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Einwanderer nicht krimineller als Nicht-Einwanderer

Dilan Baran

Dies mag überraschend erscheinen, da in der öffentlichen Diskussion vor allem die Ausländerkriminalität hervorgehoben wird. Warum diese Debatte nicht nur gefährlich, sondern auch irreführend ist, soll im Folgenden erläutert werden.  Zunächst aber zu den überraschenden Erhebungen. Frauen und Jugendliche begehen mehr Straftaten als zuvor. Um 8,1 % ist die Zahl der weiblichen Tatverdächtigen von 2022 auf 2023 gestiegen.

Während jedoch für die angestiegenen Zahlen verzeichneter Straftaten insgesamt und unter Jugendlichen im spezifischen jede Menge vernünftiger Erklärungen aufgeführt werden, wie steigende Armut, Geldnot, psychische Belastung durch Pandemie, Kriege, Inflation, gibt es in der breiten öffentlichen Debatte und besonders unter Politikern für die steigende Ausländerkriminalität eigentlich nur eine „Erklärung“: Es sind zu viele.

Haben Migranten eine höhere Affinität zu Kriminalität?

Dahinter offenbart sich ein rassistisches Narrativ, das Zugewanderten eine höhere Bereitschaft zuschreibt, Straftaten zu begehen. Diese Argumentation gerät insbesondere ins Absurde, wenn man sich die Art der Straftaten ansieht. Der größte Anstieg betrifft unerlaubte Einreisen und Aufenthalte, die ausschließlich von Personen ohne deutschen Pass begangen werden können und daher in der Zahl gar nicht mit einer Gruppe von Menschen verglichen werden kann, die den deutschen Pass besitzt.  Zudem fügen sie keinem anderen Menschen Schaden zu und können nicht mit Verbrechen wie bei Diebstahl oder Gewalt gleichgesetzt werden.

Dazu kommt, bei der Statistik werden Tatverdächtige von Straftaten gezählt. Sie gibt keine Auskunft über verurteilte Täter und Studien zeigen, dass Menschen eine Tat eher anzeigen, wenn sie als Täter Ausländerinnen oder Ausländer vermuten.

Der Anteil in der Bevölkerung ohne deutschen Pass zeichnet sich zudem über zwei weitere Eigenheiten gegenüber der Bevölkerung mit Pass aus. Zum einen ist unter ihnen der Anteil von Armut Betroffener höher, außerdem ist der eingewanderte Bevölkerungsanteil im Schnitt deutlich jünger. Zwei Aspekte also, unter denen auch im Rest der Bevölkerung mehr Straftaten erfasst werden.

Die politischen Reaktionen auf die Kriminalitätsstatistik offenbaren die tatsächlichen Absichten hinter der Debatte über Ausländerkriminalität.

Mehr Polizei, hartes Durchgreifen…

Der innenpolitische Sprecher im Bundestag, Manuel Höferlin (FDP) meint, die Polizei brauche eine bessere personelle und materielle Ausstattung sowie rechtssichere Ermittlungsinstrumente. Und untermauerte zugleich nochmals die richtige Entscheidung für das kürzlich verabschiedete Rückführungserleichterungsgesetz der Bundesregierung.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser meint, aufgrund der „Ausländerkriminalität“ ginge es heute um das „harte Durchgreifen“ des Rechtsstaates. Und nutzt ebenfalls die Gelegenheit ihre jüngst vorangetriebene Scheinlösung der „konsequenten Abschiebung“ für eine unterversorgte behördliche Infrastruktur ins richtige Licht zu rücken.

Solche Debatten über Kriminalität und Ausländer sind nicht neu. Sie wurden immer periodenartig aufgebauscht und Polizeirechte ausgeweitet, sowie Asyl- und Einwandererrechte eingeschränkt, statt sich mit den sozialen Hintergründen von Verbrechen ernsthaft auseinanderzusetzen.

Solche Debatten über Kriminalität und Einwanderung sind nicht neu. Sie werden periodisch aufgebauscht, um Polizeibefugnisse zu erweitern und die Rechte von Asylsuchenden und Einwanderern einzuschränken, anstatt sich ernsthaft mit den sozialen Ursachen auseinanderzusetzen.

