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Tempolimit für das Regenwasser!

Aslı Gürhan

Direkt zu Beginn des Jahres wurden weite Teile Deutschlands mit Starkregen und Hochwasserständen mit den höchsten Meldestufen begrüßt. Besonders betroffen sind die Regionen rund um die Flüsse mit den Seitenflüssen auf dem Land.

Der Klimawandel ist ein globales Problem und macht keinen Halt vor Ländergrenzen. Längst sind Extremwetterlagen keine Besonderheit mehr, seien es Tsunamis im Pazifik, das Waldbrennen in Australien oder das Schmelzen der Polarkappen. Der Klimawandel schreitet weiter voran und macht dabei auch keinen Halt mehr vor Deutschland. Die Opfer der Klimakrise sind auch hier die einfachen Leute.

Krisen- und Katastrophenmanagement in Deutschland

Während wir in den Sommermonaten mit Dürreperioden kämpfen und teilweise sogar von Grundwasserknappheit sprechen, erleben wir gleichzeitig Starkregen, mit Überschwemmungen in den Herbst und Wintermonaten. Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt sollte aber mit ein paar Überschwemmungen zurechtkommen, oder? Über 180 Menschen ließen im Sommer 2021 bei der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz ihr Leben. Es war einer der größten Tragödien in der Geschichte der Bundesrepublik.

Beispielhaft für diese Tragik ist der Fall in Sinzig wo 250m von der Ahr entfernt die Lebenshilfe rund 38 Menschen mit Behinderung behauste. Dort kam jede Hilfe zu spät, weswegen 12 Bewohner:innen des Heims im Erdgeschoss ertranken. Während die hilfsbedürftigen Menschen um ihr Leben ringen, kümmerte sich der rheinland-pfälzische Landratsvorsitzende nicht um Evakuierungsmaßnahmen, sondern um die Evakuierung seines Porsches. Dabei hat der Landrat die Befugnis einen Notstand auszurufen und Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Jürgen Pföhler wegen fahrlässiger Tötung in 134 Fällen. Nichtsdestotrotz bleibt es Staatsaufgabe, Katastrophen präventiv vorzubeugen, vor allem wenn das Umweltbundesamt vor genau dieser Katastrophe lange im Voraus warnt. Gleichzeitig muss er umweltklimatische Anpassungen vornehmen. Gerade im Moment der Katastrophe haben sich viele Politiker:innen in der Presse mit den Betroffenen solidarisiert. Bspw. der Bundespräsident und der jetzige Bundeskanzler versprachen die Menschen im Ahrtal nicht zu vergessen. Nach fast zwei Jahren ist von einem nachhaltigen Wiederaufbau keine Spur. Von 15 Milliarden für den Wiederaufbau im Ahrtal wurden (Stand 3/2023) lediglich 5 % genutzt. Grund dafür ist der Bürokratiedschungel. Diejenigen, die ihre kompletten Existenzen verloren haben, müssen für jede Rechnung erst Geld vorstrecken.

Ein Interesse am Wiederaufbau scheint es Seiten des Staates nicht zu geben. Stattdessen sollen sich die Länder um die Folgen der Naturkatastrophe kümmern. Dabei braucht es dringlich Expertise, um klimatische Anpassungen beim Wiederaufbau zu berücksichtigen. Diese Misere offenbart lediglich noch einmal den miserablen Haushaltsplan: rund 550 Millionen Euro sind 2024 für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz vorgesehen. Wetter- und Klimaexpert:innen rechnen damit, dass sich solche Ereignisse wie 2021 häufen werden. Das Thema ist entsprechend also nicht nur im globalen Kontext als Fluchtursache enorm wichtig, sondern gerade für Menschen, die in unmittelbarer Nähe von Flüssen zuhause sind zu einem Überlebens- und Existenzkampf geworden. Ähnliche Flutungen gab es bereits 2002 und 2013. Abgesehen von höheren Deichen und der Verstärkung von Staudämmen hat Deutschland kaum klimatische Anpassungen vorgenommen.

Wie müsste der Katastrophenschutz aussehen?

