Ende März verabschiedete der 20. Bundestag in seiner letzten Sitzung mit alten Mehrheiten eine Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse und zusätzlich ein „Sondervermögen“ in Höhe von 500 Milliarden Euro für Rüstung und „Infrastruktur“. Wieviel genau in marode Straßen, kaputte Bahngleise usw. davon gehen soll, ist allerdings noch offen. Der Beschluss, der auch vom Bundesrat bestätigt wurde, wird als „historischer“ Schritt in der „Zeitenwende“ bezeichnet. Er ist allerdings vor allem ein Schritt in Richtung Kriegstüchtigkeit. Die Art und Weise, wie er zustande gekommen ist, zeigt einmal mehr, dass Politiker bereit sind, die „Regeln“ der parlamentarischen, bürgerlichen Demokratie auszuhebeln, wenn es anders nicht passt.
Alev Bahadir
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine verfolgt die Bundespolitik ein aggressiveres Aufrüstungsvorgehen. Während Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten das 2-Prozent-Ziel der NATO nicht erreichen konnte, markierte die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ einen Wendepunkt. Zu Beginn noch mit Zuspruch großer Teile der Bevölkerung, die vom Krieg in Europa schockiert waren und Angst hatten, verabschiedete die Bundesregierung 100 Milliarden „Sondervermögen“, also neue Schulden für die Rüstung. Dieses Bestreben, endlich auch militärisch eine Vorreiterrolle zu spielen, wird bis heute immer weiter getrieben. Nun sei es die „Unberechenbarkeit“ von Trump und den USA, die weitere Aufrüstung nötig machen. Doch die Militärausgaben auf 3,5 % des BIP, wie es viele Spitzenpolitiker im Wahlkampf versprachen, zu setzen, geht nur mit den notwendigen Mehrheiten. Und da war das Problem.
Grundgesetzänderung im alten Bundestag – wo ist da die Demokratie?
Dass falls notwendig, die parlamentarische Demokratie, von eben ihren eigenen Vertretern ausgeklammert werden kann, haben wir in der jüngsten Vergangenheit bereits gesehen. Corona-Verordnungen wurden ohne Zustimmung des Parlaments erlassen, aber auch die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden erforderte wohl, wenn es nach der Bundesregierung geht, keine Bestätigung durch den Bundestag. Der neueste Coup reiht sich nahtlos hier ein. Am 23. Februar wurde ein neuer Bundestag gewählt. Die Mehrheiten haben sich deutlich verschoben. Mit insgesamt 328 von 630 Sitzen kommen die künftigen Koalitionspartner Union und SPD nur auf eine knappe einfache Mehrheit. Mit den Grünen zusammen haben sie 413 Sitze, also ebenfalls nicht die für Grundgesetzänderungen notwendige 2/3-Mehreit (für diese bräuchte es 420 Sitze). Aber am 25. März sollte sich bereits der neue Bundestag konstituieren, also was nun? So unglaublich es klingen mag, beschlossen Union und SPD im alten und abgewählten Bundestag, mit alten Mehrheiten, eine Grundgesetzänderung zu beschließen. Klagen dagegen, von LINKE und AfD, wurden vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. So entschieden eben mal so hunderte Abgeordnete, die für die kommenden vier Jahre nicht gewählt sind, über massive Veränderungen in der Schulden- und Aufrüstungspolitik. Auch wenn es laut Gerichten rechtens ist, ist die Frage danach, wie demokratisch sich unsere sogenannte „Demokratische Mitte“ verhält, schon lange offen und war sicherlich mit einer der Gründe, dass genau diese Parteien bei den Wahlen weniger Stimmen bekamen oder historisch schlechte Ergebnisse einfuhren.
Das Zünglein an der Waage
Auch im alten Bundestag hatten Union und SPD keine 2/3-Mehrheit. Die FDP und AfD hatten bereits erklärt, gegen die Reformierung der Schuldenbremse zu stimmen. Die LINKE stellte sich gegen ein Sondervermögen, das vor allem für die Aufrüstung genutzt wird. So blieben vor allem noch ein möglicher Kooperationspartner: die Grünen. Diese erklärten überraschenderweise kurz vor der Abstimmung, dass sie sich gegen die Grundgesetzänderung und das Sondervermögen positionieren wollten. Doch selbstverständlich ging es hier nicht um einen längst verloreneren und plötzlich wiedergefundenen Pazifismus, sondern um Taktik. Wohlwissend, dass sie benötigt werden, stimmten die Grünen schließlich doch zu, nachdem sie 100 Milliarden der Neuschulden für den Klima- und Transformationsfonds gesichert hatten. Somit schickten sie ein Zeichen ans eigene Wählerklientel und auch an die Industrie. Schließlich profitieren auch „energieintensive“ Unternehmen mit Subventionen in Milliardenhöhe von dem Fonds.
Abstimmung im Bundesrat – Ärger bei den LINKEN
Wie jedes Gesetz muss auch das 1 Billion Euro Schuldenpaket durch den Bundesrat bestätigt werden. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer müssen demnach den Gesetzesänderungen, die im Bundestag beschlossen werden, zustimmen. Vor allem bei einer Partei gab es da Aufruhr: der LINKEN. Denn diese ist in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern Koalitionspartner in der Landesregierung. Vor der Behandlung im Bundesrat hatte der Bundesvorstand der LINKE einen Beschluss gefasst, der eine „Ablehnung des Finanzpakets in den links mitregierten Ländern“ forderte. In einem offenen Brief forderten 2.500 LINKE-Mitglieder aus den beiden Bundesländern ihre Vertreter ebenfalls dazu auf, mit Nein zu stimmen. Doch beide Landesregierungen stimmten zu. Die Kritik an ihrem Vorgehen versuchten LINKE-Landesregierungsmitglieder aus Bremen und MV mit den „dringend notwendigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur der Länder“ und „Verantwortung für das Bundesland“ zu entkräften. Kritik gibt es dennoch reichlich. Auch wenn die Bundes-LINKE aktuell einen klaren friedenspolitischen Standpunkt einnimmt, wird die Friedensfrage sicherlich noch Diskussionen in den eigenen Reihen wecken.
Bevor er überhaupt zum Bundeskanzler gewählt worden ist, macht Friedrich Merz (CDU) deutlich, wohin es gehen soll: Krieg und Aufrüstung werden einer der Eckpfeiler der kommenden Regierung sein. Wo Kosten eingespart werden sollten hingegen, machte Merz auch bereits im Wahlkampf deutlich: bei den Schwächsten der Schwachen. Bei Geflüchteten, Bürgergeldempfängern und auch bei Werktätigen.