Die Bilder der vergangenen Tage sind atemberaubend. Knapp 1 Million Menschen waren gegen die Politik der AfD und gegen Rassismus bundesweit auf den Straßen. Junge und alte, Familien mit Kindern, Frauen und LGBTQs, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Überall bunte Schilder, die deutlich machen, man werde sich gegen die AfD wehren. Schon lange waren in Deutschland nicht mehr solche Massen auf Demonstrationen und Kundgebungen. Vergleichbar waren nur die globalen Klimastreiks von Fridays for Future oder die „Unteilbar“-Bewegung, die jedoch mehrere Jahre zurückliegt. Es gibt also Hoffnung. Aber die Proteste werden sich nur dann nicht im Sande verlaufen, wenn die sozialen Gründe des Erstarkens von Rechts und die richtigen Kämpfe dagegen aufgezeigt werden.
Auslöser der Proteste waren die Enthüllungen des Recherchekollektivs „Correctiv“ Mitte Januar. Sie zeigten durch die Dokumentation eines Geheimtreffens in Potsdam die Verflechtungen zwischen AfD, Werteunion, Identitären und der Wirtschaft auf. Neben Absprachen zur kreativen Spendenbeschaffung und dem Auftritt von Rechts auf Social Media, dominierte vor allem ein Thema: die gezielte Abschiebung von Geflüchteten, Migranten (egal mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft) und Menschen, die sich solidarisch mit ihnen zeigen, nach Nordafrika. Sie nannten es „Remigration“. Der in diesen Kreisen eher beliebte und häufig benutzte Ausdruck ist aber eher „Deportation“.
Diese Veröffentlichung sorgte für Bestürzung in der Bevölkerung. Die inhaltliche und durch den gewählten Ort auch räumliche Nähe zur NSDAP und der Wannsee-Konferenz war zu viel. Auch wenn die AfD schon länger als gesichert rechtsradikal gilt, hat die Recherche nochmal deutlich vor Augen geführt, wie die politische Rechte arbeitet. Bereits in den Tagen nach der Veröffentlichung sind spontan Zehntausende Menschen auf die Straßen gegangen. Die Demokratie gelte es zu beschützen und die AfD sei eine Gefahr für die Demokratie, so die meisten.
Tatsächlich ist die Gefahr von Rechts so akut, wie schon lange nicht mehr. Bei den Wahlen, die 2024 in einigen Bundesländern, Kommunen und im Europaparlament stattfinden, zeigen Prognosen hohe Zustimmungswerte für die AfD voraus. Die Rede ist von über 20 %, in einigen Bundesländern sogar über 30 %, was sie zur stärksten Kraft in so manchem Landesparlament werden lassen kann. Nach der Correctiv-Recherche fordern immer mehr Stimmen eine klarere Abgrenzung nach Rechts und ein Verbot der AfD. Beides berechtigte Forderungen, die aber einer ehrlichen Diskussion bedürfen.
Was passiert, wenn eine Partei, die momentan teilweise 30 % der wahlberechtigten Bevölkerung wählen würde, verboten wird? Ändert das etwas an den 30 %? Kehren die Menschen dann in die sogenannte „politische Mitte“ zurück? Das Gespräch um das Verbot der AfD kann nur geführt werden, wenn die Gründe für ihr Erstarken ebenfalls Teil dieser Unterhaltung sind.