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Die Krise hat das Diktat des Kapitals verstärkt

Seit Jahren leiden die Menschen unter den Folgen der Krise. Eine Lösung der Probleme ist nicht in Sicht. Viele Staaten stehen vor einem Bankrott. Sogenannte neue Lösungsvorschläge bergen neue Lasten und Probleme für die Völker. Wir haben mit Diethard Möller über die aktuellen Entwicklungen geprochen.

 

Die Weltwirtschaftskrise dauert nun länger und ist tiefer, als erwartet. Wie ist die ökonomische Lage in Europa?

Allein während der ersten Krise, also der Immobilien- und Bankenkrise, wurden laut Angaben der EU-Behörden 5 Billionen Euro aufgewendet, um Banken zu retten. Das hat dazu geführt, dass viele Staaten, die vorher hochverschuldet waren, sich noch mehr verschuldeten. Wenn gesagt wird, wir brauchen bessere Universitäten, bessere Schulen, bessere Gesundheitsversorgung, dann heißt es, es ist kein Geld da. Einige Staaten, wie Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, die am Rande des Bankrotts stehen, haben mit diesen Geldern die Banken bedient. Bezahlen müssen das die Arbeiter, die Angestellten, die Jugend, die Rentner mit Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen, bei den Löhnen, den Renten. In Stuttgart beispielsweise kenne ich Schulen, die völlig heruntergekommen sind, wo die Toiletten zum Teil nicht mehr funktionieren, wo die Klassenräume marode sind. Das sind nur kleine Beispiele, aber jeder von uns kennt diese aus seinem Leben. Das Geld wurde für Banken verbraucht, weil die, wie Angela Merkel sagt, systemrelevant sind. Die Bedürfnisse der Menschen, wie zum Beispiel nach Arbeit, nach einem vernünftigen, guten Leben, nach Wohnung, Bildung und Kultur, sind hingegen nicht „systemrelevant“. Nun, wo viele Staaten, durch die Hilfsaktionen in den Bankrott getrieben worden sind, wird dasselbe Rezept wieder verwendet. Es werden neue Schulden gemacht. Wir wissen nicht genau, in welcher Höhe, aber es werden am Ende wieder mehrere Billionen Euro sein. Damit werden die alten Schulden angeblich getilgt, obwohl in Wirklichkeit die Verschuldung nochmal erhöht wird. Das heißt Staaten, die jetzt noch nicht so hohe Schulden haben, die werden danach sehr hohe Schulden haben. Das ist ein Dominoeffekt. Immer mehr Staaten werden zusammenbrechen und bezahlen muss immer das Volk. Das passiert, weil das Kapital immer mehr Geld haben, sich immer vermehren will. Das sind aber nicht die Interessen der Völker.

 

Wozu dient der ESM?

Der ESM ist ein Instrument, um Geld für die Banken und für die bankrotten Staaten aufzutreiben. Dabei kriegen die Staaten das Geld nie zu sehen. In Griechenland hat das griechische Volk beispielsweise von den vielen Milliarden Euro nicht einen Cent gesehen. Das Geld geht zwar vom ESM nach Griechenland, aber Griechenland gibt das Geld an die Banken weiter, bei denen es verschuldet ist. Woher kommt das Geld für den ESM? Woher kommt diese Riesensumme, wenn sonst überall das Geld fehlt? Das Geld wird als Kredit beim Finanzkapital aufgenommen, weil nur die Geld haben. Das heißt, Banken leihen den Staaten Geld, damit sie ihre Kredite bei den Banken zurückzahlen können. Da verdienen die Banken doppelt. Die Verschuldung wird am Ende deutlich mehr.

 

In Verbindung mit dem ESM wird viel über Demokratieabbau gesprochen. Wie ist deine Einschätzung?

Also ich finde sogar, dass viel zu wenig über den Demokratieabbau beim ESM gesprochen wird. Es wird damit die nationale Souveränität abgegeben. Die Parlamente können nicht mehr über Haushalte entscheiden, sondern sind gezwungen dem ESM Geld zur Verfügung zu stellen, ohne zu fragen, ohne das sie darüber entscheiden können. Was aber viel gravierender ist, im Vertrag für den ESM steht drin, dass die Führung des ESM und alle seine Mitarbeiter Immunität genießen. Gegen sie darf niemals ermittelt werden, es darf keine Hausdurchsuchungen geben, es dürfen keine Akten beschlagnahmt werden und es ist im Vertrag geregelt, dass das ESM von keiner Regierung, von keiner Partei, von keiner Institution, von keiner Einzelperson in Europa verklagt werden kann. Umgekehrt erhält der ESM das Recht, jeden zu verklagen. Das ist in meinen Augen nicht Demokratieabbau, sondern eine Diktatur, weil hier eine Gruppe über Milliarden von Euro herrscht und völlig straffrei gestellt wird, jede Aktion machen kann, ohne jemals in Gefahr zu laufen, vor Gericht gestellt zu werden. Die Führung des ESM besteht aus den Finanzministern der beteiligten Länder, unter anderem Finanzminister Schäuble, der dadurch völlig straffrei gestellt wird. Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun, sondern das ist völlige Herrschaft des Kapitals und eine Diktatur.

