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CO2-Steuer schürt nur eine Utopie

Oktay Demirel

Der Klimawandel wird spürbar, auch in Europa. Radikale Maßnahmen müssen getroffen werden, um die Vernichtung von Lebensraum, Umwelt und Mensch zu verhindern. Da sind sich viele einig. Aber wie sollen diese Maßnahmen aussehen? Von den Grünen in den Ring geworfen, debattiert die GroKo über eine mögliche CO2-Steuer auf Heizöl, Diesel und Benzin. Aber wird eine Steuer tatsächlich zu einer Verringerung des CO2-Ausstoßes führen? Wie wird sie sich auf die Menschen auswirken? Wird sie sozial sein oder doch die ärmeren Menschen belasten?

Spätestens seit Fridays for Future (FFF) ist die CO2-Steuer so populär geworden wie noch nie. Und das sollte nun jeden kritischen Menschen stutzig machen. Erst recht, wenn sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie und auch die sogenannten „Wirtschaftsweisen“, die neoliberalen Berater der Bundesregierung, sich hinter die Einführung einer CO2-Steuer stellen, dann sollte man davon ausgehen, dass diese andere Interessen verfolgen, als sie vorgeben. Diese „Mode-Steuer“ wird sogar in den USA prominent gefordert: Über 3500 Ökonomen, darunter frühere Notenbank-Chefs, Nobelpreisträger und sogar ehemalige Finanzminister erklärten, das wirksamste Mittel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen sei ein hoher CO2-Preis. Wenn so viele Wirtschaftsvertreter sich für eine Sache begeistern und wie die Aasgeier in der Luft kreisen, dann sollte das gemeine Volk sich schnell in Sicherheit bringen!

Einige Zahlen und Rechnungen zum Hintergrund

In der Atmosphäre befinden sich etwa 3000 Gigatonnen (Gt) CO2. Natürliche Abweichungen können nicht alle gemessen werden. So ist in der Nähe von Vulkanen eine andere Konzentration möglich, als in der Wüste. Jährlich emittieren Mensch und Natur zusammen rund 465 Gt CO2. 96% dieses CO2 ist „natürliches“ und 4% „menschengemachtes“ CO2. Diese 4% entsprechen ca. 25 Gt aber das jährlich. Da die Natur unter normalen Bedingungen rund 440 Gt wieder absorbiert, d.h. aufnimmt und zu Blatt, Holz oder Frucht verarbeitet und zusätzlich sogar noch ca. 13 Gt vom menschengemachten CO2 in den Ozeanen und der Biosphäre gebunden werden, verbleiben jährlich ca. 12 Gt überschüssiges CO2 in der Atmosphäre, die sich aufsummieren. Hierbei muss man noch betonen: Tendenz steigend, wenn man berücksichtigt, dass Gletscher und Eiskappen der Pole schmelzen und Millionen von Hektar Wälder (siehe aktuell in Brasilien) abgefackelt werden, um Weideflächen und Tierfutter zu produzieren.

Wenn jährlich 12 Gt hinzukommen, entspricht das einer jährlichen CO2-Steigerung von etwa 0,4 %. Der Anteil Deutschlands an der weltweiten CO2-Emission beträgt ca. 2,36 %. Somit beträgt der jährliche Anteil Deutschlands am Gesamt-CO2-Überschuss 0,288 Gt. Das hört sich wenig an, bleibt aber trotzdem zusätzlich in der Luft! Wenn man davon ausgeht, dass die Angaben stimmen und um das Jahr 1850 der CO2-Gehalt in er Atmosphäre bei 0,028 % lag und heute bei 0,040 % ist, dann sind derzeit rund 70 % des CO2 natürlich und 30 % des CO2 stammen aus der Verbrennung fossiler Energieträger seit der Industrialisierung, davon etwa 1 % aus Deutschland. Hört sich nicht mehr so wenig an und Tatsache bleibt, dass bereits geringe Veränderungen der Luftkonzentrationen zu enormen Veränderungen von Lebensräumen für Pflanzen und Tiere führen und niemand kann leugnen, dass Naturveränderungen und das Artensterben in den letzten Jahren massiv zugenommen haben. Aktuell sind es die deutschen Wälder, die von Dürren und Hitze stark betroffen sind.

