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Demokratische Heuchelei

Sevim Dağdelen

Die Verlogenheit der gemeinhin als demokratisch umschriebenen westlichen Welt wurde durch den Aufstand für Würde und Freiheit in Nord-Afrika erneut deutlich. Die Bundesrepublik liefert seit Jahren Waffen und Folterwerkzeuge für dortige Sicherheitskräfte, sie leistet nicht nur Ausbildungshilfe für Folterer, sondern bedient sich dieser zur Erkenntnisgewinnung bei Verhören vermeintlicher Terroristen. Sie entsendet Militär und verbucht deren angebliche zivile Aufbauhilfe als Entwicklungszusammenarbeit. In den Nahen- und Mittleren Osten genehmigte die Bundesregierung allein im Jahr 2009 Exporte für Waffen und sonstige Rüstungsgüter im Wert von rund 1 Milliarde Euro.

Diejenigen, die die Diktatur Hosni Mubaraks und seine Clique dreißig Jahre lang unterstützt haben, haben jetzt ihren Schützling fallen lassen. Dabei hat doch Außenminister Westerwelle noch vor kurzem gesagt, Mubarak sein ein „Mann mit enormer Erfahrung, großer Weisheit und die Zukunft fest im Blick“. Für die Macht der Reichen gehen sie über Leichen! Die Folgen dieser heuchlerischen Politik werden auch in der jüngsten Kriminalisierung der tunesischen Flüchtlinge deutlich, die in überfüllten Booten an den Wohlstandsgrenzen Europas Gleichberechtigung fordern und als einstige Regimeangehörige denunziert werden, anstatt sie als Opfer der heuchlerischen Politik der EU zu verstehen.

Damit das nicht passiert boomen denn auch die Waffenexporte in die arabische Welt. Die Konrad-Adenauer-Stiftung vermutet sogar in dem Umbruch eine neue Chance. In ihrem neusten Thesenpapier zur politischen Zusammenarbeit in Nordafrika träumt sie von Direktinvestitionen und Renten, denn Keine Weltregion hat ein derart hohes Aufkommen

an Renten wie der Nahe Osten (…) Das beste Mittel zur Überwindung der durch Renten

auftretenden Probleme ist die Förderung der Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft“.

So will man auch mit Saudi-Arabien ein Freihandelsabkommen abschließen. Die monarchistischen Diktaturen auf der arabischen Halbinsel, die Frauenrechte jeden Tag mit Füßen treten, garantieren Stabilität für das Kapital in Deutschland und den USA.

Diesem Zweck ist auch die alljährlich stattfindende Münchener Sicherheitskonferenz verpflichtet. Die Teilnehmerliste ließt sich wie ein who-is-who der Kriegstreiber. Der Oberbefehlshaber der NATO für Operation (SACEUR) und Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa Admiral James G. Stavridis beobachtet den demokratischen Umbruch in Nordafrika mit Sorge: „wir sind über die Ereignisse sehr beunruhigt“. Seine Rezepte sind entlarvend. Anstatt die Verarmung der Fischer am Kap Horn, die durch die Überfischung und wirtschaftliche Ausbeutung europäischer Reedereien in die Seeräuberei gezwungen werden, schlägt er eine Lösung des Piraterie-Problems durch eine seebasierte Raketenabwehr vor. Kanzlerin Angela Merkel fällt zum Thema Ägypten nur jene interessengeleitete Wirtschaftpolitik ein, die euphemistisch als „wertegebundene Außenpolitik“ umschrieben wird. Ein Synonym für Rohstoffsicherheit und Energiesicherheit. Es ist kein Zufall, dass der „Verband entwicklungspolitischer deutscher Nichtregierungsorganisationen“ (VENRO). den so verkündeten „grundsätzlichen Politikwechsel“ der Regierungskoalition in der sog. Entwicklungspolitik als ungeschminkte „Wirtschaftsförderung“ beurteilt hatte. Die französische Außenministerin Michele Alliot-Marie beschwört die durch Globalisierung

neu entstandene Verletzbarkeit und Abhängigkeiten des Westens. Im Focus steht nicht die Sicherheit der Geknechteten und Unterdrückten, den wahren Opfern der Globalisierung.

In Ihrer Rechnung tauchen sie nur als ein Posten Unsicherheit für die Europa auf.

Die gegenwärtigen Proteste beweisen, dass auch in den arabischen Staaten der Ruf nach demokratischen Reformen und einer gerechten Wirtschaftsordnung nicht zum Schweigen zu bringen ist. Diese Demokratiebewegungen entlarven die falsche Ausrichtung der europäischen und US-amerikanischen Außenpolitik. Es gilt nun, diese Bewegungen zu Unterstützen und sich mit ihnen zu solidarisieren.

Sevim Dagdelen ist Sprecherin für internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag. Sie nahm aktiv an den Demonstrationen gegen die Münchener Sicherheitskonferenz teil.

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