Onur Kodas
Auf allen gesellschaftlichen Ebenen werden Migranten mit schwierigen Bedingungen konfrontiert. Sei es nun in der Bildung oder auf dem Ausbildungs- bzw. dem Arbeitsmarkt. Das ist allerdings keine Neuheit! Neu ist jedoch der Umstand, dass Migranten für psychische Erkrankungen viel anfälliger sind, als Einheimische.
Eine Vielzahl von Untersuchungen verschiedener Kliniken und Forschungsinstitutionen haben dieses Ergebnis nun bestätigt. Dabei handele es sich laut den Untersuchungen bei den psychischen Erkrankungen um Depressionen, Psychosen und Suizidalität.
Türkeistämmige besonders betroffen
Eine weitere Auffälligkeit ist die Tatsache, dass besonders türkeistämmige Migranten von diesen Erkrankungen betroffen seien. Insbesondere in den Suizidfällen ist die Statistik besonders allarmierend. Bereits 2004 gab es doppelt so viele Suizidfälle von türkeistämmigen Frauen als wie von Einheimischen. Genaue Zahlen könne man aber nicht vorweisen, da die geführten Statistiken lediglich die Staatsangehörigkeit und nicht die Herkunft erfasse.
Mangelnde Hilfestellung
In Anbetracht dieser misslichen Sachlage ist es erstaunlich, wie wenig Hilfestellung den Betroffenen gegeben wird und wie wenig mediales Interesse dem Ganzen zukommt. Lediglich die Charité in Berlin hatte 2010 eine Initiative ins Leben gerufen. Unter dem Motto „Beende dein Schweigen, nicht dein Leben“ bot sie jungen türkeistämmigen Frauen, die suizidgefährdet waren, einen Telefondienst an. Das Projekt wurde lediglich neun Monate am Leben gehalten und in diesen Monaten wurden 178 Anrufe entgegengenommen und 149 Beratungen und Kriseninterventionen durchgeführt. Die Studienleiterin und Privatdozentin, Dr. Meryam Schouler-Ocak, berichtet, dass rund ein Drittel der Anruferinnen suizidial waren. Auch habe die Initiative gute Erfolge verbuchen können. Denn man habe viele Suizidfälle dadurch verhindern können, sagte Schouler-Ocak. Ferner wurde festgestellt, dass sich die psychischen Erkrankungen nicht nur bei jungen Türkeistämmigen zeigen würden, es seien vielmehr alle Altersgruppen davon betroffen. Eines der größten Probleme sei es, so führte die Studienleiterin aus, die muttersprachliche Versorgungsangebote oder Dolmetscher. Diese seien zum einen sehr selten vorhanden, so dass nur an wenigen Anlaufstellen tatsächlich Hilfe geleistet werden könne. Zum anderen würden Dolmetscher für ihre Tätigkeit gar nicht bezahlt werden. Damit könne eine kontinuierliche Hilfe gar nicht gewährleistet werden. Zu diesen Problemen käme noch die Unwissenheit der Erkrankten hinzu. Denn die Frauen würden oftmals nicht wissen, an wen sie sich wenden könnten, weil sie sich im Gesundheitssystem auch nicht auskennen würden. Psychisch erkrankte Menschen befürchten oftmals, dass sie zu dem auch noch nicht ernst genommen werden und haben daher oft auch damit einhergehend Angst vor Gerede, Stigmatisierung und Diskriminierung und Minderwertigkeitsgefühle.
Die Ursachen
Als Ursachen der Erkrankung werden herkunftsspezifische Probleme genannt, wie durch die Heirat bedingte Migration nach Deutschland, Zwangsheirat, familiäre Probleme, wie Untreue des Ehemannes oder aber ältere Frauen, die als Verliererinnen der Migration einsam und oft arm mit ihrem Schicksal hadern würden.
Fraglich ist in diesem Zusammenhang aber, ob dies nur die einzigen Ursachen für die Erkrankungen sind. „Nein!“, meint der Psychologiestudent aus Bochum, Can Duman. Depressionen seien unter anderem davon abhängig, wie gefestigt die soziale Stellung eines jeden Menschen in der Gesellschaft sei. Daraus folge, dass Menschen, die stets mit Niederlagen und erschwerten Bedingungen zu kämpfen hätten, mehr mit negativen Gefühlen konfrontiert seien. Dies führe auf die Dauer zu Motivationslosigkeit und schlechter Laune und Minderwertigkeitskomplexen. Diese Anzeichen seien wiederum die Einfallstür zu Depressionen. Dies bestätigt auch die US-Neurowissenschaftlerin Pilyoung Kim. Im Interview berichtet sie, dass die Ursachen für psychische Erkrankungen in der sozialen Herkunft des Betroffenen liegen. „Wir haben festgestellt, dass Kinder, die nicht in Armut leben müssen, meist nur einem Stressfaktor ausgesetzt sind, während es bei armen Kindern oft viele zugleich sind. Es zeigt sich, dass multiple Stressfaktoren zu einer höheren Wahrscheinlichkeit führen, später an Depressionen, Angststörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Fettleibigkeit zu erkranken“. Demgemäß lässt sich also festhalten, dass die soziale Herkunft auch in diesen Fällen eine wesentliche Rolle spielt und kein rein Zufallsprodukt eines Familiendramas oder herkunftsbedingt ist.