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Die Bundeswehr kann nicht nur kämpfen, sie wird kämpfen!

Alev Bahadir

Claudia Haydt ist Vorstandsmitglied des Tübinger Vereins „Informationsstelle Militarismus“ (IMI), der seit 1996 insbesondere zu der Rolle Deutschlands in den Konflikten der Welt informiert und somit einen wichtigen Beitrag zur Friedensarbeit leistet. Die Rolle der Bundeswehr, nicht zuletzt wegen des sogenannten „Zwei-Prozent-Ziels“ der NATO (alle NATO-Staaten sollen bis 2024 ihren Rüstungsetat auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts erhöhen), war auch einer der Streitpunkte im Bundestagswahlkampf. Wir hatten die Möglichkeit, uns mit Claudia über die Militarisierung in Deutschland zu unterhalten.

Claudia Haydt ist Vorstandsmitglied des Tübinger Vereins „Informationsstelle Militarismus“ (IMI).

Kannst du uns kurz erklären welche Auswirkungen die „2-%“ auf die Entwicklung der Bundeswehr und der Gesellschaft haben wird?

Momentan läuft alles darauf hinaus, dass die Bundeswehr nicht kleiner, sondern deutlich größer wird. Die Zielgröße sind 200.000 SoldatInnen. Momentan sind es 178.000. Entsprechend steigt auch die Ausrüstung. Ferner ist geplant, dass die Bundeswehr so ausgerüstet werden soll, dass sie im Prinzip einen Zwei-Fronten-Krieg führen kann. Die eine Front ist in Richtung Russland gedacht, also die sogenannte „Bündnis-Verteidigung“ gegen Russland und die andere Front ist im Prinzip gegen den Rest der Welt. Es geht um sogenannte „Interventionen“, egal ob diese als „humanitär“ oder sonst wie verbrämt werden, auf der ganzen Welt. Beides soll die Bundeswehr können – und zwar parallel können. Und das ist etwas Neues.

Bis 1990 war die Bundeswehr ja so ausgerichtet, um gegen die Sowjetunion agieren zu können und danach wurde sie so umgebaut, dass sie international zum Einsatz kam, z.B. in Afghanistan. Das war sicherlich der zentrale Einsatz, bei dem sich die Bundeswehrstrukturierung entwickelt hat. Aber auch in Mali und vielen anderen Regionen der Welt. Und das läuft alles darauf hinaus, dass die Bundeswehr so gerüstet ist, dass sie nicht nur kämpfen kann, sondern, dass sie kämpfen wird, und zwar noch mehr als wir das heute sehen.

Heute befinden sich ungefähr 3000 Bundeswehrangehörige auf der ganzen Welt in aktiven Militäreinsätzen. Es kommen noch 8000 dazu, die z.B. mit den AWACS (Luftaufklärung) z.B. in der Türkei stationiert sind. Bei all diesen Einsätzen sind bereits 11.000 Soldaten im Einsatz. Zukünftig sollen bis zu 20.000 gleichzeitig im Einsatz sein. Also ist auch klar, dass dafür mehr Geld notwendig sein wird.

Deshalb ist die 2 % des BIP die Größenordnung, die diskutiert wird. Nicht nur Ursula von der Leyen, sondern auch Angela Merkel haben sich beide dazu verpflichtet, das bis 2024 umzusetzen. Und es läuft auch alles mit entsprechenden Erhöhungsschritten. Von 24 Milliarden, die im Jahr 1999 für das Militär ausgegeben wurden, sind die Ausgaben heute auf 37 Milliarden gestiegen und sollen dann auf 70 – 75 Milliarden steigen. Das ist eine unvorstellbare Größenordnung.

„Bundeswehr- die Entwicklungshilfeorganisation?“

Die Bundeswehr versucht verstärkt junge Menschen anzusprechen, durch Maßnahmen in Schulen oder auch Webserien, wie „die Rekruten“. Meinst du die Bundeswehr hat einen Imagewandel durchgemacht, um attraktiver für die Jugend zu sein?

