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Gemeinsam können wir es schaffen *

 

Das ist Leben steckt voller Überraschungen. Als ich mich mit einem Freund über die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen und die Situation der Arbeiter und Angestellten im Sektor der industriellen Dienstleistungen unterhielt, gesellte sich ein weiterer Kollege hinzu, der ebenfalls im Reinigungssektor arbeitet. Während ich weiter redete, legte dieser die Zeitung „Yeni Hayat – Neues Leben“ vor mich und ergänzte, dass diese Probleme, die wir als Reinigungskräfte haben, für die anderen Arbeiterinnen und Arbeiter von Interesse seien und ich deshalb meine Erfahrungen und Erlebnisse als sogenannter Industriereiniger aufschreiben und an die Zeitung schicken solle. Denn der gegenseitige Austausch über diese Zeitung sei immens wichtig.

Nach kurzem Überlegen habe ich nun entschlossen, meine Erfahrungen mit den Leserinnen und Lesern von „Neues Leben“ zu teilen:

In den Industriereinigungssektor kam ich 2005, als ich bei der HPS (Hürth Personal Service) anfing. Zu dem Zeitpunkt beschäftigte die HPS ca. 80 Industriereiniger. Die Beschäftigten stammen meist aus der Türkei, Sri Lanka, Indien und Deutschland. Die HPS selber ist eine 2005 von der Muttergesellschaft ADAM MUND gegründete Leiharbeitsfirma. Die Beschäftigten der HPS reinigten hauptsächlich für den Hauptauftraggeber RWE.
In den Kohlewerken reinigten wir sämtliche Maschinen und Kabinen. Die Arbeitsbedingung waren bzw. sind mehr als nur schlecht. Beispielsweise lassen sie uns drei bis vier Stunden arbeiten, schicken uns im Anschluss nach Hause, um uns am Abend wieder zur Arbeit zu rufen. Effektiv arbeiten wir zwar acht Stunden, aber wir sind die ganze Zeit unter Rufbereitschaft. Dies löst bei uns Beschäftigten einen immensen psychologischen Druck aus, der viele von auch bereits krank gemacht hat. Auf Grund des Umstandes, dass wir ausschließlich die Kohlemaschinen reinigen, wird unsere Arbeitskleidung sehr stark verschmutzt. Der Ruß und der übrige Dreck kleben förmlich an der Kleidung, so dass wir Duschen benötigten. Allerdings ließen die Duschkabinen sehr zu wünschen übrig; Die Abflüsse sind verstopft, die Kabinen sind defekt. Wir waren also stets gezwungen, uns im dreckigen Wasser zu waschen. Auch bekamen wir keine adäquate Arbeitskleidung. Egal welche Jahreszeit, wir hatten immer dieselbe Kleidung an. Und da wir die Maschinen hauptsächlich mit Wasser reinigen, wird automatisch unsere Kleidung ebenfalls nass. Ersatz hierfür wird nicht zur Verfügung gestellt, egal in welcher Jahreszeit.

Und das nicht genug. Auch müssen wir uns mit einer Art Lobbyismus auseinandersetzten: Aufgrund des niedrigen Stundenlohnes sind wir Beschäftigte auf die zusätzlichen Arbeiten an den Samstagen und Sonntagen angewiesen. Diese Arbeiten werden allerdings nicht gerecht unter uns aufgeteilt. Wir haben einen „Bauleiter“. Bei diesen Mehrarbeiten bevorzugt er seine Verwandtschaft oder Kollegen, die ihm nahestehen. Erst nachdem diese mit Mehrarbeit versorgt sind, kommt die übrige Belegschaft dran. Die erste Geige spielen wir nur dann, wenn es sich um außergewöhnliche Verschmutzungen handelt. Ein weiteres Vorgehen war, dass man an uns herantrat und uns einfach nach Hause schickte und uns ein Schreiben unterschreiben ließ, nach dem wir wohl freiwillig nach Hause gegangen waren, damit keine Vergütung fällig wurde. Daher wussten wir nie genau, wie viele Stunden wir gearbeitet hatten und ob die Lohnabrechnungen richtig waren. Wir haben ein paar Mal den damaligen Betriebsrat von Adam Mund diesbezüglich angesprochen und seine Antwort war sehr knapp: „Ihr seid keine Beschäftigten von Adam Mund! Deshalb können wir für euch nichts machen!“

Wir hätten auch unseren eigenen Betriebsrat gründen können. Doch auf Grund der verheerenden Arbeitsbedingungen gestaltete sich dieses äußerst schwierig. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten von Adam Mund gegenüber ihrem Betriebsrat sehr aufgebracht waren, weil sie denselben Problemen ausgesetzt waren und der Betriebsrat nichts für tat. Der Vorsitzende des Betriebsrats hatte zuvor ebenfalls als einfacher Industriereiniger angefangen und je höher er auf der „Karriereleiter“ gestiegen war, desto mehr vertrat er die Positionen des Arbeitgebers. Diese Haltung wurde seitens des Arbeitgebers belohnt. 2004 wurde er schließlich Fachvorarbeiter.
Bei den Betriebsratswahlen 2006 und 2010 hat dieser Betriebsrat uns Leiharbeitern die Teilnahme an den Wahlen verwehrt. Denn er wusste, sie würden von den Leiharbeitern keine Stimme erhalten. Nichtsdestotrotz stellte die Belegschaft bei den Wahlen 2010 eine Liste auf, die uns hoffen ließ. Diese Liste war mit Kollegen besetzt, die auf der Seite der Belegschaft waren und sich bereit erklärten, sich für die Belegschaft einzusetzen. Den Kampf entschied sich diese „Alternative-Liste“ für sich.

Eines der ersten Amtshandlungen dieses Betriebsrates war es, die Rechte der Leiharbeiter einzuklagen. Entweder sollten die Leiharbeiter dieselben Rechte bekommen, wie die Stammbelegschaft oder die Leiharbeit sollte beendet werden. Hier war dann im Anschluss der erste Sieg zu verzeichnen. Adam Mund lenkte ein und erkannte einige Forderungen an. Zum ersten Mal durften wir unsere Arbeitsverträge sehen und erkannten, dass wir im Monat ein Anrecht auf 173 Arbeitsstunden hatten. Dies hatte zur Folge, dass jeder von nun an 173 Stunden garantiert bekam. Auch wurde unser Stundenlohn von 9,55€ (Mindestlohn im Gebäudereinigerhandwerk) auf 10,50 € erhöht. Unsere Duschkabinen wurden komplett erneuert und saniert. Auch bekamen wir stets entsprechend der Jahreszeit Arbeitskleidung. Diese sind mittlerweile auch wasserdicht.

2014 durften wir auch an den Betriebsratswahlen teilnehmen und die Anzahl des Betriebsrates erhöhte sich von 5 auf 7.

Als die Beschäftigten von HPS und Adam Mund haben wir erkannt, dass wir dieselben Probleme haben. Vorher waren auch viel weniger gewerkschaftlich organisiert. Nunmehr ist fast die ganze Belegschaft organisiert. Unser Kampf zeigt, dass wir, wenn wir uns nicht in Stamm- und Leiharbeiterbelegschaft spalten lassen, unsere Arbeitsbedingungen selber bestimmen und auch Erfolge verbuchen können.
* Ein Arbeiter von HPS (Hürth Personal Service)

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