Written by 11:09 DEUTSCH, TÜRKEI

Erdoğan kämpft für seine eigene Sache

Oktay Demirel

Bereits 3 Monate dauert der von der Bundesregierung „bedingungslos“ unterstützte israelische Angriff im Gazastreifen an, während die ganze Welt weiterhin mehrheitlich schweigt.

Nach ca. 21.000 Toten, davon ein erheblicher Teil Kinder und vielen dokumentierten Kriegsverbrechen seitens israelischer Soldaten, wird -auch wenn zögerlich und zaghaft- in Deutschland Kritik lauter. Im Fokus der Diskussionen rund um den Nahost-Konflikt stehen hier oft Menschen, die aus mehrheitlich muslimischen Ländern stammen, da der Konflikt so dargestellt wird, als würde es um unterschiedliche Religionen gehen. Rechte und religiös motivierte Kräfte auf beiden Seiten gießen noch mehr Öl ins Feuer, denn so können sie ihre menschenverachtende Ideologie verbreiten und durch eine Polarisierung der Gesellschaft Menschen um sich scharen. Der türkische Präsident Erdoğan sticht bei der Demagogie besonders hervor, kann er sich mit seinen israelkritischen Äußerungen doch als der Verteidiger der Menschenrechte hervortun. So bezeichnete er Israel als „terroristischen Staat“ und verglich Premierminister Netanjahu mit Hitler. Er forderte, Netanjahu müsse als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden. Israels Ministerpräsident Netanjahu wies den vom Erdoğan hergestellten Hitler-Vergleich scharf zurück. „Erdoğan, der Genozid an den Kurden begeht, der einen Weltrekord bei der Inhaftierung von Journalisten hält, die sich seiner Herrschaft entgegenstellen, ist der Letzte, der uns Moralpredigten halten kann“. Dabei macht die berechtigte Kritik des seinerseits berechtigt Kritisierten die Verbrechen beider Kritisierten nicht weg!

Türkei-Israel: Wirtschaftsbeziehungen um 532 Prozent gestiegen

Doch was Erdoğan macht, sind lediglich populistische Phrasen ohne Konsequenzen, die den Kern des Konfliktes in Israel-Palästina auf eine plumpe antisemitische Ebene herunterzieht und einen Kulturkrieg heraufbeschwört. Im Frühjahr sind Kommunalwahlen in der Türkei und Erdoğan bringt seine Anhänger in Stellung. Zu mehr taugen seine Aussagen nicht, bleiben sie doch nur leere Worte. Zu einem wahren Konflikt würden es aber weder Netanjahu noch Erdoğan jemals kommen lassen, wäscht doch die eine Hand die andere.

Im Kern haben sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und Israel nämlich in den letzten 20 Jahren -seit dem AKP-Wahlsieg 2002 und Erdoğans Machtantritt 2003- von 1,41 Milliarden US-Dollar auf 8,91 Mrd. Dollar vergrößert. Nach Angaben des türkischen Statistikinstituts (TurkStat) beliefen sich 2002 die Ausfuhren der Türkei nach Israel auf 861,4 Millionen US-Dollar und die Einfuhren aus Israel auf 544,5 Millionen USD. Im Jahr 2022 waren die Ausfuhren bei 6,74 Mrd. USD und die Einfuhren auf 2,17 Mrd. USD. Damit ist das Handelsvolumen in den letzten 20 Jahren um 532 Prozent gestiegen. Die Handelsbilanz hat sich hierbei stark zu Gunsten der Türkei entwickelt, obwohl sich regelmäßig alle 1-2 Jahre ein „diplomatischer Konflikt“ zwischen den beiden Ländern entflammte, bei dem Erdoğan sich jedes Mal in Worten mit den Palästinensern solidarisierte, aber keine Taten folgen ließ. Im Gegenteil hatte jede einzelne Streitigkeit der beiden Regionalmächte eine positive Auswirkung auf die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit beider Länder. Die Türkei exportiert viele Lebensmittel und landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Israel, aber vor allem dominiert die Türkei den israelischen Markt für Eisen und Stahl. Nach Angaben des türkischen Verbandes der Stahlexporteure beliefen sich die gesamten Stahlausfuhren der Türkei im Jahr 2022 auf 21 Mrd. USD, davon in Höhe von 1,4 Mrd. USD nach Israel. Israel importiert 65 Prozent des von ihm verwendeten Stahls von türkischen Herstellern.

Erdoğan-Clan profitiert sogar persönlich von den wirtschaftlichen Beziehungen

Während Erdoğan also „das Judentum und den Zionismus“ verteufelt, liefert die Türkei einen wichtigen Rohstoff für den „zionistischen Waffen- und Siedlungsbau auf palästinensischem Gebiet“. Ebenfalls berichten Oppositionelle, dass Thermokleidung für die israelische Armee aus türkischen Häfen verschifft wird. Parlamentsabgeordneter der Partei der Arbeit (EMEP), Iskender Bayhan, forderte die Hafenarbeiter auf, die Schiffe, die nach Israel fahren, nicht zu beladen. Bayhan erklärte, dass täglich 7 Schiffe nach Israel fahren würden, bisher 300 Schiffe Waren nach Israel geliefert hätten. Erdoğans Sohn, Ahmet Burak Erdoğan, wird von der Opposition beschuldigt, Eigentümer von Schiffen zu sein, die in den Warenexport nach Israel involviert sind. Auch andere Personen, die der AKP nahestehen, profitieren von diesem Handel. Während die offiziellen diplomatischen Beziehungen ihre Höhen und Tiefen haben, wächst der Handel zwischen den beiden Ländern konsequent weiter. Entgegen seines Personenkultes und machohaften Selbstdarstellung ist Erdoğan kein Streiter für das palästinensische Volk, sondern hat mit den Handelsbeziehungen zum Wohlstand Israels beigetragen und die für die Fortsetzung der Besatzung notwendigen Güter liefern lassen.

Perspektiven nach dem Konflikt?

Noch Ende September empfing Erdoğan Netanjahu in New York, wohin er zur UN-Generalversammlung gereist war. Er erklärte später gegenüber der türkischen Presse, dass der israelische Premierminister Netanjahu die Türkei im Oktober oder November besuchen könnte. Ziel sei es, israelische Energieressourcen über die Türkei nach Europa zu transportieren. Erdoğan betonte, dass die Türkei und Israel in vielen Bereichen zusammenarbeiten und sagte: „Es ist eine Tatsache, dass es neue Bereiche der Zusammenarbeit gibt… Es ist auch allen bekannt, dass Israel seine Ressourcen nach Europa transportieren möchte. Der vernünftigste Weg ist, diese Ressourcen über die Türkei nach Europa zu transportieren.“ Erdoğan zufolge gibt es auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern im Bereich der Bohrungen in den Meeren. Die Parteien verhandeln derzeit über Details, wie Route, Zeitplan und Bohrgebiete im östlichen Mittelmeer. Auch wenn der angekündigte Staatsbesuch zunächst auf Eis gelegt wurde, es gibt keine Indizien dafür, dass die Verhandlungen vom Tisch sind. Und sobald der israelische Krieg, der auch innerhalb Israels auf Kritik stößt, endet, werden die Wirtschaftsbeziehungen wieder florieren.

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