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Demokratie beginnt mit Bildung

Ein Gespräch mit Maike Finnern

Unter dem Motto „Demokratie beginnt mit Bildung“ fand vom 20. bis 24. Mai 2025 der 30. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) statt. Dort wurden zahlreiche Beschlüsse gefasst. Mit Maike Finnern, Vorsitzende der GEW, haben wir über einige alte und neue Forderungen gesprochen.

Alev Bahadir

Ihr habt kürzlich euren 30. Gewerkschaftstag abgehalten und viele wichtige Forderungen beschlossen. Unter anderem fordert ihr mindestens 130 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen und jährlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung. Das ist doppelt so viel wie aktuell für Militärausgaben diskutiert wird. Dafür fordert ihr unter anderem eine Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftsteuer. Wurden diese Forderungen kontrovers diskutiert – und warum braucht es sie?

Diese Forderungen sind nicht neu. Die 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) stammen ursprünglich aus einer Selbstverpflichtung, die unter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Bildungsgipfel 2008 in Dresden formuliert wurde. Damals haben sich Bund und Länder verpflichtet, ab 2015 diesen Anteil am BIP für Bildung und Forschung auszugeben. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Seit 2015 fehlen schätzungsweise rund 200 Milliarden Euro, die nicht in das Bildungssystem investiert wurden. Deshalb wurde diese Forderung bei uns nicht kritisch diskutiert – sie ist notwendig und absolut sinnvoll.

Was die 130 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen betrifft: Diese Zahl basiert auf einer Berechnung des Dezernats Zukunft aus dem vergangenen Jahr. Insgesamt wurde ein Investitionsbedarf von 600 Milliarden Euro identifiziert, davon 130 Milliarden allein für den Bildungsbereich. Wir haben uns auf diese Berechnungen gestützt. Bereits vor vier Jahren – als das erste Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden beschlossen wurde – haben wir am 1. Mai gefordert: Wenn das für das Militär möglich ist, muss es das auch für Bildung geben. Es kann nicht sein, dass ausschließlich das Militär finanziell ausgestattet wird. Deshalb fordern wir diesen Anteil an einem Sondervermögen für die Bildung.

Langfristig ist aber klar: Dauerhafte Aufgaben wie Bildung lassen sich nicht dauerhaft über Sondervermögen finanzieren. Dafür braucht es höhere staatliche Einnahmen – und das geht über Steuern. Natürlich spielt auch die wirtschaftliche Produktivität eine Rolle, aber gleichzeitig braucht es eine Vermögensteuer, eine höhere Erbschaftsteuer und generell eine gerechte Beteiligung der Reichen an der Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben wie der Bildung. Wenn Normalverdienende im Schnitt 47 Prozent Abgaben zahlen und Superreiche nur 27 Prozent, ist das schlichtweg ungerecht. Daher gibt es in unseren Reihen große Zustimmung zu diesen Forderungen.

Ein großes Thema ist der Fachkräftemangel, auch im Bildungsbereich. Wie kann man eurer Meinung nach Lehr- und Erziehungsberufe attraktiver machen?

Das ist ein riesiges Thema. Im Kita-Bereich fehlen rund 100.000 Erzieher*innen. In den Schulen rechnen wir bis 2030 mit einem Mangel von etwa 80.000 Lehrkräften. Eine große Zahl der heutigen Lehrkräfte wird in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Deshalb ist es entscheidend, die Berufe attraktiver zu gestalten. Für uns ist ganz klar: Das bedeutet, etwas an den Bedingungen zu verbessern.

Die nachrückende Generation ist zahlenmäßig kleiner – wir müssen es also schaffen, mehr junge Menschen für diese Berufe zu begeistern. Das gelingt nur, wenn die Arbeitsbedingungen besser werden. Im Kita-Bereich ist z. B. ein anderer Fachkraft-Kind-Schlüssel mit weniger Kindern je Erzieher*in essenziell – das verbessert unmittelbar die Arbeitsbedingungen.

Bei den Lehrkräften wollen wir beispielsweise, dass die Landesregierungen die Arbeitszeit erheben. Mehrere Studien der GEW haben bereits gezeigt, dass Lehrkräfte viel zu lange arbeiten. Von den Ergebnissen der Arbeitszeiterhebungen versprechen wir uns, dass die Landesregierungen endlich reagieren und die Unterrichtsverpflichtung an die tatsächliche Arbeitszeit anpassen. Denn bis heute werden weder im Schul- noch im Hochschulbereich die tatsächlichen Arbeitszeiten erfasst. Das ist ein Skandal. Denn es gibt seit sechs Jahren ein Urteil, das alle Arbeitgeber*innen dazu verpflichtet. Mit einer Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung würde Platz und Zeit geschaffen, für das, was den Lehrer*innen-Beruf einfach so toll macht: die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Der Zugang zu Bildung hängt stark mit sozialer Herkunft zusammen. Wie kann man breite Bündnisse mit anderen Gewerkschaften, Sozialverbänden oder Vereinen aufbauen, um jedem Kind Bildungschancen zu eröffnen?

