaten zugeklebt und in der Bibliothek haben wir im Flüsterton geworben. Warum das Ganze? Ganz einfach, weil uns solche Gelegenheiten fehlen und weil wir sie uns deshalb selbst schaffen müssen!

Als Studierende mit Wurzeln in der Türkei ist man schon relativ früh im Studium mit dem Gefühl konfrontiert, sich zu fragen, ob man überhaupt auf den Campus gehört. Auf der einen Seite hören wir die Stimmen unserer Eltern im Kopf, die überall stolz rumerzählen, dass ihr Kind studiert. Auf der anderen Seite ertappen wir uns immer wieder dabei, wie wir versuchen, extra krasses Deutsch mit unseren Dozenten und Kommilitonen zu sprechen.

Für Kinder aus Arbeiterfamilien ist der Zugang zur Bildung immer noch erschwert. Das zeigt sich bereits in den im Vergleich zu Kindern von Akademikern seltener ausgesprochenen Gymnasialempfehlungen. Wenn wir es dann, meistens durch deutlich mehr Anstrengung, zum Studium schaffen, stehen wir vor weiteren Hürden: Man ist die erste Person der Familie die studiert, Bafög reicht nicht aus, man muss nebenbei arbeiten, versucht mit dem Druck klar zu kommen und schnell fertig zu werden, um endlich genug Geld zu verdienen, um die Familie zu unterstützen oder ihr zumindest nicht zur Last zu fallen.

Diese Gefühle und Gedanken hat wahrscheinlich jeder Einzelne von uns und dann kann ein einfacher Çayabend manchmal ausreichen, um zu sehen, dass wir eben nicht allein damit sind. Die Frage: „Warum bist du heute Abend gekommen“ haben sehr viele damit beantwortet, dass sie das Gefühl hatten „ich werde gerade angesprochen, genau „ich“ mit meinen Wurzeln, meiner Sprache(n). Wir alle wünschen uns Menschen, mit denen wir uns über unsere Erfahrungen austauschen können, mit denen wir am Campus eine gute Zeit verbringen können und mit denen wir vor allem auch etwas an unserem Studi-Leben verändern können. Und genau daran haben wir mit unserem Çay und Baklava-Abend angeknüpft, ganz nach dem Motto „tatlı yiyelim, tatlı konuşalım” (zu Deutsch: Süßes essen, entspannt quatschen). Denn es geht nicht nur darum, über unsere Probleme und Ängste zu sprechen, sondern auch gemeinsam zu schauen, wie man diese angehen kann.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen abstrakt, aber es hat sich bereits in mehreren Orten erwiesen: Wir kommen zusammen, quatschen, lesen gemeinsam aus unserer Zeitschrift Junge Stimme, diskutieren über Alltagsrassismus am Campus, darüber, was wir uns wünschen, worauf wir hinarbeiten wollen – und dann planen wir gemeinsam das nächste Treffen. Haben in Frankfurt beim ersten Çayabend vier Leute Flyer verteilt, sind es für den 3. bereits zehn. Haben wir vor dem Treffen in Hamburg zu dritt den Raum vorbereitet, räumen wir ihn am Ende mit 30 neuen motivierten Gesichtern zusammen auf und träumen dabei davon, in paar Wochen dann eine Halay Night zu planen. Und ja, wir treffen uns zwar entspannt auf ein Çay, aber gerade in dem Format schaffen wir es, mit Mitstudierenden über die Wehrpflicht zu diskutieren, die vielleicht selber überlegen, ob ein Studium an der Bundeswehr-Uni einfacher sein würde. Oder wir sprechen mit Sitznachbarn aus unserer Vorlesung über Palästina, die sich vielleicht aus Sorge vor Repression noch nicht auf eine Demo getraut haben.

Als DIDF-Jugend haben wir in den letzten Wochen mit unseren Çay und Baklava Abenden noch einmal gesehen, dass es eine türkeistämmige Organisation wie uns braucht – von unseren Stadtteilen bis zu unserem Campus. Und wir haben vor allem gesehen, wie viele motivierte Mitstudierende wir haben, die eigentlich nur darauf gewartet haben, dass wir uns gemeinsam Räume öffnen und unsere Uni auch nach unserer Vorstellung selbst gestalten und organisieren. Also, lass uns auch in deiner Stadt ein Çaydanlik an die Uni schleppen, den leckersten Baklava der Stadt kaufen und gemeinsam einen tollen Abend planen!

Dieser Artikel erschien zuerst auf junglaut.de

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