Nils Lehmann
So gut wie alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen benutzen Instagram, WhatsApp, TikTok, Snapchat und Ähnliches täglich für mehrere Stunden. Dass die Auswirkungen dieser routinierten, automatisierten Nutzung sozialer Netzwerke für die Psyche negative Folgen haben kann, zeigt sich beispielsweise daran, dass in einer Modellstudie der University of Pennsylvania herausgefunden wurde, dass eine Begrenzung der Nutzungszeit von sozialen Netzwerken für deutlich geringere Stresslevels, weniger Einsamkeit und geringere Angst- und Depressionssymptome geführt hat (No More FOMO: Limiting Social Media Decreases Loneliness and Depression – Studie von guilfordjournals). Deswegen stellt sich die Frage, wie und warum sich die intensive Nutzung von sozialen Netzwerken im Detail auf unsere psychische Gesundheit auswirkt.
Social Media und Aufmerksamkeit
In erster Linie wirkt sich die permanente Überstimulation mit angenehmen, vorausgewählten Reizen in sozialen Netzwerken negativ auf unsere Aufmerksamkeit aus. Durch das permanente Swipen und Skippen von Inhalten in 15-Sekunden-Länge verändert sich langfristig unsere Aufmerksamkeitspanne, also die Zeit, in der die beschränkten Ressourcen unseres Gehirns zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen auf einen bestimmten Ausschnitt konzentriert wird. Inhalte müssen immer innerhalb der ersten Sekunde das Interesse der Konsumenten wecken, weil sonst zum nächsten Inhalt geskippt wird. Die Fähigkeit, längere Inhalte wie Filme, Bücher oder Podcasts zu konsumieren, leidet, weil diese nicht dieselbe kurzfristige Stimulation bieten wie die auf wenige Sekunden zugeschnittenen Beiträge.
Social Media, Körperbilder und Geschlecht
Die Auswirkungen davon, viel Zeit auf Instagram und Co. zu verbringen, unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen noch einmal gewaltig: Frauen verbringen im Durchschnitt mit 3,5 Stunden am Tag eine Stunde mehr Zeit auf sozialen Netzwerken als Männer. Währenddessen haben die Inhalte auf Frauen deutlich negativere Auswirkungen. Das Körperideal, das allen voran auf Instagram jungen Frauen und Mädchen vermittelt wird, löst erwiesenermaßen höhere Stresslevel aus und geht durch den permanenten Vergleich mit unrealistischen, als perfekt erscheinenden Photoshop-Körpern mit der Entwicklung von Essstörungen einher. Dass Produzenten- und Konsumentenrolle in eins fallen, hat hier fatale Auswirkungen; so wird dazu angeregt, selbst den eigenen Körper darzustellen und damit ein noch kritischeres Auge für ihn zu entwickeln. Auf der anderen Seite besteht ein permanenter Vergleich, nicht nur wie in der klassischen Werbeindustrie mit Models und Stars, sondern eben auch mit der Körperdarstellung der eigenen Freunde. Damit ist Instagram Teil des industriellen Komplexes, der jungen Frauen und Mädchen ein neurotisches Verhältnis zu ihrem Körper einredet und damit Essstörungen mit verursacht, an denen laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts etwa 30% der 11 bis 17 jährigen Mädchen leiden und die einen großen Anteil an den Einweisungen in die stationäre Jugendpsychiatrie haben.