Die Liste der größten CO2-Produzenten führt übrigens China (28,03 %) an. Danach folgen die USA (15,9 %), Indien (5,81 %), Russland (4,79 %) und Japan (3,84 %). Auf Platz 6 folgt Deutschland mit 2,36 %. So verursachen die 10 Prozent der Weltbevölkerung, die am meisten emittieren, 45 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen, während die 50 Prozent, die am wenigsten emittieren, nur für 13 Prozent verantwortlich sind. Aber der Natur ist es egal, woher der CO2-Überschuss stammt. Wichtig ist, dass fossile, in der Erde gebundene Kohlenstoffverbindungen zusätzlich wieder in die Luft abgegeben werden, ohne kompensiert werden zu können.

Wer produziert CO2?

Schauen wir uns die CO2-Hauptverursacher in Deutschland an, wird deutlich, woher diese CO2-Emissionen wirklich stammen. Erst wenn diese Fakten klar werden, kann man richtige Schlussfolgerungen und politische Konsequenzen ziehen.

Fast die Hälfte der energiebedingten Treibhausgas-Emissionen in Deutschland ist die Energiewirtschaft selbst, also die öffentliche Strom- und Wärmeerzeugung, Raffinerien sowie Erzeuger von Festbrennstoffen wie Kohle. Danach folgen Verkehr mit ungefähren Anteilen von 20 %, Industrie 15 % (davon 7,3 % Landwirtschaft), private Haushalte 10 % und der Handels- und Dienstleistungssektor mit 5 %. Die energiebedingten Emissionen machen insgesamt 85 % der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland aus. Einkommensschwächere sind meist ungleich mehr Umweltbelastungen und den Folgen des Klimawandels ausgesetzt, als Einkommensstarke. Verursacht haben sie diese Belastungen aber zu einem weit geringeren Teil als Gutverdienende.

Der Einfluss des Einkommens ist in Deutschland besonders groß: Untere Einkommensgruppen haben im Mittel einen Gesamtenergieverbrauch von rund 10.000 kWh/Jahr, bei hohen Einkommensgruppen liegt er mit knapp 20.000 kWh/Jahr fast doppelt so hoch. Das ist weniger überraschend, da Angehörige gehobener Milieus in der Regel über überdurchschnittlich hohe Einkommen verfügen und einen auf Status und Besitz ausgerichteten Lebensstil haben gemäß dem Motto „meine Villa, meine Jacht, mein Sportwagen“. Bemerkenswert sind auch die Unterschiede im Pro-Kopf-Gesamtenergieverbrauch zwischen den Regionen in Deutschland. Dieser nimmt vom Norden über die Mitte nach Süden zu und ist im Westen deutlich höher als im Osten.

Was ist diese CO2-Steuer?

56 Staaten haben bisher Varianten einer CO2-Steuer eingeführt oder deren Einführung vorgesehen. Diese Varianten basieren auf der Idee, den Markt gezielt als Steuerungsinstrument einzusetzen, um das Klima zu „schützen“. Der Preis einer Tonne CO2 soll staatlich festgelegt werden und dann soll der Markt „alles regeln“: Unternehmen würden dann klimafreundlicher produzieren und Verbraucher dementsprechend konsumieren. Uneinigkeit (zumindest in Deutschland) existiert darüber, welche Höhe der Preis für eine Tonne CO2 betragen und ob es eine sogenannte Klimaprämie (sozialer Ausgleich) geben soll. In Deutschland fordern die Grünen die CO2-Steuer bereits, die Linke ist auch dafür und die GroKo hat sich auch schon fast geeinigt. Die einzige noch auszuhandelnde Variable scheint die Höhe zu sein: 80, 100 oder wie FFF fordert sogar 180 Euro pro Tonne ausgestoßenem CO2? Es liegt jetzt schon auf der Hand, dass Industrie und Konzerne die Mehrkosten auf den Verbraucher abwälzen werden. Am Ende wird Umweltschutz somit privatisiert. Wer sich klimafreundlicher verhält, etwa durch ein E-Auto oder ein optimal gedämmtes Haus, macht am Ende noch Plus, während Geringverdiener selten das nötige Kleingeld für energieeffiziente Fahrzeuge oder Häuser besitzen… Zusätzlich wird diese CO2-Steuer die wohlhabende Stadtbevölkerung entlasten, während Geringverdiener und Landbevölkerung darunter leiden werden.

