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Der 8. Mai 1945 bleibt Feiertag des Sieges über die nazistische Barbarei

Aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung von Faschismus und Krieg sprachen wir mit dem Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten, Dr. Ulrich Schneider.

Welche Bedeutung hat der 8. Mai 2025 als 80. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg für die FIR?

Der 8. Mai 1945 war das „Morgenrot der Menschheit“, wie es Peter Gingold, jüdischer Kommunist und deutscher Kämpfer in den Reihen der Résistance und der italienischen Resistenza in seinen Erinnerungen formulierte. An diesem Tag haben alle Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition, die Kämpfer in den militärischen Einheiten der alliierten Streitkräfte, die Partisanen in den vom deutschen Faschismus okkupierten Territorien, die Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Kampf, in der Illegalität, im Exil oder in den Haftstätten, bewiesen, dass die nazistische Bestie durch das gemeinsame Handeln der Völker besiegt werden konnte.

Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht war nur der sichtbare Ausdruck für den heroischen Kampf der Völker für ihre Befreiung, für die hohen Blutopfer, die insbesondere die militärischen Verbände der sowjetischen Streitkräfte beim Vormarsch auf die Reichshauptstadt Berlin erbringen mussten.

Warum muss denn heute immer noch an die Befreiung erinnert werden?

Wir dürfen nicht vergessen, dass es in der alten Bundesrepublik vierzig Jahre gedauert hat, bis zum ersten Mal ein politischer Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland, nämlich der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, in seiner Ansprache im Deutschen Bundestag den 8. Mai 1985 als Tag der Befreiung auch für die deutsche Bevölkerung bezeichnete. Bis dahin sprachen Politiker nur vom „Kriegsende“. Es gab aber noch genügend, die den 8. Mai als „Zusammenbruch“ oder „deutsche Katastrophe“ bezeichneten, so, als sei das Ende des Naziregimes das Schlimme gewesen, was der deutschen Bevölkerung geschehen konnte. Und man darf nicht vergessen, Richard von Weizsäcker würdigte in seiner Ansprache ebenfalls zum ersten Mal den Anteil der Kommunisten am antifaschistischen Widerstand.

Vor einigen Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir diese Position verteidigen müssten. Betrachtet man aber die Debatte um das Gedenken gemeinsam mit allen Teilen den politischen Nachfolgern der alliierten Streitkräfte oder die beginnende Umschreibung von Geschichte, nachdem die Zeitzeugen nicht mehr ihr Veto einlegen können, zeigt sich, dass Erinnerung bis heute ein umkämpftes Feld darstellt.

Woran werden solche Angriffe auf die Erinnerungspolitik deutlich?

Anfang April wurde durch die Medien bekannt, dass das Auswärtige Amt, das selbstverständlich nicht für Kultur- und Erinnerungsarbeit zuständig ist, eine „Handlungsempfehlung“ an Kommunen, Landkreise und auch Länderregierungen verfasst hat, in der gefordert wird, keine diplomatischen Vertreter der Russischen Föderation oder von Belarus zu Feierlichkeiten anlässlich des 80. Jahrestages der militärischen Zerschlagung des NS-Regimes und der Befreiung einzuladen und selbst nicht an deren Veranstaltungen teilzunehmen.

Angeblich wolle sich man mit dem Verbot der Einladung von Diplomaten der Russischen Föderation und Belarus „geschichtsrevisionistischer Verfälschung, sowie russischer oder belorussischer Propaganda“ entgegenstellen. Es ist absurd, wenn diese Anweisung unter der Überschrift läuft, eine „politische Instrumentalisierung des Gedenkens“ zu verhindern. Ist es denn keine „politische Instrumentalisierung“, wenn die Bundesregierung in die Hoheit von Ländern und Kommunen eingreift, um ihr Geschichtsbild durchzusetzen? Für die geplante Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag wurde bereits öffentlich angekündigt, keine Vertreter der Russischen Föderation und von Belarus einzuladen, stattdessen den Botschafter der Ukraine, der kein Problem damit hat, faschistische Kollaborateure der Bandera-Einheiten als „Freiheitshelden“ zu würdigen.

Wer glaubt, aus tagespolitischen Erwägungen zwischen „guten“ und „bösen“ Befreiern unterscheiden zu können, der missbraucht die Erinnerung an den Tag der Befreiung für Zielsetzungen, die das Andenken an die Befreier beschädigen.

Betrifft dies nur die deutsche Politik?

Tatsächlich sehen wir solche Versuche der Geschichtsumschreibung seit vielen Jahren. Gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden in den jeweiligen Ländern kämpfen wir für die Bewahrung und den würdevollen Umgang mit Denkmälern für die Befreiung und insbesondere die Befreier. Wir haben gegenüber den Regierungen der baltischen Republiken, gegenüber Polen und der Ukraine, aber auch gegenüber anderen europäischen Staaten, in denen solche „Umwidmungen“ von Gedenkstätten in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, vernehmlich protestiert. Es war und ist für uns in keiner Weise nachvollziehbar, wenn z.B. in Prag das Denkmal für den militärischen Kommandant der sowjetischen Streitkräfte, die die Stadt Anfang Mai 1945 befreiten, Marschall Konew, übrigens auch der Befreier des Vernichtungslagers Auschwitz, auf Veranlassung von Lokalpolitikern gegen den Protest antifaschistischer Organisationen abgeräumt wurde.

Müsste nicht ganz Europa gemeinsam die Erinnerung an die Befreiung feiern?

So sehen wir es natürlich auch. Aber die Außenbeauftragte der EU, Frau Kallas, glaubt, alle Regierungsvertreter auffordern zu müssen, nicht an den Feierlichkeiten zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai 2025 in Moskau teilzunehmen. Sie missbraucht ihre Funktion, um die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf eine antirussische Linie auch in der Gedenkpolitik zu bringen. Das ist eine gefährliche Tendenz, weil sich damit die Europäische Union aus dem kollektiven Gedenken der Befreiung von der nazistischen Barbarei verabschiedet.

Soll damit vergessen gemacht werden, dass die heutige europäische Einheit ihre Wurzeln im antifaschistischen Kampf hatte? Wir erinnern an diesem Tag daran, dass schon im antifaschistischen Widerstand und selbst in den Konzentrationslagern Überlegungen für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn nach der Befreiung debattiert wurden. Die Häftlinge des KZ Buchenwald formulierten es in ihrem Schwur vom 19. April 1945 mit den Worten „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ und „Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“. Dieses Vermächtnis besitzt Aktualität für antifaschistisches Handeln heute und morgen.

Wer den antifaschistischen Widerstand in dieser ganzen politischen und gesellschaftlichen Breite verdrängt, der will vergessen machen, dass es die Menschen selber sind, die sich gegen bedrohliche politische Entwicklungen und für Frieden, demokratischen und sozialen Fortschritt einsetzen können. Ein solches Geschichtsbild ist autoritär und zutiefst undemokratisch.

Wir danken für das Gespräch.

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