Die Bundeswehr macht schon alles, was ein sogenanntes modernes Unternehmen macht, um Personal zu rekrutieren. Sie versucht an ihrem Image zu arbeiten, versucht attraktiv zu sein. Sie versucht aber auch an alte Traditionen von Rekrutierung anzuknüpfen, nämlich Patriotismus und diesen auch wieder zu schaffen. Dieses „Wir dienen Deutschland“ ist ja eigentlich eine extrem patriotisch-nationalistische Herangehensweise an die Rekrutierung. Also ein Gefühl, dass junge Menschen zum Teil auch wirklich anspricht, nämlich man „tut etwas“, man „dient“ den Menschen um sich herum. Man macht etwas nicht nur im eigenen Interesse oder um sich selbst voran zu bringen, sondern man greift ethische Momente auf.

Die Bundeswehr wirkt in ihrer ganzen Darstellung, als wäre sie eine Entwicklungshilfeorganisation, in der halt ein paar Bewaffnete mit dabei sind. Sie versucht sehr stark an Helferimpulse, aber auch Abenteuerimpulse anzuknüpfen und das geschickt zu vermarkten. Sie versucht gewissermaßen einen Idealismus wachzurütteln in jungen Menschen. Ihnen vorzumachen, sie tun etwas Gutes für ihre Mitmenschen und etwas Gutes für die Menschen im Einsatzland. Beides ist nicht der Fall.

Aber sie weiß, wenn sie Werbung damit machen würde, dass Töten und Sterben Teil der Bundeswehr sind, würde sie natürlich relativ wenig Menschen, oder auf jeden Fall die Falschen, anziehen. Je mehr die Bundeswehr zur professionellen Einsatzarmee wird, desto mehr Menschen aus dem rechten Spektrum zieht sie an. Deshalb werden so Geschichten, wie mit Marco A., in Zukunft wahrscheinlich noch häufiger vorkommen.

Aber egal, was die Bundeswehr tut, meine Einschätzung ist, dass sie große Probleme haben wird, die Personalzahl zu rekrutieren, die sie braucht. Deshalb wird viel darüber diskutiert, ob Menschen, die keinen deutschen Pass haben, sich bei der Bundeswehr verpflichten können, um darüber die Staatsangehörigkeit zu bekommen. Um so möglichst viele anzusprechen, die tendenziell noch verfügbar sind auf dem Arbeitsmarkt.

Meinst du die Bevölkerung hat ein stärkeres Bewusstsein für Frieden entwickelt?

Ich glaube es verändert sich etwas. Es fällt auf, dass es in vielen Schulen einen richtigen Streit auslöst, ob die Bundeswehr kommen dürfen oder nicht. In manchen Schulen ist es selbstverständlich und es findet statt. Aber in vielen wird viel darüber diskutiert und es wird nicht selbstverständlich akzeptiert. Ich habe das Gefühl, es wächst ein gesellschaftliches Bewusstsein darüber, was sich mit der Bundeswehr entwickelt. Aber all dieses Bewusstsein setzt Menschen voraus, die sagen: „Nein, wir sind nicht einverstanden damit, wie es im Moment läuft“. Was ich toll finde, ist dass wir immer mehr eine Verknüpfung haben zwischen verschiedenen Formen von Bewegungen. Also z.B. Globalisierungsgegner zusammen mit Antimilitaristen.

Deshalb ist es so schade, dass die Debatte um die G20-Proteste überlagert ist mit der Debatte um Gewalt. Dabei waren in dieser Demo diese verschiedenen Spektren zusammen. Ganz unterschiedliche Politikbereiche, die zusammen auf die Straße gegangen sind, um zu demonstrieren und eine schöne, bunte und sehr große Demo ausgemacht haben, über die leider nicht berichtet wurde. Dass 250.000 Leute vor einiger Zeit gegen TTIP auf die Straße gegangen sind, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Auch in Hamburg so viele Menschen. Genau diese Bewegung ist es, auf die ich mich gerne stützen würde und wo ich der Meinung bin, das hat Zukunft und da kann sich etwas entwickeln, was die Gesellschaft auch nachhaltig beeinflussen kann.

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