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Heldentum der Demokratie?

Ihsan Caralan
Die türkische Armeeführung ist geschlossen zurückgetreten. Sie kommentieren ihre Entscheidung gegenüber der Öffentlichkeit als „normal“ und „notwendig“. In einem Schreiben des Generalstabschefs und des Kommandeurs der Marine an das Militärpersonal ist die Wortwahl aber eine andere: Ihr Rücktritt sei eine Antwort auf die „ungerechtfertigten Inhaftierungen und die ständigen öffentlichen Angriffe auf die Streitkräfte“.  In den westlichen Medien bewertete man indes die Ereignisse u.a. als ein Indiz für die Demokratisierungsbemühungen der AKP Regierung. „Früher putschte die Armee, heute tritt sie zurück. Das Primat der Politik gegenüber dem Militär ist endgültig durchgesetzt“ – so der überwiegende Tenor im Westen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass auch aus den Reihen von regierungsfreundlichen Wissenschaftlern und liberalen Vertretern eine breite Unterstützungskampagne für den vermeintlichen „Demokratiehelden“ Tayyip Erdogan aufgerollt wird. Die Vorbereitungen weisen zumindest darauf hin. Das so konstruierte Heldentum um seine Person kommt dem Ministerpräsidenten Erdogan nur zugute. Es verschafft ihm politische Immunität bei seinem in der Opposition und Bevölkerung umstrittenen Vorhaben, einen neue Verfassung zu verankern. In seiner Ansprache an die Nation hatte Erdogan dieses Ziel schließlich auch öffentlich verkündet.  Der Bruch der Dominanz des Militärs durch die Regierung kommt eigentlich nicht überraschend. Ganz im Gegenteil. Will man hinter den aktuellen Ereignissen eine wahre Abrechnung zwischen Politik und Militär sehen, so kam sie viel zu spät. Denn seit den 1980`ern unterstützen die USA und der westliche Imperialismus die Strategie nicht mehr, in Ländern wie unseres, das Militär als Kurbel zur Durchsetzung von imperialistischen Interessen, wie eben mit einem Putsch, einzusetzen.  So kommt es, dass die Putschvorbereitungen des Militärs im Jahr 2002 im Vergleich zu den vorangegangen Putschversuchen, vor allem im Jahr 1980, geradezu höhnisch belächelt wurde.
Die „Putschvorbereitungen“, die als Grund für die Gründung der „Sondergerichte“dienen  und mit denen sie auch (die regierende-) AKP ihre  „wir stellen die Generäle vor Gericht“ Propaganda führt, hat sich genau an das Gerücht „über ihr ausplaudern möglicher Putschpläne verdutzter Generäle “ angeknüpft, die   nicht kapiert haben, dass die eigentliche  Macht, die hinter den Putschplänen  gesteckt hat, sich zurückgezogen hat.
Obwohl die NATO und der westliche Imperialismus in den 1980`er und 1990`er Jahren sich von Einsätzen des Militärs für Putschvorhaben abwendeten, um in die politischen Entwicklungen einzugreifen, hielt die Türkei an dieser Strategie lange fest. Der Krieg gegen die Kurden ließ  bis dato eine Abrechnung der Politik mit dem Militär nicht zu. Die bisherigen Regierungen glaubten, dass nur mit einer systemkonformen Armee, die sich der Konterguerilla und deren Methoden bedient, der Widerstand der Kurden gebrochen werden könne. Dieser Glaube war auch für die Generäle eine günstige Gelegenheit. Infolge des langjährigen Krieges gegen die Kurden wurde die Militarisierung in der Gesellschaft rasant vorangetrieben. Der nicht enden wollende Durst nach Soldaten für den geführten Krieg und die Dominanz des Militärs gegenüber der Politik verhinderten, dass „zivile“ Maßnahmen in dieser Frage überhaupt entstehen konnten.   Doch der erfolglose Krieg verstärkte den Protest in der Bevölkerung gegen den Eingriff des Militärs in die Politik. Das Militär und das dahinter stehende Apparat mitsamt seinen Vertretern werden nur noch im Mülleimer der Geschichte landen. Die Stellungnahme de Sprechers der BDP, Selahettin Demirtas, zum Rücktritt der Armeeführung unterstreicht diese Tatsache: „Der erfolglose und nicht gewonnene Krieg gegen die Kurden bezahlen nun die Generäle“ Daher rührt auch die Wut und die Klagen der Kommandeure in ihrem Schreiben an ihr „Personal“, weil ihr Einsatz im Krieg gegen die Kurden nun nicht mehr gewürdigt wird.  Jetzt, wo die Regierung einsieht, dass die Kurdenfrage nicht militärisch gelöst werden kann, wäre es dann folgerichtig zu glauben, dass nun politische Alternativen um eine friedliche Lösung hervorgehoben werden? Auch wenn der gesunde Menschenverstand dieser Vorstellung folgen würde, so bleibt doch die Tatsache, dass Erdogan von der bisherigen Politik, mit militärischen Mitteln gegen die Kurden vorzugehen, nicht abkehren wird. Denn konkrete Schritte gibt es bereits. Die Sondereinheit (Özel Tim) in der türkischen Armee, die vor 15 Jahren aus den kurdischen Gebieten zurückgezogen wurden, wird wieder installiert; die eigens für militärische Einsätze ausgebildete Polizei- und Armeetruppen beweisen, dass die AKP-Regierung, wie die vorangegangen Regierungen auch, weiterhin auf die Konterguerilla setzt. Es ist daher unmöglich, den Rücktritt der Armeeführung und die vermeintliche Kapitulation des Militärs vor Erdogan als Wegbereiter für die Demokratisierung der Türkei und des Einzugs des Friedens zu interpretieren. Ganz im Gegenteil, die Entwicklungen zeigen, dass erstens die Regierung ihre Repressionen  mit einer noch höheren Professionalität durchführt und die Zersetzung der politischen Kräfte der Kurden deutlich als Ziel hervorhebt und zweitens die Regierung sich innerhalb des Militärs politisch organisiert und in eine Phase übertritt, in der sie den Einfluss des Militärs einschränkt und gleichzeitig als Machtmittel für ihre politische Herrschaft einsetzt.
Wie die Regierung diese Entwicklungen nutzen wird, wird sich in den nächsten Tagen noch klarer zeigen.

* Übersetzt von Sidar Demirdöğen

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