Written by 11:49 HABERLER

Platz für neue Werte

Zu Beginn der Arbeitsmigration von der Türkei nach Deutschland war es für die Gastarbeiter schwer, in die Türkei zu gelangen. Wegen dem mühevollen langen Weg und den enormen Kosten stillten die Menschen ihre Sehnsucht mit Briefen in und aus der Heimat, mit Schallplatten, die nach Heimat klangen und später mit türkischen VHS-Kassetten. Informationen wurden mündlich von und mit Bekannten hin- und hergeschickt und brauchten oft so lange, dass sie an Aktualität verloren. Später wurden Nachrichten zumindest einmal am Tag für eine halbe Stunde von der Nachrichtensendung „Köln Radyosu“ übertragen.
Erst durch die Entwicklung der Telekommunikationsmittel wurde die Entfernung zwischen Deutschland und der Türkei für die meisten „aushaltbar“.
Natürlich veränderte sich im Laufe der Zeit nicht nur die Technologie, die Lebensart der Generationen, die hier geboren wurden und aufwuchsen und deren Beziehungen zur Türkei brachten viele soziologische Veränderungen mit sich. Die Sehnsucht nach der alten Heimat machte Platz für neue Werte in der neuen Heimat , die begünstigt und bestimmt wurden sowohl durch die kulturellen Eigenheiten des Herkunftslandes, als auch die Werte der neuen Heimat und die politischen Entwicklungen in beiden Ländern. Der Rassismus gegenüber Migranten in Deutschland, die diskriminierende Politik gegenüber Türkeistämmigen und die dadurch entstandene Ausgrenzung und das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden auf der einen Seite und andererseits die türkisch-islamisch-nationalistische Politik, Angst vor den “Deutschen” und Vorurteile, veranlassten manche, sich zu verschließen. Dies erschwerte den in Deutschland lebenden Türkeistämmigen in vielerlei Hinischt, sich in politischen, sozialen und kulturellen Bereichen mit der Gesellschaft zu vermischen und das spielte und spielt heute noch eine bremsende Rolle.
Ein Beispiel: Auch wenn es banal erscheint, haben die Türkeistämmigen, die schon seit Jahrzehnten hier leben, kein Recht bei Kommunalwahlen zu wählen oder sich zur Wahl aufstellen zu lassen. Das erschwert die Beteiligung am politischen Geschehen in dem Land, in dem man lebt.
Wenn wir aus Sicht der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen uns das Jahr 2014 anschauen, kann man sagen, dass die bewegenden und emotionalen Themen eher diejenigen waren, die sich nicht in Deutschland, sondern in der Türkei abspielten. Die Massenaktionen beim Besuch von Tayip Erdogan in Deutschland, um ihn zu unterstützen oder dagegen zu protestieren, das Bergwerkunglück in Soma, die Wahlen des Präsidenten, die hierher getragen wurden, die Gräueltaten des Islamischen Staates in Syrien und der Kampf von Kobane usw, um mal einige aufzuzählen. Das Entscheidende, was man nicht aus den Augen verlieren sollte, ist dabei jedoch folgendes: All diese Themen heben die Tatsache nicht auf, dass Migranten dennoch hier leben und dementsprechend Arbeiter, Schüler oder Frauen sind, die mit den Problemen hier genauso konfrontiert sind. Es scheint ein Widerspruch zu sein und dieses Phänomen trägt wirklich Widersprüche in sich. Natürlich sind diese auch nicht plötzlich entstanden, sondern widerspiegeln 50 Jahre Migrationspolitik. Niemand kann von den einstigen Gästen und ihren Nachkommen erwarten, dass sie ihre Wurzeln abschneiden und überhaupt keine Beziehungen mehr zur Herkunftsheimat haben sollen. Aber durch Öffnung und Akzeptanz des Fremdseins und eine Willkommenskultur kann der Blick dieser Menschen und ihr Focus auf die Entwicklungen in Deutschland gelenkt werden.

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