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Krokodilstränen für Amy

UNTER DIE LUPE

Şeyda Kurt

Der Tod der britischen Musikkünstlerin Amy Winehouse am 23. Juli schlug wie ein schon langersehnter Blitz in die Schlagzeilen der Presse ein. Vor ein Paar Wochen noch hatte man sie wegen einem peinlichen Auftritt verspottet und bloß gestellt: immer wieder hatte man die Szenen, in denen sie komplett betrunken und außer sich auf einem Konzert im serbischen Belgrad in das Mikrofon kreischte, ausgestrahlt. Nun leierte man Beileidsfloskeln und „leidete“ in stundenlangen Fernsehbeiträgen, die bis in die Nacht gingen, mit der Familie und den Fans. Das Publikum hat Amy oft kopfschüttelnd zugeschaut, wenn sie negative Schlagzeilen machte. Doch eigentlich war man das doch gewöhnt, oder? Amy Winehouse ist vielleicht ein wirklich harter Fall gewesen, doch betrunkene oder mit Drogen vollgepumpte Stars gehören doch mittlerweile zur Tagesordnung und zur Normalität im ach-so-glamourösen und schicken Showbusiness!
Auf die Todesnachricht der weltweit bekannten Soul-Sängerin  gab es aus meinem Umkreis unter anderem Kommentare wie: „Das ist sie doch selbst schuld. Die hat sich halt totgekokst, das war voraussehbar. Pech gehabt!“  Ich hingegen war doch recht traurig: letztendlich war Amy Winehouse ein wirkliches Talent mit einer außergewöhnlichen Stimme gewesen. Wie andere (in meinen Augen) tolle Künstler wie Kurt Cobain, trat sie sehr früh dem fiktiven„Klub 27“ ein – alle Künstler dieses großen „Clubs“ verstarben in diesem jungen Alter. Wenn man einen Moment darüber reflektiert, wird einem schon bewusst, wie schon allein diese von den Medien verwendete Bezeichnung zeigt, was die gesamte Musik- und Medienindustrie wirklich an den Todesfällen und den Menschen an sich berührt.  Am besten packt man alle Todesfälle in einen Koffer, etikettiert sie mit einem mystischen Namen und spekuliert dann noch Tage lang darüber, ob diese Menschen einer gemeinsamen Sekte angehören, die etwas gegen das Alter 28 haben. Dass da ein junger Mensch vor den Augen der gesamten Weltöffentlichkeit verendet ist, ist da dann eher zweitrangig.
Zurück bleibt die Frage: Ist die Aussage „Das ist sie doch selbst schuld“ berechtigt? Ist sie es wirklich selbst schuld, dass sie im Juli 2007 auf ärztlichen Rat wegen eines „völligen Erschöpfungszustandes” kurzfristig mehrere Festivaltermine absagen musste? Ist sie es selbst schuld, dass sie gegen psychische Krankheiten wie Magersucht und Bulimie zu kämpfen hatte? Was treibt einen so jungen, talentierten Menschen in diese fast ausweglose Sackgasse?
Sollte die  Frage nicht eher sein: Inwieweit ist die Musikindustrie schuld, die diese jungen Künstler bis zur absoluten Erschöpfung ausnimmt? Inwieweit ist das System schuld, das die Künstlerin wie eine Ware von der einen Veranstaltung zum nächsten Auftritt jagt und verkauft? Die Macht von Geld und Drogen in geschmackslosen Videoclips zelebriert? Diese Antwort sollte vielleicht einfacher zu beantworten sein. Als eine kleine Hilfestellung möchte ich folgendes teilen, wovon ein Autor der Tageszeitung „Junge Welt“ berichtet: „ »Bitte gedulden Sie sich noch«, raunte die PR-Frau an einem sehr frühen Nachmittag in einem Berliner Hotel: »Amy kommt etwas später. Sie hat schon wieder eine Flasche Wodka getrunken«. Verschwörerisches Blinzeln. Die Journalisten sollten mitbasteln am Hype um diese kleine, hyperschlanke, über-und-über-tätowierte Frau mit der großen Stimme.“
Für Amy waren die Journalisten beim basteln nicht sehr freundlich, und schon gar nicht menschlich. Unmenschlich ist weiterhin, dass sie sie noch nach ihrem Tod nicht in Ruhe lassen und aus dem Ereignis Profit schlagen, durch endlose TV-Spekulationen und weiteres. Dabei hat sie doch wohl schon lange den Frieden verdient.

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