Written by 19:00 HABERLER

Gemeinsam gegen Rechtsentwicklung und AfD

Yücel Özdemir

Wir haben ein Interview mit Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) und Bundessprecher der VVN-BdA, geführt.

Wie bewertest Du als Antifaschist die aktuellen Massendemonstrationen gegen Rassismus in Deutschland?

Wir sind sehr beeindruckt von der Größe und der Vielfalt dieser Proteste. In den vergangenen zwei Wochen sind über 2 Millionen Menschen für diese politischen Anliegen auf die Straße gegangen, allein an diesem Wochenende noch einmal fast 500.000, haben „Gesicht gezeigt“, haben deutlich gemacht, dass die „schweigende Mehrheit“, von der man oft spricht, nicht mit der AfD, nicht mit Rechtsentwicklung und Rassismus einverstanden ist.

Gibt es Parallelen zwischen dem Aufstieg der extremen Rechten heute und dem Aufstieg der faschistischen Bewegung in der Vergangenheit?

Ohne jetzt eine falsche Gleichsetzung zu machen, sind Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Die Unzufriedenheit von Menschen mit der Regierungspolitik, der Wirtschaftsentwicklung, ihre Angst vor einem Abstieg in der Zukunft führt sie in die Arme von rechten Demagogen.

Auch die NSDAP profitierte Anfang der 1930er Jahre von der Verunsicherung der Kleinbürger und der ländlichen Bevölkerung, die einen sozialen Abstieg erlebten. Sie versprachen ihnen „das Blaue vom Himmel“ und konnten damit bis zum Sommer 1932 viele Wählerstimmen gewinnen.

Heute ist die AfD, die immer noch als Protestpartei bezeichnet wird, eine durch und durch neoliberale Rechtspartei. Vielen Anhängern der AfD würde es – wenn das Parteiprogramm Wirklichkeit werden sollte – schlechter gehen: Bürgergeld soll gekürzt werden, Sozialabbau und Lohnkürzungen, die Landwirtschaft soll weniger Hilfen bekommen, noch mehr Geld soll in Rüstung und Krieg fließen, aber diesmal in die Aufrüstung der Bundeswehr.

Das einzige, was die AfD als „Lösung“ gesellschaftlicher Probleme anbietet, ist der offene Rassismus, die Vertreibung von Menschen, die aus ihrer Sicht nicht zur heutigen „Volksgemeinschaft“ gehören sollen.

Und deshalb warnen Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung, die ja bereits hochbetagt sind, immer noch vor dieser rassistischen und faschistischen Partei, denn die AfD würde all das zerstören, für das sich diese Antifaschisten über Jahrzehnte eingesetzt haben.

Hat nicht auch die Regierung Verantwortung für diesen Aufstieg?

Das ist absolut richtig. Die gegenwärtige Regierung fördert mit ihrem Kriegskurs und der daraus folgenden sozialen „Sparpolitik“, aber ihrer Klientelpolitik für städtische Mittelschichten die Verunsicherung und Unzufriedenheit von Menschen, die sich in ihrer Zukunftsperspektive bedroht sehen.

Gleichzeitig bedient diese Regierung praktisch die rassistischen Vorschläge der AfD, wenn sie die Entrechtung von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Lande verstärken. Die Verweigerung von gleichberechtigter Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, indem den Menschen kein Bargeld mehr ausgehändigt wird, indem ihr Aufenthaltsstatus zunehmend eingeschränkt wird, indem Zwangsabschiebungen auch in Länder, in denen die Flüchtlinge bedroht sind, immer häufiger praktiziert werden. Und gleichzeitig wird am Ausbau der „Festung Europa“ gegen Kriegs- und Armutsflüchtlinge gearbeitet.

Man könnte meinen, eigentlich bedarf es keiner AfD, wie diese Regierung die Rechtsentwicklung vorantreibt. Jedoch wählen Menschen auch in einer solchen Situation lieber das Original und nicht die Kopie.

Was halten Sie von einem AfD-Verbot?

Ich unterstütze die Forderung nach einem AfD-Parteiverbot, auch wenn ich es nur teilweise für eine Lösung halte. Das Verbot ergibt sich für mich aus dem Parteiengesetz und dem Artikel 139 Grundgesetz. Eine Partei, die öffentlich und für alle erkennbar gegen die Grund- und Menschenrechte eintritt, deren Funktionäre sich deutlich gegen die verfassungsmäßigen Rechte aller hier lebenden Menschen aussprechen – diese Partei ist nach dem Verständnis vieler Verfassungsjuristen „verfassungswidrig“ und ist deshalb zu verbieten.

Wir wissen aber aus der Geschichte der BRD, dass Parteiverbote sich in erster Linie gegen die politische Linke ausgewirkt haben, ein Instrument wurden, um beispielsweise Berufsverbote u.a. zu begründen. Dennoch sehe ich einen solchen Schritt als notwendig an, um den öffentlichen Raum für offenen neofaschistische Propaganda zu begrenzen, ihnen das Parteienprivileg zu nehmen und damit die staatliche Finanzierung.

Ist ein Verbot die Lösung? Was kann noch gemacht werden?

Ein Parteiverbot ist für mich nur eine eingeschränkte „Lösung“, sie hat aber Außenwirkung auf die Kooperationsmöglichkeit, manche nennen es auch „Brandmauer“. Wichtiger ist im Moment, dass die schleichende Akzeptanz und Toleranz gegen die AfD – nicht nur in den östlichen Bundesländern – seitens anderer Rechtsparteien gestoppt wird. Gemeinsame Anträge im Parlamente, Beschlüsse gegen Flüchtlinge, bei denen man sich auf die Zustimmung der AfD verlassen kann, alles das führt zu einer „Normalisierung“, die eine problematische Entwicklung signalisieren. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit muss Druck auf andere Parteien in den jeweiligen Parlamenten ausüben, z.B. auf die CDU in Thüringen, um solche Zusammenarbeit zu stoppen.

Wir haben momentan eine bunte antifaschistische Bewegung. Wie lange kann sie so massenhaft sein?

Diese bunte Bewegung mit Tausenden, die sich bislang nur selten öffentlich in dieser Form geäußert haben, ist großartig. Die Veröffentlichung über das „Geheimtreffen“ der AfD und die dortigen Thesen, die ja nicht wirklich neu waren, war der berühmte Funke, der eine gesellschaftliche Explosion auslöste. Eine solche Bewegung kann vielleicht einen Monat aufrechterhalten werden und – und das ist das Beeindruckende – sie reicht bis in die kleinen Orte in fast alle Teile der Republik, von der sächsischen Schweiz bis Sylt, vom Freiburger Land bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Wichtig ist – und daran arbeiten die VVN-BdA und andere antifaschistische Kräfte, dass die Menschen, die sich hier engagiert haben, nicht wieder „in der Versenkung“ verschwinden. Wir müssen ihnen Angebote machen, wie sie ihr Engagement fortsetzen können. Das ist eine große Aufgabe.

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