Sie verfehlen bewusst das Problem der sozialen Lage und führen deshalb auch nicht zu den notwendigen sozialen Lösungen, sondern schüren in einer Zeit von zunehmender Verarmung und Unsicherheit die Feindseligkeit gegenüber Einwanderern, um autoritäres und diskriminierendes staatliches Handeln zu rechtfertigen.

Es ist wichtig zu betonen, dass rechtlich gesehen alle Menschen ohne deutschen Pass als Ausländer gelten, einschließlich Touristen und durchreisende Personen sowie ausländische Banden. Indem jedoch in der öffentlichen Diskussion über „Ausländerkriminalität“ gesprochen wird, wird das Bild des kriminellen Einwanderers verstärkt, mit oder ohne Papiere, und geflissentlich übergangen, dass Einwanderer ohne deutschen Pass auch weniger Rechte haben.

Parallelen in die 90`er Jahre

Durch Kriege und Massaker im ehemaligen Jugoslawien sowie im vorwiegend von Kurdinnen und Kurden bewohnten Teil der Türkei stieg die Zuwanderung nach Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre an.

In Medien und Gesellschaft wurde diese Entwicklung heftig diskutiert. Despektierliche Schlagworte wie „Überfremdung“ und „Asylantenschwemme“ bestimmten die Debatte. Flüchtlinge wurden als „Schmarotzer“ bezeichnet, die Rede vom „Zustrom von Asylbewerbern“, die auf Kosten des deutschen Staates lebten, erlangte Anfang der 1990er Jahre eine hohe Popularität.

Rassistische Argumentationsmuster, die zum Teil auch von demokratischen Parteien propagiert wurden – Zuwanderung wurde politisch als bedrohlich markiert – verstärkten ausländer- und migrationsfeindliche Stimmungen. Vor allem rechtsextreme Gruppen griffen diese Stimmung auf.

Vertreter von Union, SPD und FDP einigten sich im Dezember 1992 auf eine Neuregelung des Asylrechts. Das Ziel: Die Verfahren sollten beschleunigt und ein „Asylmissbrauch“ verhindert werden. Am 26. Mai 1993 verabschiedete der Bundestag den sogenannten „Asylkompromiss“: eine Grundgesetzänderung, die das Asylgesetz und das Recht auf Asyl in Deutschland stark einschränkte. Drei Tage später ereignet sich der Brandanschlag in Solingen. Die Opfer des Anschlags waren keine Asylbewerberinnen.

Im Jahr 2024 erneut Kriege und Massaker, am 10. April wird im EU-Parlament final die sogenannte „GEAS-Reform“ beschlossen, die das individuelle Recht auf Asyl in Deutschland abgeschafft. Das Ziel: Verfahren sollen beschleunigt und „illegale Migration“ verhindert werden, rassistische Argumentationsmuster, die auch von „demokratischen“ Parteien propagiert werden und ein Brandanschlag in Solingen.

Zurück zur Kriminalitätsstatistik fällt auf, beim auffälligsten Faktor wird sich überhaupt gar nicht um Diskussion und Umgang bemüht: Das Geschlecht. Fast drei Viertel der Tatverdächtigen, sprich die überwältigende Mehrheit, sind Männer  – wie in den Jahren zuvor auch.

Insgesamt ist es deshalb „kein hilfreiches Kriterium zur Analyse von Kriminalität und für die mögliche Prävention, auf sogenannte Ausländerkriminalität zu blicken“, sagt Kriminologie Professor Claudius Ohder gegenüber dem RND.   Wenn man Ursachen von Kriminalität bekämpfen wolle, müsse es vielmehr auf Fragen von sozialer Lage und kultureller Prägung“ ankommen, demnach in erster Linie um geschlechtliche Prägung und Armutsbekämpfung.

Das zeigt zwar nicht in erster Linie die polizeiliche Kriminalstatistik, aber die Forschung. Der nach vor allem Armut und Perspektivlosigkeit in die Straffälligkeit führen.

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