 

Wie schätzt du die Rolle Deutschlands ein?

In einer Krise ist das immer so, dass einige zusammenbrechen, zum Beispiel Banken oder jetzt Staaten. Doch Deutschland hat sich in der Krise gestärkt. Deutschland hat diese Situation genutzt, um leider auch in Zusammenarbeit mit einigen Gewerkschaftsführern einen Pakt auf Kosten der Arbeiterklasse zu schließen. Es wurden damals Lohnsenkungen beschlossen. Kurzarbeit wurde eingeführt. Der Staat, also die Gesellschaft hat das finanziert und die Arbeiter mussten auf Lohn verzichten. Durch diese Maßnahmen hat das deutsche Kapital, die deutsche Industrie, die Krise sehr gut überstanden und durch die Senkung der Lohnkosten sind heute die Lohnstückkosten, das was für die Produktion eines Stückes aufgewendet werden muss, die niedrigsten in ganz Europa. Das reichste Land in Europa zahlt die niedrigsten Kosten für die Produktion einer Ware und ist damit ungeheuer konkurrenzfähig geworden. Was dazu geführt hat, dass die anderen Staaten wirtschaftlich verloren haben. Damit ist Deutschland inzwischen zu der ökonomisch stärksten Macht in Europa aufgestiegen und beherrscht alle und kann diktieren, wie im Fall von Griechenland.

In anderen Ländern wird mit Protesten, Aufständen, Platzbesetzungen und Generalstreiks gegen die Angriffe gekämpft. In Deutschland bewegt sich kaum was. Wie bewertest du das? Wie kann man das ändern?

Ich bewerte das ausgesprochen negativ und finde das ganz schrecklich. Das Problem ist aber, dass die Herrschenden in Deutschland eine ungeheuer nationalistische Hetzte entfacht haben. Zum Beispiel gegen die Griechen wurde gesagt: „Die sind faul! Die gehen ganz früh in Rente.“ Es wurde Neid und Hass geschürt, und damit wurden viele Arbeiter leider beeinflusst. Ich hoffe, dass wir es schaffen mit unseren Mitteln und unseren Medien, das Gegenteil zu erreichen: Die Menschen aufzuklären über das was wirklich geschieht. Was dazu kommt ist auch, dass viele Arbeiter eine sehr große Angst hatten vor Arbeitslosigkeit, dass es ihnen genauso geht wie in Griechenland oder in Spanien. Wenn man hört, dass 50 Prozent der Jugendlichen in Spanien arbeitslos sind, dann hat man Angst. Mit Angst kann man nicht gut kämpfen. Dazu kommt, dass dann die herrschende Klasse sagt: „Seht mal, wie gut ihr es hier habt! Ihr habt stillgehalten. Ihr habt auf Lohn verzichtet. Ihr seid nicht so wie die Griechen oder Spanier und darum geht es euch ja besser. Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit zwischen Kapital und Gewerkschaftsführern zu eurem Vorteil.“ Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, denn kurzfristig kann das stimmen. Langfristig wird das aber so sein: Wenn in Griechenland der Mindestlohn jetzt bei 300 Euro liegt, was werden unsere Herrschenden machen? Sie werden Fabriken nach Griechenland verlagern. Dort gibt es nämlich inzwischen viele arbeitslose Fachkräfte, die ihre Familie versorgen müssen. Wenn jetzt eine Fabrik nach Griechenland verlagert wird, die können sich die Arbeitskräfte zusammensuchen und die Leute für 300-400 Euro arbeiten lassen. Und dann werden dieselben Kapitalisten, die heute über Griechen geschimpft haben, über einheimische Arbeitskräfte schimpfen: „Ihr müsst auf Lohn verzichten, ihr müsst auf Weihnachtsgeld verzichten, ihr müsst auf Urlaub verzichten. In Griechenland sind die Bedingungen für uns besser.“ Das heißt, die, die sich heute von der nationalistischen Hetzte beeinflussen lassen, die werden eines Tages ein böses Erwachen haben.

Ich denke wir müssen alles daran setzen, dass sie früher aufwachen, dass sie erkennen, dass dieses unsolidarische Verhalten zu ihrem eigenen Schaden ist und auf sie zurückfallen wird, sodass die Menschen erkennen, dass der gemeinsame Feind für alle Völker diese herrschende Klasse ist, die eine solche Diktatur ausübt.

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