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Rechte im Auftrieb – aber wieso?

Alev Bahadır

Die Auswirkungen der neoliberalen Politik treffen uns heute mit aller Härte. Das sehen wir z.B. in der Gesundheitsversorgung. Eine Erhebung des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen zeigt, dass die Zahl der Krankenhäuser in den vergangenen 20 Jahren massiv gesunken ist. Waren es 1992 noch 2.381 Krankenhäuser, sind es 2022 nur noch 1.893. Gleichzeitig sind in den bestehenden Häusern auch die Bettenzahlen gesunken, was zu einem Engpass führt. Müssen mehr Menschen ein bestimmtes Krankenhaus aufsuchen, weil die anderen beiden Krankenhäuser in der Umgebung geschlossen wurden, erwarten sie trotzdem weniger Betten. Das liegt auch an einem anderen Trend: die Zahl der Krankenhäuser in öffentlicher oder gemeinnütziger Hand geht zurück, während die in privater Hand steigt. Auf Kosten unserer Gesundheit wird also Profit gemacht. Dieses Beispiel kann man auch problemlos auf andere Bereiche anwenden. Z.B. die massiven Einsparungen in der Bildung, die Deutschland immer wieder zum Schlusslicht in internationalen Vergleichen macht. Oder die Einschnitte, die die Ampelregierung nun für 2024 beschlossen hat: höhere Energie- und Benzinpreise, Sanktionen im Bürgergeld, weniger Investition in die ohnehin marode Rente, aber Milliarden in die Rüstung und Subventionen für Unternehmen. Die Menschen merken, wenn das Geld mittlerweile nicht mal mehr bis zur Mitte des Monats reicht. Wenn die Löhne nicht mal annähern mit der Inflation steigen. Das alles führt zu Angst und Wut. Angst und Wut, die sich in zwei Richtungen kanalisieren kann.

Die eine ist die, die gerade passiert: Rechte Kräfte nutzen die Probleme der Menschen aus. Die AfD ist nun wirklich keine Partei des „kleinen Mannes“ ist, wie sie sich gerne darstellt. Sie vertritt in ihrem Grundsatzprogramm mehr Wohnungseigentum, Stärkung des Mittelstands und der deutschen Wirtschaft uvm. Also keine Dinge, von denen Werktätige unmittelbar profitieren. Trotzdem haben die AfD und rechte Kräfte es in den vergangenen Jahren geschafft, Proteste für sich zu instrumentalisieren und Themen zu besetzen, die den Menschen unter den Nägeln brennt. Während sie keinerlei Alternative zum bestehenden kapitalistischen System darstellen, verkaufen sie sich aber geschickt als Alternative, indem sie die Regierung kritisieren und den Buhmann auf Geflüchtete, Migranten und Bürgergeldempfänger schieben. Die wahren Ursachen für alle diese Probleme werden natürlich nicht aufgezeigt. Dass der Kapitalismus nur überleben kann, indem er ständig und immer wieder auf unserem Rücken Profit erwirtschaftet, indem er sich den von uns Arbeitern geschaffenen Mehrwert aneignet. Dass er Krieg für Absatzmärkte, Rohstoffe und Handelsrouten führen muss, um seinen Profit zu steigern. Dass der Staat, die bürgerliche Demokratie, nur einen Nutzen hat: die Interessen des Kapitals zu schützen, oder wie sonst erklären sich Aufrüstung und Subventionen für Unternehmen und Banken, während bei der Bevölkerung gespart wird? Faschisten sind keine Alternative dazu. Sie beschützen dieses System. In Zeiten von Krisen und Bedrohungen durch links löst der Faschismus, als aggressivster Ausdruck des Kapitals nur die aktuelle Herrschaftsform, die bürgerliche Demokratie, ab.

Die wirkliche Alternative muss endlich handeln

Die zweite Richtung wäre das Erstarken von linken, fortschrittlichen Kräften, die all die eben benannten Ursachen aufzeigen. Doch die linken Kräfte sind schwach. Zu zurückhaltend in den sozialen Bewegungen, zu sehr darauf fokussiert Menschen zu gewinnen, die ohnehin schon mit links sympathisieren, zu sehr verwickelt in Grabenkämpfe und Auseinandersetzungen, um glaubhaft eine Kraft in der sozialen Frage zu sein. Zu sehr verankert im Bildungsbürgertum, um die Werktätigen zu erreichen. Zu sehr damit beschäftigt, Menschen zu verurteilen und abzustempeln, um sie zu gewinnen. Die linken Kräfte haben Probleme, aber die aktuelle Situation kann auch eine Chance sein. Denn wann sollte man die Vergänglichkeit dieses Systems besser aufzeigen können, wenn nicht in dem Moment, wo die Auswirkungen am deutlichsten zu Tage treten?

