Suphi Sert
Frieden, ja genau, Frieden und Gleichberechtigung müsste auf unseren Fahnen stehen. Wie mittlerweile jeder schon mitbekommen haben müsste, wurden durch einen Anschlag der PKK auf verschiedene Militärstationen 26 türkische Soldaten getötet. Die Reaktion seitens der AKP-Regierung mit Erdogan und Gül an der Spitze waren Schwüre auf Rache und mit einem unvergesslichen Vergeltungsschlag das Aus der PKK herbeizuholen. Schon am selbigen Abend wurde die Verfolgung der PKK-Guerillias aufgenommen, über die türkische Staatsgrenze hinweg in den Irak rein. Mindestens genau so viele PKK-Kämpfer verloren ihr Leben bei dem Angriff, an dem mindestens 10000 Soldaten im Einsatz waren. Auf der Jagd nach der PKK wurden, um Blutrache zu nehmen, zahlreiche kurdische Dörfer geräumt.
Gibt es eine Formel, nach der man messen muss? Ein getöteter „türkischer“ Soldat gleich so und so viel PKK-Kämpfer oder gar kurdische Zivilisten? Wo ist hier die Grenze, wo ist der Ansatz der friedlichen Lösung von der die Regierungspartei AKP seit Jahren spricht? In der Theorie kann jeder vom Frieden sprechen, aber hier sehen wir die Praxis. Wieder einmal wird die Möglichkeit, „Nein, wir wollen FRIEDEN!“ nicht wahrgenommen. Erdogan hat scheinbar kein Interesse mehr an den kurdischen Wählern, da sie sich nicht mehr an der Nase herum führen lassen und ihm mehr und mehr die Wählerstimmen verweigern. Also müssen wieder stärkere nationale Gefühle her, um weiter zu herrschen und dies geht am besten, wenn gespalten wird!
Eins muss doch langsam klar sein: Die seit über zwei Jahrzehnten andauernde bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der PKK und der türkischen Streitkräfte, die Vertreibungen der kurdischen Bevölkerung aus ihren Dörfern und gezielte Bombardierungen haben bislang über 62000 Tote gefordert. Nicht nur Mütter der Verstorbenen können bezeugen, dass es mit diesem Weg keinen Sieger geben wird. Das Leiden und Sterben kann nur ein Ende haben, wenn eine Politik des Friedens, der Demokratie und des gleichberechtigtem Zusammenlebens geführt wird. Momentan möchte die AKP-Regierung offensichtlich einen Krieg und verbreitet ein Chaos der Gefühle und Emotionen über die Landesgrenzen hinweg.
Durch die Angriffe der Türkei wird das Leid jedoch nur noch größer. Und was Tausende Kilometer von uns entfernt passiert, wirkt sich negativ auf uns hier in Deutschland aus! Wir vermissen echt gemeinte, große Friedensproteste und Zeichen, dass wir uns nicht spalten lassen und für den Frieden sind.
In den türkischen Medien, im Internet auf YouTube, Twitter und Facebook werden regelrechte Hetzkampagnen betrieben. Und das auf eine Art und Weise, dass es den Menschen, die in Freundschaft, Frieden und als Nachbarn miteinander leben, fast unmöglich wird, dies weiterhin zu tun. Es ist so verheerend, dass sogar Mordaufrufe und Massenvernichtungen auf Sozialnetzwerken wie Facebook jetzt auf der Tagesordnung stehen. Freunde, die hier zu Lande kein Problem miteinander hatten, weil sie z.B. gemeinsam zur Schule gehen, scheinen sich jetzt hassen zu müssen. Durch die Provokationen werden sie förmlich gezwungen, sich jetzt in das „türkische“ und „kurdische“ Lager zu spalten. Viele Jugendliche wissen nicht, wie sie mit ihren Emotionen umgehen sollen, die ihnen in Medien vermittelt werden. Dies nutzen nationalistische und faschistische Provokateure und Hetzer regelrecht aus. Also lasst euch nicht spalten und setzt euch für das einzig Richtige ein, den Frieden!
In ganz Deutschland sind tausende von meist jungen Türken marschiert, angeblich „gegen den Terror“. Jedoch: Bei den „Protestaktionen“ herrschte eine Terror-Stimmung. Die Rufe und Slogans waren keine Trauerrufe. Es waren leider auch keine Friedensforderungen, sondern reiner Hass, der gepredigt wurde. Nationalistische Gefühle wurden bei den Teilnehmern so stark geweckt, dass Übergriffe auf kurdische Lokale und stark besiedelte Ortschaften zu verzeichnen waren. Obwohl die Täter nicht allesamt Faschos waren! Aber die Demo-Teilnehmer werden so manipuliert, dass „Rache für unsere Brüder!“, „Nationalstolz“, „Heimat“ oder „die hinterlassenen Familien“ das Fass zum Kochen bringen! Doch: Gleiches mit Gleichem bringt keine Lösung! Die protestierenden Jugendlichen sind aufgestachelt von den großen Medien, von nationalistischen und faschistischen Kräften und von der türkischen Regierung, welche offen zum Morden aufruft! Bei einer genaueren Unterhaltung mit ihnen, zweifeln sie schon selbst an ihrer falschen Denkweise.
