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LINKE auf antikapitalistischem Kurs?

Nils Böhlke *

Mit einer überragenden Mehrheit von 96,9 % haben die Delegierten des Bundesparteitags der Partei DIE LINKE am Sonntagmittag ein Grundsatzprogramm unterstützt, dass einen antikapitalistischen Kurs vorgibt. Vorangegangen war eine monatelange intensive Debatte in den Kreis- und Landesverbänden. Insgesamt etwa 1400 Änderungsanträge wurden dem Parteitag vorgelegt und abgearbeitet. Wesentliche Konfliktpunkte wurden allerdings zwischen den verschiedenen Strömungen bereits im Vorwege durch Kompromisse aus dem Weg geräumt. Dies betrifft die Haltung zu Öffentlichen Beschäftigungssektoren, Auslandseinsätzen der Bundeswehr, zum Nahostkonflikt, den so genannten Haltelinien bei Regierungsbeteiligungen, dem Bedingungslosen Grundeinkommen und dem Arbeitsbegriff. Bei all diesen Bereichen gab es eine Vielzahl Änderungsanträge, von denen jeweils einige eine Aufweichung und andere eine Klarstellung linkerer Positionen vorsahen. Bei jedem dieser Bereiche gab es allerdings massiven Druck zugunsten eines einheitlichen Erscheinungsbildes auf eine Diskussion auf dem Parteitag zu verzichten und stattdessen die Kompromissformulierung zu übernehmen. Diesem Druck folgten die Delegierten, obwohl sich viele eine inhaltliche Debatte zu wichtigen Fragen gewünscht hätten. Letztlich überwog aber das Gefühl, dass nur ein gemeinsames Vorgehen das eigene gesellschaftliche Gewicht erhöhen kann.

Dadurch sind Passagen im Programm, die zwar die Programmatik nach links verschoben haben, aber dennoch nach wie vor Einfallstore für Rechtsverschiebungen bieten. Beispielsweise in der Friedensfrage sind so die von einigen vorgesehenen Einzelfallprüfungen bei jedem einzelnen möglichen Einsatz zugunsten einer generellen Absage an Kampfeinsätze der Bundeswehr abgelehnt worden. Allerdings ist die vom linken Flügel der Partei gewünschte Ablehnung aller Auslandseinsätze ebenfalls nicht in das Programm gekommen. Das ist insbesondere deshalb kritisch, weil heute viele Einsätze eben nicht mehr als Kampfeinsätze bezeichnet werden. Stattdessen werden sie als humanitäre Maßnahmen verkauft, die aufgrund der medialen Propagandaschlacht vor solchen Einsätzen nur schwer als wirkliche Kampfeinsätze enttarnt werden können.

Auch bezogen auf die Bedingungen für einen Eintritt in eine Koalition gab es eine Kompromissformulierung, die die Hürden erhöht und eine Politik, wie sie vor allem in Berlin von dem dortigen Landesverband in der Koalition mit der SPD gemacht hat quasi verunmöglicht. Allerdings ist es angesichts der absehbaren Kürzungsorgien angesichts der Schuldenbremse und den Milliarden für die Bankenrettungspakete eine Schwäche, dass nicht wie ursprünglich vorgesehen, Personalabbau im Öffentlichen Dienst unter ihrer Mitwirkung generell untersagt ist, sondern nur dann wenn sich dadurch „die Leistungsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes“ verschlechtert. Diese Formulierung ist so offen gehalten, dass sie nur schwer nachzuprüfen ist.

Prinzipiell ist dieses Programm ein wichtiger Schritt nach links. Verglichen mit den Programmen der PDS und auch den gemeinsamen Eckpunkten der beiden Quellparteien WASG und PDS bei der Gründung der gemeinsamen Partei hat dieses – trotz einiger Brüche – einen klareren antikapitalistischen Charakter. So gibt das Programm trotz des an allen Ecken und Enden zu erkennenden Kompromisscharakters eine klare Klassenorientierung vor, hat den Antikriegskurs der Partei unterstrichen und klarer herausgearbeitet, wer das Eigentum in dieser Gesellschaft erarbeitet und wer es besitzt. Dies ist auch dadurch untermauert, dass dem Programm das Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Berthold Brecht vorangestellt wurde. Darin fragt der Autor, ob es wirklich, wie in der Geschichtsschreibung heißt, die großen Männer der Geschichte waren oder nicht vielmehr die Arbeiter, die beispielsweise die Paläste errichtet haben. Die Geschichte linker Parteien zeigt allerdings, dass ein besonders linkes Programm keinesfalls sicherstellen muss, dass keine rechte Politik gemacht wird. Als die SPD 1914 den Kriegskrediten zustimmte, widersprach das dem eigenen Programm. Gegen eine solche Entwicklung hilft nur der berühmte Schritt wirklicher Bewegung, der jetzt vor Ort unterstützt werden muss.

* Politologe und Referent für Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik der Landtagsfraktion der Partei Die Linke in NRW

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