Wir brauchen unbedingt starke Bündnisse – denn alleine können wir das nicht durchsetzen. Unser wichtigster Partner ist dabei natürlich der DGB, unser Dachverband, in dem sich 5,7 Millionen Mitglieder organisieren. Der DGB deckt alle Beschäftigtengruppen ab und hat dadurch eine große gesellschaftliche Reichweite. Gerade in der heutigen Zeit kommt dem DGB eine besondere Bedeutung zu. Deshalb müssen wir das Thema Bildung auch innerhalb des DGB gestalten.

Gleichzeitig müssen wir verstärkt mit anderen Akteuren wie Kirchen, Wohlfahrts- und Sozialverbänden zusammenarbeiten. Es gibt viele große Organisationen, die sich für ein chancengleiches Bildungssystem einsetzen – gemeinsam können wir mehr erreichen. Denn die Realität ist: Die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen in Deutschland hängen immer noch zu stark von der finanziellen Situation und der Bildungsnähe der Eltern ab – das zeigen Studien von PISA, der UNO oder der UNESCO immer wieder.

Das ändern wir nur gemeinsam, weil das nicht ohne Widerstände passieren wird. Denn es gibt eine starke Lobby für das dreigliedrige Schulsystem, das aber einer der entscheidenden Faktoren für Chancenungleichheit im Bildungssystem ist. Das bestätigen Forschung und der internationale Vergleich. Nur in Deutschland und Österreich gibt es noch ein dreigliedriges Schulsystem. In anderen Ländern lernen Kinder und Jugendliche gemeinsam bis zur 9. oder 10. Klasse. Das muss auch unser Ziel sein. Aber das ist nichts weniger – das muss man sich klarmachen – als eine Revolution in Deutschland, eine Bildungsrevolution.

Ein großes Thema momentan ist Militarisierung. Die Militarisierung der Gesellschaft macht auch vor Schulen nicht halt. Immer wieder flammen Diskussionen über „Verteidigungsunterricht“ an Schulen auf oder längst gehen Bundeswehrsoldat*innen an Schulen und machen dort Werbung für die Bundeswehr. Habt ihr dahingehend Forderungen und Beschlüsse?

Die haben wir schon lange. Wenn man die Bundeswehr fragt, dann würde sie von sich natürlich immer behaupten, dass sie keine Werbung an Schulen macht. Jeder, der das aber mitbekommt, weiß, dass diese Aussage nicht korrekt ist. Es ist deutlich, dass das immer auch Veranstaltungen sind, in denen Jugendlichen der Zugang zur Armee eröffnet werden soll. Wir haben in Deutschland eine Parlamentsarmee. Ein großes Problem ist jedoch die Rekrutierung Minderjähriger. Jugendliche können sich schon vor dem 18. Lebensjahr bewerben. Das ist etwas, was wir massiv kritisieren. Unsere Position ist seit langem sehr klar: Wir sagen, die Bundeswehr hat in der Schule nichts zu suchen. Natürlich können Schulen Veranstaltungen organisieren, bei denen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen, so wie es der Beutelsbacher Konsens vorsieht. So sollten beispielsweise Vertreter*innen der Bundeswehr und Friedensorganisationen gemeinsam auftreten, damit die unterschiedlichen Positionen deutlich und ausgeleuchtet werden. Aber häufig geht es um einen ungehinderten, alleinigen Zugang der Bundeswehr zu den Schulen. In Bayern sogar auf das Recht auf Zugang. Es gibt aus unserer Sicht überhaupt keine Begründung, warum das notwendig sein sollte, denn das führt tatsächlich zu einer Militarisierung in Schulen. Schule muss jedoch ein militärfreier Raum sein.

Die Forderung nach „Wehrkunde“ oder „Verteidigungserziehung“ ruft bei mir Gänsehaut hervor. Das hatten wir in Deutschland schon einmal, und dahin dürfen wir nicht zurück. Schulen sind Institutionen der Friedensbildung, der Menschenbildung und der Demokratiebildung.

Wie geht es jetzt weiter? Plant ihr besondere Aktionen, um euren Forderungen Nachdruck zu verleihen – etwa Proteste oder andere Formen der öffentlichen Mobilisierung?

Als nächstes steht die große Tarifrunde der Länder an, die im Spätherbst beginnt und Anfang nächsten Jahres beendet sein soll. Ob wir darüber hinaus öffentliche Protestaktionen planen, müssen wir intern noch besprechen – aber warum nicht? Das Thema Bildung muss noch in vielen Köpfen als ein Thema ankommen, das wichtig ist und für das man auch auf eine Demo geht. Daran werden wir arbeiten!

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