Konzerne bleiben unberührt

Die Hauptverursacher von CO2 bleiben unberührt. Es wird schnell deutlich: Um die Konzerne zu einer klimagerechten Politik zu zwingen, gibt es keine schlechtere Antwort als die CO2-Steuer. Die OECD veröffentlichte Statistiken, die einen guten Überblick auf die Treibhausgasemissionen einiger Länder geben, die eine CO2-Steuer bereits haben. Als Musterländer gelten Frankreich (51 Dollar / Einführung 2014), die Schweiz (96 Dollar/2008), Schweden (129 Dollar/1991), Finnland (71 Dollar/1990) und die kanadische Provinz Britisch-Kolumbien (40 Dollar/2008). Im Vergleich zu 1990 konnten alle diese Länder ihre Treibhausgasemissionen senken, aber auch viele Länder, in denen es keine CO2-Steuer gibt, konnten in diesem Zeitraum eine Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen erreichen. Somit ist dieser Zeitraum keine gute Referenz, um richtige Schlussfolgerungen zu ziehen. Gründe für die Senkung der Treibhausgase gibt es genug: technische Innovationen in Verkehr und Landwirtschaft oder Dienstleistung statt Industrialisierung vor allem in Europa können als Beispiele geführt werden. Interessant wird es, wenn man sich die aktuellsten Daten aus den Jahren 2015 und 2016 anschaut: In Finnland, Frankreich, der Schweiz und Britisch-Kolumbien stiegen die Treibhausgasemissionen. Nur Schweden konnte sie in diesem Zeitraum von 53,8 Millionen Tonnen (2015) auf 52,9 Millionen Tonnen (2016) reduzieren. Der wichtigste Grund für das Nicht-Greifen der Steuer: Um den internationalen Wettbewerb eigener Konzerne zu gewährleisten, führten die Staaten viel zu viele Ausnahmeregelungen und Subventionen für Industrie und Konzerne ein und die Verteilung der höheren Abgaben verschob sich von Konzernkonten hin zu Privathaushalten.

Irgendwie nicht sonderlich verwunderlich, oder? Die Klimakrise hat einen Preis und es geht um die Frage, wer ihn bezahlen soll. De facto wird nur ein kleiner finanzieller Ausgleich zwischen denjenigen geschaffen, die viel CO2 produzieren, hin zu denen, die wenig CO2 produzieren. Reiche werden entlastet, während Arme blechen sollen. Die großen (Energie-)Konzerne, die den größten Anteil an der Klimakrise tragen, bleiben verschont. Die kapitalistische Logik des Profits wird beibehalten. Und somit hat der Kern des internationalen Problems weiterhin Bestand: Das System, das auf Ausbeutung von Mensch und Natur aufgebaut ist, bleibt unangetastet. All diejenigen, die eine CO2-Steuer befürworten, wollen die Klimakrise im Kapitalismus lösen. Arbeitgebervereine, oder Konzerne haben die Politik fest im Griff und werden nichts beschließen, was den Konzernen schaden würde, koste, was es wolle. Die Logik der CO2-Steuer ist faul von der Wurzel bis zur Spitze. „Der Markt“, der der Menschheit diese Krise bescherte, kann sie jetzt von ihr bestimmt nicht befreien! Die Idee einer CO2-Steuer beruht auf der Annahme, dass Anreize geschaffen werden müssen, um Unternehmen anzuspornen, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln, ressourcenschonend zu wirtschaften, Emissionen zu vermeiden. Aber was hielt sie denn bisher davon ab? Genau: Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit sind eher Lasten, wenn sie keinen Profit bringen und wenn etwas dem Profitwillen im Wege steht, wird es vom Kapital abgelehnt. Aber mit FFF entstand eine starke Jugend- und Umweltbewegung, die die Gesellschaft für Umweltschutz sensibilisierte, so dass Lobbyisten eine CO2-Steuer über die Grünen in den Ring warfen, einfach ein Täuschungsmanöver mit vorgeschobenem Umweltschutz. Dabei hat diese Steuer nur den Sinn, die Kosten für Umweltschutz von den Konzernen nach unten weiterzuleiten und am Ende die Armen für deren Profitgier zahlen zu lassen. Was die CO2-Steuer bewirken wird, ist nicht die Welt zu retten, sondern lediglich einen bereits stattfindenden Strukturwandel der kapitalistischen Wirtschaft klimapolitisch umzusetzen. Wir befinden uns in einer Stufe des kapitalistischen Systems, in der alte Lebensweisen lediglich durch neue ersetzt werden sollen. Was wir derzeit erleben, ist nur die Eichung der Produktion auf die Anforderungen der Zukunft. Veraltete Konzerne und Produktionsweisen sollen den Weg frei machen für die Technologien und Industrien der Zukunft. Und dabei so wenig wie möglich an Marktanteilen verlieren.

