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Spekulieren auf den Tod

 

Arnold Schölzel

 

Das Spekulieren mit sogenannten Wertpapieren auf höhere Preise von Nahrungsmitteln findet in der veröffentlichten Meinung hier und da einen kritischen Widerhall. Der Zusammenhang zwischen Zehntausenden Hungertoten in Ostafrika wie im Jahr 2011 und den Vorgängen an den Börsen der kapitalistischen Hauptländer gilt ansonsten in „Wirtschaftsnachrichten“ der großen Medien als nicht vorzeigbar. Spekulation als solche allerdings wird dort als Segen für die Welt behandelt. Dementsprechend wird Zocken gegen Länder der Euro-Zone mit der Vokabel »Staatsschuldenkrise« auf den Kopf gestellt und wärmstens befürwortet, obwohl es z. B. in Griechenland für viele, insbesondere für Kinder, längst auch Hunger bedeutet. Aber die deutsche Bundeskanzlerin gab 2010 den deutsch-nationalen Konsens wieder, als sie befand, die Euro-Südstaaten seien urlaubswütig und arbeitsscheu, also selbst schuld, wenn ihnen aus Berlin nun Armut per Gesetz diktiert wird.
Obszönitäten dieser Art stören hierzulande kaum, weil Informationen über sie sorgfältig von der Mehrheit der Bevölkerung ferngehalten werden. Hochmoralische Erregung löste dagegen eine Meldung des Spiegel vom 6. Februar aus: Die Zeitschrift berichtete – wie schon 2009 und 2010 – vom Anlagefonds »db Kompass Life 3« der Deutschen Bank, bei dem auf die Lebenserwartung von 500 US-Amerikanern gewettet wird. Selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung sah sich einen Tag danach zu der Schlagzeile veranlaßt: „Ärger über Deutsche Bank wegen Lebensdauerzertifikat“. Sie gab in der Unterzeile aber auch die einzuschlagende Marschrichtung an: „Policenaufkäufer: Moralische Erwägungen sind fehl am Platz“.

Es geht um einen von drei Fonds der Bank, der nach Schätzung der FAZ mehr als 200 Millionen Euro bei Anlegern eingesammelt hat. Verkauft wurden Zertifikate, die laut einer Informationsbroschüre über den Fonds auf einem „Portfolio“ von diesen 500 US-Bürgern basieren, die zwischen 70 und 90 Jahren alt sind. Ihre Gesundheitsdaten seien vor der Aufnahme in das Referenzportfolio durch zwei externe Gutachten beurteilt worden. Leben diese »Referenzpersonen« durchschnittlich um maximal zwölf Monate länger als die medizinischen Gutachter geschätzt haben, ergibt das eine Rendite von etwa 8,45 Prozent jährlich. Erreichen sie durchschnittlich 24 Monate mehr Lebenszeit, beträgt das Plus für die Anleger nur noch drei Prozent im Jahr usw. Die Referenzpersonen werden von der Deutschen Bank ausgesucht und regelmäßig von einer »Tracking Company« kontaktiert.

Nun werfen Anleger der Bank vor, daß die medizinischen Gutachten auf der Grundlage veralteter Sterbetafeln erstellt worden seien, d. h. es habe Prospekt- und Beratungsfehler gegeben. Im Klartext: Die Leute leben zu lange. Der Anwalt, der die Anleger vertritt, empört sich laut FAZ darüber, daß im Ergebnis „allein die Bank eine Rendite erzielen könne“.

Dieser Sorge um Profit nahm sich die Ombudsstelle des Bundesverbandes deutscher Banken an. Sie lehnte ein Schlichtungsverfahren ab, weil ein Gericht klären müsse, ob die »Wette auf die Lebensdauer eines ausgewählten Personenkreises nicht gegen sich aus unserer Sittenordnung ergebende Verhaltensverbote verstößt«. Die Ombudsstelle verstieg sich sogar zu der Auffassung, der Fonds sei »kaum« mit der »Unantastbarkeit der menschlichen Würde« in Einklang zu bringen.

Bei »unserer Sittenordnung« sind »wir« nämlich pingelig, bei einigen hunderttausend Toten durch Krieg und Hunger, die bei einem Renditeziel (wie dem der Deutschen Bank) von 25 Prozent einkalkuliert sind, herrscht Schweigen.

Denn Spekulation – siehe oben – ist gut. Klärt ein Gericht, ob Spekulieren auf Tod sittenwidrig ist, erhalten die Spekulanten ihr Geld zurück. Und können das so gerettete Kapital aussichtsreich in neue Spekulationen werfen. Die Welt ist wieder in Ordnung, auch wenn die Nahrungsmittelpreise und die Zahl der Hungertoten weiter steigen. Moralische Erwägungen sind fehl am Platz.

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