Durch den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre steigen die Durchschnittstemperaturen an. Warme Luft kann viel mehr Wasser aufnehmen, weswegen die Niederschlagsmengen größer werden. Gleichzeitig nimmt die atmosphärische Zirkulation ab, was dazu führt, dass Regen nicht weiterzieht und somit in regional begrenzten Gebieten überproportional viel Regen fällt. Das heißt, wir müssten viel intensiver in den Naturschutz investieren:

Der Auenverlust ist gleichzeitig auch der Verlust von natürlichen Überschwemmungsgebieten. 80% der natürlichen Überflutungsflächen an den großen Flüssen sind bereits verlorengegangen.

Außerdem führen Flussbegradigungen dazu, dass der Wasserkreislauf Richtung Meer rast. Im Rhein braucht eine Hochwasserwelle 30 Stunden von Basel nach Karlsruhe, 1955 brauchte sie noch 65 Stunden. Durch die Beschleunigung des Wasserkreislaufes, wird das Wasser der Landschaft entzogen. Die Versiegelung des Bodens vermindert die Fähigkeit, Wasser zu halten und Extreme abzufedern. Täglich werden 100 Hektar Fläche in Deutschland versiegelt. Dadurch fließt das Regenwasser viel schneller ab und kann nicht im Boden versickern. Stattdessen landet es in der Kanalisation und wertvolles Grundwasser geht verloren.

Die Leidtragenden sind die Menschen, deren Keller überflutet werden, deren Häuser einstürzen oder wie 2021 sterben. Auch die Bauern, deren Felder als Überschwemmungsbecken herhalten müssen und unbrauchbar für Vieh und Ernte werden, leiden unter den Folgen. Wenn wir tatsächlich präventiv etwas gegen die Tragödien unternehmen wollten, müssten Deiche zurückverlegt und Auen renaturiert werden. Dann müsste der Abfluss verstetigt und der Wasserrückhalt verbessert werden. Wir sollten auch aufhören Überschwemmungsgebiete zu versiegeln und stattdessen diese Gebiete aufforsten.

Und wer kommt zur Hilfe, wenn die nächste Flut kommt?

Wer rettet uns, wenn es brennt? Unsere Feuerwehrleute! Ähnlich wie in vielen anderen Branchen, kämpfen Feuerwehren vielerorts mit enormen Personalmangel. Jedoch bleibt eine Sache besonders im Katastrophenschutz: sie baut nämlich auf Freiwilligkeit. Neben 110 Berufsfeuerwehren, stehen 22.000 Freiwillige Feuerwehren (Stand 2020). Erst ab 100.000 Einwohner:innen sieht der Gesetzgeber eine Feuerwehr mit hauptamtlichen Kräften in den Städten und Gemeinden vor. Die freiwilligen Feuerwehrleute betreiben diesen Dienst für ihre Mitmenschen und bekommen dafür kein Geld. Damit spart der Staat viel Geld. Ein Krankenhaus voller freiwilliger Krankenpfleger:innen mag man sich kaum vorstellen. Hinzu kommt, dass viele Geräte, die für einen Einsatz notwendig sind, immer mehr im Besitz der Bundeswehr sind.

Fazit?

Die aktuellen Hochwasserstände, sind lediglich die Vorboten für das, was uns bevorsteht. Extremwetterereignisse werden sich häufen. Bereits jetzt sind die Vorkehrungen für Naturkatastrophen völlig unzureichend und gehen vor allem zulasten von denjenigen, die in unserer Gesellschaft den Kürzeren ziehen. Das vorgesehene Budget für den Katastrophenschutz der Ampelregierung ist nicht nur unzureichend, sondern auch völlig realitätsfern. Wir werden mit höheren Deichen und Staudämmen die Menschen nicht vor weiteren Naturkatastrophen schützen können. Es braucht viel mehr Naturschutzmaßnahmen. Stattdessen werden die Menschen insbesondere auf dem Land alleine gelassen, die die Fluten, Überschwemmungen und Dürreperioden als erstes zu spüren bekommen. Dieses verantwortungslose Handeln stößt gerade die Menschen vom Land in die Arme von rechten Parteien und ist ein Hohn gegenüber den vielen Freiwilligen.

Wenn den Regierenden tatsächlich etwas an den Menschen und der Natur läge, müsste das Tempolimit des Regenwassers deutlich verringert werden. Auch wenn wir den globalen Klimawandel nicht aufhalten können, können wir Wasserkreisläufe hier verändern. Das bedeutet eben auch behutsamer mit der Natur umzugehen, zugunsten des Menschen. Denn Regenwasser ist nicht unser Feind, sondern lebensnotwendig.

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