2023, ein Jahr geprägt von Krieg, Aufrüstung und rassistischer Hetze, aber auch von sozialen Kämpfen und Widerstand, endet mit einer Tragödie.
Denn am 23. Dezember kommt es im Mannheimer Stadtteil Schönau zu einem erneuten Fall von tödlicher Polizeigewalt. Der Türkeistämmige Ertekin Ö. hat gemeinsam mit seinen drei Kindern bei seiner Mutter gelebt. Das Jugendamt drohte seiner Mutter, die der Vormund für die Kinder ist, die Gelder zu streichen, sollte der Vater der Kinder auch weiterhin dort wohnen. Nach immer weiter andauernden Auseinandersetzungen mit dem Jugendamt, verletzte sich Ö., der psychische Probleme hatte, selbst, rief die Polizei und sagte er habe ein Verbrechen begangen. Die Polizei stellte Ö., der trotz der winterlichen Temperaturen, am Oberkörper nicht bekleidet war und ein Messer in der Hand hatte auf offener Straße. Trotz mehreren Metern Abstand zu den Polizisten wurde viermal auf seinen Brustkorb geschossen – in unmittelbarer Nähe seiner Mutter und kleinen Tochter. Anschließend legten die Polizisten dem bewegungslosen Mann noch Handschellen an. Dort anwesende Bewohner sprachen davon, dass Ertekin Ö. zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr am Leben war.
Im Gespräch mit seiner Familie berichtete Ö.’s Schwester, dass von der Polizei bisher noch niemand mit ihnen gesprochen habe. Am Tatort hätten Beamte sehr aggressiv auf sie reagiert, am Tag darauf seien zwei Polizisten im Mietshaus gewesen. Aus dem Fenster sah sie, wie sie sich unterhielten, auf das Fenster der Familie Ö. zeigten und lachten.
Der Fall von Ertekin ist nicht der einzige, in dem die Mannheimer Polizei mit Schüssen auf psychisch Erkrankte reagiert. Am 2. Mai 2022 erschlugen Beamte den Kroaten A.P., der in psychiatrischer Behandlung war, nachdem er die Klinik ohne ärztliche Erlaubnis verlassen hatte. Der Fall von A.P. hatte große Proteste zur Folge. Der Prozess gegen die beiden Polizisten beginnt im Januar 2024. Ein weiterer Fall von Polizeigewalt, bei dem das Opfer jedoch überlebte, ereignete sich ebenfalls dieses Jahr in Mannheim. Die Quadratestadt ist eine von zwei Städten in Deutschland, in der KI gestützte Kameraüberwachung an einem öffentlichen Platz eingesetzt wird. Das bedeutet, dass hier, zusätzlich zum Baden-Württembergischen Polizeigesetz, die Polizei immer weiter aufgerüstet wird, statt zu deeskalieren. Die Folge sind Beamte, die sich die Freiheit nehmen, auf Menschen zu schießen – wohl ohne Angst vor Konsequenzen. Ertekin hätte mit einem Schuss ins Bein kampfunfähig gemacht und verhaftet werden können. Vier Schüsse in den Oberkörper und dann erst Handschellen anlegen, entspricht nicht einer „demokratischen Polizei“, sondern Polizeigewalt und -willkür! Dieser traurige Fall macht wieder einmal deutlich, dass unabhängige Untersuchungs- und Beschwerdestellen bundesweit dringender notwendig sind, als je zuvor.