Dafür müssen sich linke Kräfte allen voran auf den Straßen, in den Betrieben, Schulen und Unis auf ihre eigentliche Arbeit zurückbesinnen. Nicht länger zulassen, dass Proteste, wie z.B. der Bauern von Rechten instrumentalisiert werden. In einem Land, in dem der Antikommunismus so stark verbreitet ist, sicherlich keine einfache Aufgabe. Aber die Streiks des letzten Jahres, die Proteste jetzt, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt uns eine Grundlage, auf der wir arbeiten können und müssen. Und wenn wir wissen, dass die soziale Frage entscheidend ist, müssen unsere Kämpfe auch dort geführt werden. Es geht nicht um Wählerstimmen, sondern um Bewegungen. Und die rechten Kräfte können wir nur aushebeln, in dem wir unnachgiebig und direkt die wahren Ursachen der Probleme aufzeigen, nicht indem wir uns ihrer Rhetorik anpassen und so versuchen, Leute für uns zu gewinnen.

Die Verursacher spielen jetzt „Beschützer der Demokratie“

Kommen wir zurück zum AfD Verbot. Ob es juristisch umgesetzt wird, ist die eine Frage. Fordern muss man das Verbot aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda auf jeden Fall. Aber dass diese Verbotsforderung ausgerechnet von Parteien, wie der SPD, der Union und den Grünen gepusht wird, sagt viel über den Charakter dieser Parteien aus. Denn sie fordern dieses Verbot nicht aus Angst um die Demokratie, sondern aus Angst, selbst in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, jetzt wo die AfD massiv an Stimmen gewinnt. Nicht nur haben all diese Parteien den ökonomischen Nährboden für die Rechte geschaffen, sondern auch den politischen. Seit Monaten sind die Parteien auf den rechten Zug aufgesprungen. Man müsse „im großen Stil abschieben“ oder die Geflüchteten würden einem die Zahnarztplätze wegnehmen, waren nur einige der Aussagen. Gleichzeitig treibt die Bundesregierung, allen voran unter SPD und den Grünen, eine Abschottungspolitik, die ihresgleichen sucht, voran.

Während man sich einerseits „um die Demokratie besorgt zeigt“, beschließt man nur wenige Minuten später ein Abschiebegesetz unter dem euphemistischen Namen „Rückführungsverbesserungsgesetz“ (AfDler nennen das „Remigration“), das de facto Abschiebungen erleichtern und Seenotrettung oder andere Hilfen noch mehr kriminalisieren soll. 2023 gab es schon 27 % mehr Abschiebungen als im Vorjahr. 16.430 Menschen wurden letztes Jahr aus Deutschland ausgewiesen. Mit der immer weiter andauernden Aushöhlung des Asylrechts, wird diese Zahl in den kommenden Jahren nur weiter ansteigen. Und das während die Bundesregierung munter weiter Waffen in Konfliktregionen und an autoritäre Regime liefert und die Fluchtursachen immer wieder von neuem erschafft.

Dass Hunderttausende aktuell auf den Straßen sind, ist ein wichtiger Schritt im antifaschistischen Kampf. Dass alle bürgerlichen Parteien  jetzt versuchen, darauf anzuspringen, ist nicht verwunderlich, wenn wir uns die Politik der vergangenen Jahre dieser Parteien anschauen. Denn sie alle versuchen sich an den sozialen Bewegungen zu nähren und Stimmen zu gewinnen. Für sie bedeutet Demokratie nur einige Sitze im Parlament. Doch Demokratie ist mehr als nur kapitalistische Verteilung von Reichtum und Sitzen. Die Frage, die im Raum steht, ist die soziale Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Eine Gesellschaft, die nicht Egoismus, Hass, Spaltung und Hetze als ihre Grundlage nimmt, sondern eine soziale, gerechte und gleichberechtigte Welt erschaffen möchte, damit Werktätige, Kinder, Frauen, Jugendliche, Rentner, Migranten, Geflüchtete und viele mehr in Einheit und Freiheit selbstbestimmt leben können. Und das ist nur dann möglich, wenn man sich zusammenschließt, ohne Unterschiede zwischen Herkunft, Religion oder Hautfarbe zu machen!

 

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