Individualisierung des Klimaschutzes

Die CO2-Steuer stellt die Verantwortung des Individuums ins Zentrum, anstatt die Wirtschaft und Gesellschaft zur Verantwortung zu ziehen. Es ist nicht das Konsumverhalten von Einzelnen, welches das Klima ruiniert, sondern die Produktionsverhältnisse der Marktwirtschaft und die Profitgier der Großkonzerne. Zu den Hauptverursachern der energiebedingten Treibhausgasemissionen gehören die mächtigen Öl- und Kohlekonzerne der Welt, die alles dafür tun, dass der Kapitalismus am Laufen bleibt. Die CO2-Steuer bleibt eine Konsumsteuer. Konzerne finden hier immer Mittel und Wege, sich Schlupflöcher zu organisieren. Letztendlich müssen die Lohnabhängigen zahlen, erstens durch geringe Löhne und zweitens durch höhere Steuern oder Preise.

Alternativen zur CO2-Steuer

Bereits die Ökosteuer hatte eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt. Während Gut- und Besserverdiener von ihr profitierten, wuchs die Klasse der Verlierer durch die Ökosteuer unter den Geringverdienern. Subventionierte Solaranlagen, wärmegedämmte Eigentumshäuser oder finanzierte E-Autos konnten sich lediglich die Besserverdiener leisten. Genauso verhielt es sich mit dem Emissionshandel: Konzerne konnten subventionierte Zertifikate für wenige Euro kaufen und die Kosten hierfür auf den Steuerzahler abwälzen, während zusätzlich mit der Agenda 2010 Löhne gedrückt und prekäre Arbeitsverhältnisse etabliert wurden. Die CO2-Steuer soll sich nun hier einreihen. Sie weckt die Illusion, dass sich Profitstreben und Umweltschutz miteinander vereinbaren ließen. Doch um maximalen Profit zu erwirtschaften muss ein Konzern die Produktivität steigern, während parallel dazu Energie-, Rohstoff- und Lohnkosten gedrückt werden sollen. Und die CO2-Steuer soll den Konzernen dienen, die Energiekosten zu drücken oder nach unten hin abzuwälzen. Was wir hier erleben ist purer und brutaler Klassenkampf. Die kapitalistische Produktionsweise zerstört die Lebensgrundlage von Mensch und Umwelt, sie ist selbst die Ursache für die drohende Klimakatastrophe und wird selbst als Lösung angeboten. Die CO2-Steuer lenkt von den wahren Ursachen der drohenden Klimakatastrophe ab.

Die Pläne für eine CO2-Steuer werden der dramatischen Lage überhaupt nicht gerecht. Wer die Treibhausgasemissionen in Deutschland und weltweit schnell und wirksam senken will, muss die Energieproduktion radikal verändern, also nicht erst 2038 von der Kohle aussteigen, sondern umgehend! Ebenfalls müssen Konzerne, insbesondere Energiekonzerne umgehend zur Kasse gebeten werden. Der Staat muss den öffentlichen Personen- und Nahverkehr kostenlos und flächendeckend einführen, ihn auch im ländlichen Raum massiv ausbauen, klimagerechten und sozialen Wohnungsbau organisieren und bestehende Gebäude umrüsten, die Abholzung von Wäldern umgehend stoppen, in große Aufforstungen investieren und sich verpflichten, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen. Ebenfalls müssen internationale Schritte unternommen werden, damit andere Länder nachziehen sowie die Abholzung von Wäldern international verbieten.

Auch ist es dringend nötig, insbesondere die Energiewirtschaft zu enteignen und zu vergesellschaften. Genau wie die medizinische Versorgung und Bildung, Nahrung und Wohnen darf auch die energetische Versorgung keine Ware sein. Sie muss in den Dienst eines jeden Menschen gestellt werden. Eine ökologische-nachhaltige Wirtschaft darf keine kapitalistische Prägung haben, sondern muss demokratisch geplant und umwelt- und menschengerecht sein.

Auf die heilende Kraft des Marktes zu hoffen ist nicht nur naiv, sondern auch total weltfremd! Es ist völlig utopisch, über die Regulierung des Konsums zum Ziel gelangen zu wollen. Die Menschen machen die Regeln, nach denen sie leben wollen.

Utopisch ist vielmehr zu glauben, dass eine CO2-Steuer im Dienste der Umwelt und der Menschen sei und vielleicht sogar genügen würde, um die Klimakatastrophe zu verhindern.

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