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Ringe der Solidarität

Cigdem Ronaesin
18 Jahre sind seit dem 29. März 1993 vergangen. Ein Tag, der in die Weltgeschichte eingegangen ist. Denn an diesem Tag wurde das Haus der Familie Genc in Solingen von vier Jugendlichen, die rechtsextremen Gruppierungen angehörten, in Brand gesteckt. An diesem Tag verloren in dem Haus fünf junge Menschen ihr Leben: Hülya Genc (9), Gülüstan Öztürk (12), Hatice Genc (18), Gürsüm Ince (27) und Saime Genc (4). Ein Ereignis, das die ganze Welt traf. Denn es war eine Verletzung der Menschenrechte und ist bis heute ein Schandfleck in der Geschichte Solingens. „Es ist eine weltweite Geschichte gewesen. Ist bis in die hintersten Winkel der Welt gegangen. Solingen wird immer damit in Verbindung gebracht. Der Bürger kann jedoch nichts dafür“, sagt ein Einwohner aus Solingen, der das Ereignis damals mitbekommen hat. Die Täter wurden sehr schnell festgenommen. Es waren vier junge Männer zwischen 16 und 23 Jahren aus der Solinger Neonazi-Szene. Diese wurden nach vielen Verhandlungstagen zu Jugendstrafen verurteilt und führen heute frei ihr Leben in Solingen. Einige unter ihnen bestreiten die Tat bis heute noch. Alles, was übrig geblieben ist, ist Staub und Asche, Trauer und Angst. „Bis heute ist die Geschichte nicht abgeschlossen. Wir leben immer noch in Angst. Diese Angst sollte langsam verschwinden. Beide Nationalitäten leben hier und sollten gemeinsam ohne Angst leben können“, sagt ein altes Ehepaar mit türkischem Migrationshintergrund.
Mit diesem Vorfall ist die Geschichte hunderte Jahre alte Geschichte von Solingen in Vergessenheit geraten. Im Mittelalter war Solingen bekannt für die Schwertproduktion. Nachher wurde die Stadt zum Zentrum der Messerproduktion. Viele scharfe Werkzeuge wurden dort hergestellt, doch der Brand in Solingen hat seitdem ein anderes Licht auf die Stadt geworfen. Auch wenn die Stadt mit Neonazis asoziiert wird, wäre es nicht gerecht, die Geschichte einseitig zu beleuchten. Denn, seither gibt es viele Schritte und Versuche, den Brandanschlag nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zahlreiche Demos und andere Veranstaltungen finden statt. So ein Beispiel ist auch das Mahnmal. Somit wird auch die Geschichte der Schwert- und Messerproduktion der Stadt deutlich.
„Die Jugendlichen hätten auch von uns sein können“
Ein Jahr nach dem Brandanschlag wird von der Stadt Solingen der Beschluss gefasst, dass ein Mahnmal vor die Mildred-Scheel-Schule, die Hatice Genc besucht hat, gebaut werden soll. Somit soll die Stadt niemals vergessen, was der Rechtsextremismus und der Menschenhass bewirken können. Zugleich soll das Mahnmal dafür sorgen, dass die Opfer des Brandes niemals vergessen werden. Um das Mahnmal anzufertigen, startete die Stadt einen Wettbewerb. Die Solinger Jugendhilfe-Werkstatt gewann den Wettbewerb und somit steht ihr Projekt seit 17 Jahren vor der genannten Schule. Die Werkstatt besteht aus Jugendlichen verschiedener Herkunft. Dort arbeiten sie zusammen an verschiedenen Projekten und stellen gemeinsam etwas her, ohne auf die Hautfarbe, Religion und Herkunft zu achten. Wir fragen Herrn Grunwall aus der Werkstatt, der an der Herstellung des Denkmals beteiligt war, was die Bedeutung dessen ist. „Nach dem traurigen Vorfall sahen wir es als unsere Aufgabe an, etwas anzufertigen. Denn sowohl die Opfer als auch die Täter waren junge Menschen. Es hätte auch jemand aus unserer Werksatt sein können. Die Frage war, wie wir unsere Empörung mit einem Werk darstellen konnten“, antwortet er. Deshalb sind jetzt vor der Schule ein Mann und eine schwangere Frau abgebildet, die den Ursprung des Lebens symbolisieren sollen. Eine Familie, die geschützt werden muss. Diese zwei Figuren ziehen an einem Hakenkreuz und brechen es durch die Mitte. „Denn schließlich ist der Mord mit Neonazi-Hintergrund begangen worden“, so Bernd Grunwall.
Zusammentun wie die Ringe
Es sind nicht nur die Figuren, sondern zahlreiche Ringe um die Figur herum. Das Besondere an dem Mahnmal ist, dass es seit Jahren wächst. Denn es kommen immer wieder Ringe hinzu. Ringe, auf denen Namen von Menschen stehen, die diesen Fall verachten und hinter diesem Mahnmal stehen. Die ersten fünf Namen sind von den Opfern. Die Anzahl sei unwichtig, da es um das Gesamtbild gehe. Schätzungsweise liegt die Zahl bei 5000 bis 6000, aber das Interesse sei nicht mehr so wie am Anfang, sagt Grunwall. „Erst wollten wir die Ringe so weit bis nach oben weiterführen, bis die Figuren verdeckt sind, damit sich der Fall nie wieder wiederholt. Die Menschen, die einen Ring mit ihrem Namen machen, sollten das Gedankengut der Neonazis einsperren“, fährt er fort, „doch dann haben wir beschlossen dies nicht zu tun, da der Fall immer sichtbar sein soll, damit solche Ereignisse nie wieder passieren.“ Es gebe natürlich auch bekannte Persönlichkeiten, die einen Ring machen lassen haben, doch es ginge um den normalen Bürger. Er solle sich gegen dieses Gedankengut stellen. Es ist sehr einfach, ein Teil dieses Mahnmals zu sein. Jeder, der sich gegen Rechtsextremismus einsetzt, kann sich für 5€ einen Ring mit seinem Namen machen und diesen an dem Mahnmal festigen lassen.
Von Solingen nach Sivas…
Auch wenn das Mahnmal mehr symbolisch ist, bleibt das Ereignis dennoch in Erinnerung und die Stadt steht zu ihrem Schandfleck. Doch was in der türkischen Stadt Sivas passierte, war alles andere als solidarisch. Genau 35 Tage nach Solingen ereignete sich ein ähnlicher Fall in dem Hotel Madimak in Sivas, dessen Name auch bei vielen Menschen schlimme Erinnerungen hoch kommen lässt. Am 2. Juli 1993 sind in dem Hotel 33 Menschen alevitischen Glaubens ums Leben gekommen, weil das Hotel von religiös motivierten Tätern in Brand gesetzt wurde. Heute nach 18 Jahren schweigt man eher darüber, als dass man ein Mahnmal anfertigen lässt. Erst vor kurzem wurde es verhindert, dass der Ort, an dem der Mord an 33 Menschen stattgefunden hat, als Restaurant benutzt werden darf. Natürlich ist ein Mahnmal nicht die Lösung aller Probleme, weder in Solingen noch in Sivas. Seitdem haben viele weitere rechtsextremistisch motivierte Anschläge stattgefunden. Aber dennoch ist es ein Zeichen, das gesetzt werden muss.
Es ist eine Heuchelei von türkischen und deutschen Politikern, jedes Jahr nach Solingen zu reisen, um den Opfern nachzutrauern, solange sie ihre rassistische Politik nicht ändern! Denn mit ihrer diskriminierenden und unsozialen Politik düngen sie den Boden, auf dem Rassisten, Nationalisten und Nazis wachsen können, sowohl Türkische, als auch Deutsche!