Abhängigkeit
Auch wenn die Frage wissenschaftlich noch nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich bei intensiver Smartphone-Nutzung über längere Zeit um eine Sucht handelt, gibt es viele Anzeichen dafür. Problematisch wird Smartphone-Nutzung, wenn zugunsten sozialer Netzwerke die reale Welt vernachlässigt wird, weil zu wenig Zeit für andere Aktivitäten und Hobbys bleibt. Der virtuelle Kontakt über soziale Netzwerke wird dem realen Kontakt vorgezogen. Auch ist Unruhe bei Nicht-Benutzung oder Nutzung von Social Media als Mechanismus der Emotionsregulation ein klares Anzeichen für Sucht. Unter Emotionsregulation versteht man hier die gezielte Beeinflussung der eigenen Emotionen: Social Media kann beruhigen, bestätigen, von unangenehmen Emotionen ablenken. Dabei ist es kein individueller Zufall, dass User Suchtverhalten entwickeln, sondern im Design der Social-Media-Apps angelegt: Signalfarben, Benachrichtigungstöne und andere Gestaltungselemente sollen Belohnung ausschütten und damit dafür sorgen, dass wir so lange wie möglich auf der Seite bleiben. Auch sind personalisierten Feeds wie auf TikTok oder Facebook darauf ausgelegt, unsere Bedürfnisse und Stimmungen so zu analysieren, dass uns am laufenden Band interessanter Content präsentiert werden kann, der zu unseren Vorstellungen passt und uns weiterhin bestätigt, uns also nie langweilig wird. Dabei wählen wir nicht mehr selbst die Inhalte aus, die uns interessieren; das Skippen von TikTok-Videos, Storys oder Ähnlichem stellt immer nur eine Entscheidung gegen Inhalte dar, nie aber für etwas. Es werden keine Inhalte ausgewählt, wie man beispielsweise Bücher oder Filme auswählt
Aufhören können wir damit nicht aus zwei Gründen: Einerseits wegen der Sorge, Inhalte aus dem Leben unserer Kontakte zu verpassen (Fear of Missing out) und andererseits weil das Gehirn dazu neigt, Tätigkeiten abzuschließen und Aufgaben fertigstellen zu wollen (satisfying closure, sogenannter Zeigarnik-Effekt), was bei einem endlosen Strom von Inhalten jedoch nicht möglich ist. Daher kommt es zu Phänomenen wie dem endlosen „Doom Scrolling“ vor dem Schlafengehen, bei dem wir automatisiert Stunden auf Social-Media-Plattformen verbringen und sich unsere Zeitwahrnehmung dabei deutlich verzerrt.
Würden wir nur konsumieren, wäre die Social-Media-Nutzung nur ein halb so großes Problem: Die Rollen von Konsumenten und Produzenten sind nicht mehr so klar getrennt wie in der Studio-Welt des Fernsehens oder den Redaktionen großer Zeitschriften, weil jeder immer von zu Hause aus Inhalte produzieren und hochladen kann. Das Verlangen, wahrgenommen und bestätigt zu werden, wird durch Likes, Kommentare, Story-Reacts immer wieder bedient, wenn wir etwas posten. Problematisch ist das, sobald die Bestätigung in sozialen Netzwerken Auswirkungen auf den Selbstwert eines Users hat. In diesem Fall kehren die User immer wieder zur Seite zurück, um selbst Beiträge zu posten, um ihren Selbstwert zu erhöhen. Der ganze Alltag wird damit schnell zur Performance, wenn nach jeder Tätigkeit noch einmal darüber gepostet werden muss, um die nötige Bestätigung zu erhalten und führt ebenfalls direkt in ein Suchtverhalten. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke sind also aus Profitinteressen der besitzenden Konzerne bewusst so ausgelegt, uns so lange wie möglich auf den Plattformen zu halten, um attraktiv für Werbepartner zu bleiben. Süchtige Kunden sind hier treue Kunden, die häufig zu den Seiten zurückkehren, Inhalte konsumieren und selber für das Fortleben der Netzwerke garantieren, indem sie selbst Inhalte hochladen.
Perspektive
Was für Perspektiven können wir aber daraus entwickeln? Ob Digital Detox, also der Verzicht auf Social Media, ein sinnvoller Ausweg aus den negativen Effekten ist, ist fraglich. Hiermit geht gleichzeitig das gesamte Potential von Social Media bezüglich Kommunikation, Identitäts- und Interessenentwicklung und schnellem Zugang zu Informationen verloren. Wir können aktuell nichts anderes tun, als selbst den Umgang mit Social Media bewusster zu gestalten und zu reflektieren, solange eine Enteignung von Facebook und Co. keine realistische Perspektive ist, weil diese Konzerne Herzstück des europäischen und amerikanischen Plattformkapitalismus sind. Denn so lange Informationstechnologie in den Händen der Monopole ist, wird Social Media weiter so gestaltet werden, dass wir zu abhängigen Werbekunden zugerichtet werden.