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Gülen-Bewegung – ein heißes Eisen

Fatih Polat*

Es ist bekannt, dass Teile der Linken zu Beginn des Ergenekon-Prozesses Stellung dagegen bezogen, weil sie in Opposition gegen die AKP-Regierung stehen.
In unserer Zeitung Evrensel wiesen wir immer wieder auf die Bedeutung der strafrechtlichen Verfolgung gegen die Putschisten hin und brachten unsere Hoffnung zum Ausdruck, dass damit die ungeklärten Morde an Oppositionellen aufgedeckt werden könnten. Wir meinen, dass die Positionierung gegenüber den Gerichtsverfahren gegen Putschisten nicht davon abhängig gemacht werden darf, wer gerade an der Regierung ist.
Heute ist allerdings die AKP-Regierung an einem Punkt angelangt, an dem sie diese Haltung für äußerst naiv hält. Sie erwartet, dass auch die Befürworter der strafrechtlichen Verfolgung von Putschvorbereitern über die Bemühungen der Regierung hinwegsehen, das laufende Gerichtsverfahren im eigenen Interesse zu lenken. Und wir sollen auch darüber hinwegsehen, dass das Verfahren inzwischen auch gegen Journalisten und andere gerichtet ist, die sich öffentlich gegen die Putschvorbereitungen und für Demokratie einsetzen.

Ausgezeichnete Journalisten hinter Gittern

Einer von ihnen ist Nedim Sener. Er wurde im Jahre 1999 als erster für seine Reportage über die Saisonarbeiter mit dem Metin-Göktepe-Preis ausgezeichnet worden. Dieser angesehene Preis für herausragende journalistische Arbeiten wurde im Andenken an den 1996 ermordeten Evrensel-Reporter Metin Göktepe ins Leben gerufen. Sener sollte bei der diesjährigen Preisverleihung am 10. April, also dem Geburtstag Göktepes, mit auf dem Podium sitzen und zum Thema Pressefreiheit in fortgeschrittenen Demokratien referieren. Hervorzuheben ist auch seine beharrliche Arbeit im Fall des vor vier Jahren ermordeten Journalisten Hrant Dink. Auch hier ließ er sich nicht einschüchtern und beirren, prangerte an, dass die türkische Justiz die Täter und ihre Hintermänner bis heute nicht verurteilt hat.
Ein anderer Journalist, der mit Sener zusammen verhaftet wurde, ist Ahmet Şık. Er berichtete mit Metin Göktepe zusammen von einer Massenkundgebung, auf der Göktepe festgenommen und anschließend von Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Şık sagte vor Gericht gegen die Mörder Göktepes aus und leistete eine großen Beitrag zu deren Verurteilung.  Şık ist der einzige Journalist, der zwei mal mit dem Metin-Göktepe-Preis ausgezeichnet worden ist.
Seine Reportage über die Befürworter und Kritiker des Militärputsches brachte ihm nicht nur die zweite Auszeichnung ein, sondern bildete auch die Grundlage für die Ermittlungen, die schließlich mit zum Ergenekon-Prozeß führten. Dass ihm jetzt vorgeworfen wird, einer der Drahtzieher bei der Organisation Ergenekon zu sein, kann nur damit erklärt werden, dass er sich mit der Rolle der Gülen-Bewegung im Staatsapparat kritisch auseinandersetzt. Genauso wie Sener hinterfragte auch Ahmet Şık, wie die Gülen-Bewegung durch
ihre Mitglieder im Staatsapparat Einfluss auf Schlüssel-Prozesse ausübt.
Merkwürdige Zufälle?
Ahmet Şıks Anwalt berichtete von einem Buch, das sein Mandant in Kürze veröffentlichen wollte. Unter dem Titel „Die Armee des Imam“ beschäftige sich Şık in dem Buch mit der Gülen-Bewegung und deren Strukturen. Der frühere Polizeipräsident Hanefi Avci wurde ebenfalls  kurz nach Veröffentlichung eines Buches festgenommen, in dem er sich mit der Gülen-Bewegung und ihren Verflechtungen beschäftigte. Auch er sitzt hinter Gittern und auch ihm wird Ergenekon-Mitgliedschaft vorgeworfen.
Erdogans Erklärung
Interessant war die Erklärung des Ministerpräsidenten, in der er wenige Tage nach der Verhaftungswelle jeglichen Einfluss seiner Regierung auf die Entscheidungen der Ermittlungsbehörden bestritt. Er sei überzeugt, dieJustizbehörden hätten bestimmt Gründe und Nachweise für die Haftbefehle. Dass ein Ministerpräsident, der eigens für die Umstrukturierung der Justiz ein Verfassungsreferendum initiierte, die Verhaftung von angesehenen Journalisten unkommentiert lässt, sagt jedenfalls einiges mehr aus, als ein Kommentar.

* Aus der Tageszeitung Evrensel vom 4. März 2011

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