Jugendhilfe Werkstatt – Wir sind ein Team

Nicht nur das Mahnmal nach dem Brandanschlag in Solingen ist ein Werk, welches aus der Werkstatt entstammt, sondern viele andere auch. Weitere Beispiele sind zum einen die Skulptur „Freundschaft“, die durch verschiedene Farben ein humanitäres Weltbild, Toleranz und Freundschaft darstellen soll und zum anderen ein Mahnmal, das für die verschleppten Sinti-Familien, die in Auschwitz ermordet wurden.
Als die Jugendhilfe-Werkstatt 1986 gegründet wurde, hatte sie sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen, die sozial benachteiligt sind, eine Perspektive zu bieten. „Sie bringen nicht die besten Vorraussetzungen für eine rosige Zukunft mit, besitzen keinen Hauptschulabschluss und keine Lehre, haben keine Arbeit und es fehlen Deutschkenntnisse“, so steht es auf ihrer Homepage geschrieben. Heute 25 Jahre nach ihrer Gründung können sie auf eine stolze Vergangenheit zurückblicken. Sie gaben über 500 Jugendlichen aus verschiedenen Ländern zwischen 15 und 18 Jahren die Möglichkeit, ihren Hauptschulabschluss zu erwerben, Fähigkeiten in den Werkbereichen zu entwickeln und gemeinsam etwas für die Freundschaft der Nationalitäten und Kulturen zu schaffen.
Die Jugendlichen bekommen in der Werkstatt unter der Anleitung verschiedener Pädagogen Unterricht und können ihre schulischen Defizite aufarbeiten und ihren Hauptschulabschluss nachholen. „Die erlernten Fertigkeiten bilden die Grundlage, um sich auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. Verantwortung zu übernehmen, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen einzuüben, sind weitere Voraussetzungen für die Vermittlung in die Berufswelt“, und das sind auch die Eigenschaften, die sie ihren Schülern mit auf den Weg geben. Inzwischen können die Jugendlichen auch das Angebot der Kunst- und Metallgestaltung wahrnehmen. Auch Kochen, Förderunterricht und das Arbeiten mit Holz sind weitere Bereiche der Jugendhilfe-Werkstatt. Somit lassen die Gruppen ihrer Kreativität freien Lauf und es entstehen viele Kunstwerke, die an verschiedenen Orten der Stadt Solingen zu sehen sind. Wie die aktuelle Ausstellung von Don Quichotte.

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