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Netzpolitik-Affäre

ZALAL GÜYILDAR

Chefredakteur Markus Beckedahl und Onlineblogger Andre Meister sind schlichtweg empört. Die beiden Journalisten von Netzpolitik.org veröffentlichten im Februar dieses Jahres einige Auszüge aus geheimen Unterlagen vom Bundesamt für den Verfassungsschutz (BfV). Inhalt dieser war eine vom BfV geplante Massenauswertung über Internetinhalte. Im Hinblick darauf eigentlich keine große Sache, weil auch schon davor woanders darüber berichtet wurde. Netzpolitik.org ist eine medienunabhängige Internetseite und Vertreter für digitale Freiheitsrechte. Aktiv sind sie seit 2004 mit fast 17.000 verfassten Artikeln. Nun erstattete BfV-Präsident Maaßen höchstpersönlich Anzeige gegen die Onlineblogger. Ein deutscher Edward Snowden- Fall? Ist es wirklich Landesverrat?
Maaßen selber ist Jurist und seit 2012 Präsident des BfV und somit der Nachfolger von Fromm, der aufgrund von Vernichtung der Dokumente der NSU in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Merkwürdig ist, dass Maaßen keine Anzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft erstattet hat, sondern direkt beim Landeskriminalamt. Zudem läuft die Anzeige gegen Unbekannt, jedoch werden die beiden Journalisten bei vollem Namen erwähnt. Danach wurden die Unterlagen weiter nach Karlsruhe geschickt, um sie beim Generalbundesanwalt auswerten zu lassen. Währenddessen publiziert Netzpolitik.org wiederholt Auszüge aus Akten des Verfassungsschutzes. Daraufhin erlässt Maaßen die zweite Anzeige beim Berliner LKA. Range, Generalbundesanwalt in Karlsruhe, fordert, nach Analyse der beiden Strafanzeigen, mehr Informationen zu diesem Fall. Nachdem Range das Ermittlungsverfahren einleitet, wirft der SPD-Justizminister Range vor, dass diese seinerseits nicht begrüßt werden könne. Später behauptet die Bundesanwaltschaft, dass solche Warnungen inexistent sind. Derweilen kontaktiert Range einen privaten Experten und lässt erneut prüfen, ob es sich wirklich um Staatsgeheimnisse handle. Tatsächlich wird dies bestätigt. Erst vier Monate später, werden die Journalisten postalisch informiert, dass gegen sie zwei Strafanzeigen vorliegen.
Somit veröffentlichen die beiden angeblichen Straftäter die Briefe auf ihrer Webseite. Nach eigenen Angaben äussert sich das Bundeskanzleramt erst an dem Tag der Veröffentlichung, dass sie davon keine Kenntnis hatten. Schlussendlich fordert Maas den Rücktritt des fast 70 Jährigen mit dem Grund ein „nachhaltig zerstörtes Vertrauensverhältnis“ aufgebaut und gefördert zu haben. Nun befindet sich Range im Ruhestand. Doch damit ist es nicht vorbei. Am 14. August wird eine weitere Entdeckung gemacht. Das Bundeskanzleramt war bereits am 21. April über die Strafanzeigen informiert worden und nicht erst am Tag der Veröffentlichung der Strafanzeigen, welche die Betreiber von Netzpolitik.org auf ihrer Seite teilten, weil Maaßen in Gremiensitzungen mehrmals von beiden Anzeigen berichtete. Mittlerweile hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wegen des Verdachts der strafbaren öffentlichen Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses nach  StPO  eingestellt. Er geht mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz davon aus, es sich bei den veröffentlichten Inhalten nicht um ein Staatsgeheimnis im Sinne des  § 93 StGB  handelt. Beckedahl und Meister fordern mehr als eine Einstellung des Verfahrens. Sie wollen erfahren, ob sie monatelang akute Opfer eines Überwachungssystems waren. Zudem wollen sie nachvollziehen können, welche Person zu welchem Zeitpunkt etwas wusste. Immer noch werden den Anwälten der angeblichen Täter, ein Einblick in die Akten verwehrt. Vermutlich befinden sich noch mehr Personen und Behörden in diesem unendlich scheinenden Prozess. Eine öffentlich gewordene Staatsaffäre, die sehr an die komplexen NSU-Prozesse erinnert. Denn die Glaubwürdigkeit der Bundesanwaltschaft, des Bundesjustizministeriums und des Bundesamts für Verfassungsschutz sinkt massiv. Auch fragen sich viele nach diesem Fall, ob die Medienfreiheit weiterhin existiert. Snowden sagte einst „Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die so etwas macht.“ Wenn wir alle beobachtet werden, wer beobachtet dann die, die uns beobachten?

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