Written by 15:14 ANALİZ / ANALYSEN, DEUTSCH

PISA Studie – Defizite im Bildungssystem statt Mangel an Bildung vom Elternhaus

Özgün Önal

Es ist klar zu erkennen, dass sich spätestens durch die Corona-Pandemie die Situation der Schülerinnen und Schüler drastisch verschlechtert hat. Auch die neue PISA Studie von 2022 zeigt erneut, wie die Leistungen, vor allem in den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaften der Schüler in Deutschland abnehmen. In Deutschland nahmen 6.116 Schüler in 257 Schulen stellvertretend für etwa 681.400 15-jährige an den Tests in Mathematik, Lesekompetenz oder Naturwissenschaften teil. Unabhängig davon, dass die Zahl der Teilnehmenden deutlich unter der Gesamtzahl der Zielgruppe liegt, liegt Deutschland weit unten.

Sind Schüler mit Migrationshintergrund schuld?

Vielen Berichten zufolge gibt es zwei Gründe, die zu schlechten Ergebnissen in der PISA-Studie geführt haben sollen, einmal die Corona-Pandemie und zum anderen liege es an den Schülern mit Migrationshintergrund, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Lehrerin Birgit Ebel, die an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen unterrichtet, ist ebenfalls derselben Ansicht. Sie gibt in einem Interview mit der BILD Zeitung zu wissen, dass die Konzentrationsspanne der Schülerinnen und Schüler nicht länger als eine Minute beträgt, dass einige im Unterricht schlafen, nicht in der Lage seien, auf einer Linie zu schreiben oder keine Ahnung von Grammatik hätten. Der Grund dafür sei, dass 8 von 10 Schülerinnen und Schüler zu Hause kein Deutsch sprechen. Hamburger Schulsenator Ties Rabe sieht ebenfalls Zusammenhänge zwischen der sozialen Herkunft der Schüler und ihren schulischen Leistungen. Laut Rabe hat die Zahl der Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern zugenommen. Somit sehen beide die Ursache in der Erziehung im Elternhaus für das Scheitern der Leistung in der Schule.

Im Gegensatz dazu betont der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Florian Fabricius, mit Blick auf die Pisa-Ergebnisse, die mentale Gesundheit der Schülerinnen und Schüler werde so gut wie nicht gemessen. Keine Rolle spielten etwa das Stressniveau und Depressionen. Auch kämen Aspekte wie ökonomische, demokratische und berufliche Bildung zu kurz.

GEW fordert die Bekämpfung von Lehrermangel

Auch die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) hat eine Pressemitteilung zu der PISA-Studie formuliert. In dieser fordert die Gewerkschaft ganz klar, den Lehr- und Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen. Zudem wird in der Presseerklärung die Abhängigkeit zwischen den schulischen Leistungen der Kinder und Jugendlichen und ihrem Elternhaus als ein Skandal betitelt. Bensinger-Stolze (GEW Vorstandsmitglied Schule) schlug unter anderem eine durchgängige Förderung der Grundkompetenzen vor, die weder nach der Grundschule, noch vor dem Schultor aufhöre, und verlangte, soziale Hürden im Schulsystem abzubauen. Bensinger-Stolze betont, dass die Fehler im Bildungssystem analysiert und behoben werden müssen.

Sie macht in ihrer Erklärung deutlich, dass das Geld in der Bildung fehlt: „Der ‚Output` wird nicht besser, wenn der ‚Input‘ nicht stimmt.“ Sofern weiterhin in der Bildung gespart wird und Fachkräftemangel herrscht, sei eine Verbesserung der Leistungen der Schülerinnen und Schüler nicht in Sicht. Ein weiterer Aspekt, der zu solchen Erhebungen führe, sei das dreigliedrige Schulsystem, in denen Schüler sehr früh aufgeteilt werden.

Zum Abschluss sagt Bensinger-Stolze: „Es sind massive Anstrengungen notwendig, um viel mehr Lehr- und Fachkräfte zu gewinnen: Das Thema gehört ganz oben auf die Agenda! […] Schulqualität muss genauer daraufhin untersucht werden, wie gut die Schule alle Kinder – unabhängig von deren sozialer Lage oder Wohnort – fördert, wie bedarfsgerecht Ressourcen und Personal verteilt und wie gut Lern- und Arbeitsbedingungen ausgestaltet sind. Gute Bildung und gute Arbeit sind zwei Seiten einer Medaille“.

Das Gesamtbild muss betrachtet werden

Viele Kinder und Jugendliche berichten, wie marode die Schule ist, dass der Lehrer erneut oder gar auf Dauer fehle, dass sie mehrere Arbeiten hintereinander schreiben müssen, dass die Klassen überfüllt und zu laut seien, dass sie zu Hause nicht genug Raum und Möglichkeiten haben, zu lernen. All diese Faktoren sind zusammen zu betrachten. Es fängt bereits mit der Ausbildung des Lehrers an. Die Lehre ist veraltet und realitätsfern. Vor allem im Referendariat werden Lehramt-Studierende nicht auf die Lebenssituationen der Schüler vorbereitet, sie müssen sich an Methoden und Didaktiken halten, die vor allem im letzten Jahrzehnt keine positiven Ergebnisse bei Schülern erzielen. Spätestens dann brechen viele Studierende ab. Ist die Lehre aber doch abgeschlossen, so wird auf eine Beamtenstelle gewartet – und dieses Warten kann manchmal echt lange dauern!

Währenddessen arbeiten viele Lehrkräfte als Quereinsteiger mit einem TV-L Vertrag (Tarifvertrag im öffentlichen Dienst). Diese arbeiten genauso viel wie ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen, verdienen allerdings deutlich weniger und ohne die verschiedenen Vorteile eines Beamten. TV-L Kräfte sind von der Finanzierung kostengünstiger als verbeamtete Lehrkräfte, daher finden viele Absolventen des Lehramtstudiums keine feste Stelle an einer Schule.

Zudem sind die Arbeitsbedingungen sowohl für Angestellte, als auch verbeamtete Lehrkräfte sehr schlecht. Sie stehen meistens in Klassen mit 25 – 35 Kindern, haben eine Erzieher-Rolle, müssen Fachkenntnisse vermitteln, als Ansprechperson für die Eltern fungieren. Eine Doppelbesetzung in den Unterrichtsstunden ist meist ausgeschlossen, sodass die Lehrkräfte nicht auf die einzelnen Bedürfnisse und Unklarheiten der Schüler eingehen können. Auch die Jugendlichen bemerken diese Umstände und sind unzufrieden, haben keine Lernlust mehr. Außerdem werden sie von innen- und außenpolitischen Themen immer mehr beeinflusst und entwickeln immer weiter eine Angst in Hinblick auf die Zukunft.

Die PISA-Studie hat zwar eine Auswertung, in der die sozioökonomischen Faktoren mitbestimmend sind, aber diese machen lediglich einen Unterschied zwischen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und ohne. Andere Faktoren spielen in dieser Rubrik keine Rolle. Dabei ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg schon seit Jahrzehnten bekannt und belegt. Was macht man mit der Studie, ist die eigentliche Frage? Den Sündenbock auf migrantische Schüler schieben oder endlich das Bildungssystem reformieren?

Close