INTERVIEWS
Wir sprachen mit einigen Jugendlichen während der Demo in Berlin, welche sich gegen die „PKK-Anschläge“ in der Türkei richtete.
Hasan Bektas und Mahir Günaydin
Menekse Kirca (16 Jahre, Schülerin) und Serap (16 Jahre, Schülerin):
Hallo! Was hat euch dazu bewegt an diesem Protest teilzunehmen?
Serap: Um unsere gefallenen Soldaten zu Ehren, sie nicht alleine zu lassen.
Menekse: Weil wir traurig über die Ereignisse in der Türkei sind und hier unsere Stärke demonstrieren wollen, um unser Vaterland zu unterstützen.
Meint ihr, dass man durch solche Proteste die Probleme lösen kann?
Menekse: Nein, das ist kein Lösungsweg. Aber es zeigt, dass wir nicht alleine sind.
Was wäre denn ein Lösungsansatz?
Menekse: Abschlachten!
Wen?
Menekse: Die PKK`ler. Für uns sind Türken und Kurden Brüder, aber PKK`ler sind was anderes.
Was meint ihr, sind wir sehr weit entfernt vom Frieden?
Serap: Ist unmöglich!
Warum?
Menekse: Weil die jedes Mal wieder anfangen. Aber diese Nation wurde nicht von gestern auf heute gegründet. Es sind zig Soldaten zu ihren Ehren gestorben. Wir lassen unsere Nation nicht spalten!
Gibt es jetzt einen Bruch zwischen euch und euren kurdischen Freunden?
Menekse: Ja und wie! Aber ich finde neue Freunde. Freunde findet man, aber Märtyrer meines Landes verkaufe ich nicht!
Habt ihr Türkisch-Unterricht in der Schule?
Serap: Nein.
Würdet ihr gerne?
Menekse: Ja! Fragst du wegen meiner schlechten Aussprache (lächelt verlegen)?
Wie wäre es denn, wenn in der Türkei in der kurdischen Sprache unterrichtet würde?
Serap: Das wäre schlecht!
Menekse: Kurdisch (nachdenklich)? Natürlich wäre es schlecht!
Warum? Wenn dieses doch in Deutschland geht, warum nicht in der Türkei?
Menekse: (lachend) Ich dachte … Hmm… Weil das Land Türkei heißt (lachend)! Wahrscheinlich widerspreche ich mir oder bin im Konflikt mit mir selbst?
In der Türkei gibt es rund 20 Millionen Kurden und jeden Morgen sagen ihre Kinder unseren Fahnen-Eid auf. „Glücklich, wer sich Türke nennt“, obwohl sie keine Türken sind! Wie wäre es, wenn ihr jeden Morgen vor dem Unterricht sagen müsstet: „Glücklich, wer sich Deutscher nennt“?
Serap: Ne! So was würde nicht gehen!
Was denkt ihr, ist jetzt Frieden zwischen Türken und Kurden möglich?
Menekse: Würde gehen, aber die Menschen müssen etwas nachdenken. Zum Beispiel wird gesagt: „Wir wollen auf Kurdisch unterrichtet werden“ und am nächsten Tag schmeißen sie hier und da Steine!
Deniz Cetinkaya (18 Jahre, Schüler) und Sema Cetinkaya (21 Jahre, Arbeiterin).
Was hat euch dazu bewegt, an diesem Protest teilzunehmen?
Deniz: Es muss sich endlich was ändern! Wir wollen, dass das Sterben ein Ende findet. Wir wollen zeigen, dass wir eine Nation sind. Es macht keinen Unterschied, ob in der Türkei oder in Deutschland! Das wir leben und noch aufrecht stehen, das ist das einzige, was zählt!
Aber in der Türkei gibt es nicht nur eine Nation!
Deniz: Ja, leider ist das so.
Also akzeptierst du die Existenz der Kurden?
Sema: Es gibt sie. Das akzeptiere ich, aber es wird zu viel unterschieden. Beispielweise, kann hier jeden Augenblick eine Schlägerei stattfinden, denn gestern haben die PKK`ler hier protestiert. Und mit welchem Recht haben sie das? Mit welcher Legitimation?
Sie sagen, sie protestierten wegen den verstorbenen kurdischen Guerillas und den umgebrachten kurdischen Kindern.
Sema: Wir wollen Frieden. Für Frieden muss sich eine Seite beugen und nachgeben. Und ich denke, das muss die PKK sein.
Würde es euch sehr stören, wenn die türkische Regierung sich mit den Funktionären der PKK an einen Tisch setzen würde, um das Problem zu lösen?
Sema: Nein! Auf keinen Fall! Hauptsache, das Blutvergießen hört auf. Die Toten sind alle in unserem Alter.
Gab es Auseinandersetzungen zwischen euch und kurdischen Freunden?
Deniz: Nein. Glücklicherweise gibt es zwischen uns keine Unterscheidung zwischen Türken und Kurden. Wir unterscheiden Kurden von der PKK. Nicht jeder Kurde ist ein PKK-Anhänger!