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Sprache als Massenvernichtungswaffe: Gezi und die Hasspolitik

erdogan

Es klingt womöglich unglaublich, ist aber wahr: In der Türkei gibt es die “Plattform für kulturell-genetische Untersuchungen und Diagnsoen”. Ihr Ehrenvorsitzender Deniz Sar warnte in seiner kürzlich in der Zeitung “Vakit” abgedruckten Erklärung vor dem Entwurf eines Gesetzes zur Bestrafung der Volksverhetzung, der in dem Reformpaket zur Demokratisierung enthalten ist. Danach soll der Entwurf aus der Feder von Juden bzw. Israelis stammen. Betroffen seien von dem genannten Straftatbestand in der Türkei lediglich Muslime und die Befürworter des Islam. Und die großen Mediengruppen, die den Gesetzentwurf unterstützten, seien eng mit den Lobbys der Juden eng verflochten. Ferner bezeichnet er in der Stellungnahme die Gezi-Proteste als einen “dreisten Aufstandsversuch, hinter dem der internationale Zionismus und seine Handlanger in der Türkei stecken”.

Aus welcher “kulturellen Genetik” sich dieser Ehrenvorsitzende, der in einem Atemzug derart viele antisemitische Äußerungen macht und sich dann darüber beschwert, die Opfer der Volksverhetzung seien ausschließlich die Muslime, ideell nährt, ist mir nicht bekannt. Ob es eine “kulturelle Genetik” ist, die Anderslebende zu Feinden erklärt, sich aus der Polarisierung der Gesellschaft nährt, die Vernichtung Andersdenkender für legitim erklärt, den Kampf der “Anderen” um Rechte kriminalisiert, Freiheiten nur für sich und seinesgleichen beansprucht?…

Die Zeitung Vakit (ehemals Akit) und ihre als “dummes Zeug” abgetanen Hetzartikel als Ausdruck systematischer Volksverhetzung sind ja hinlänglich bekannt. Ihre Hetze ist allerdings nach Beginn der Gezi-Proteste leider auch von AKP-Anhängern und liberalen Intellektuellen übernommen und in die Alltagssprache transferiert worden. Aus den Gezi-Protesten machten sie einen “Aufstand” (im pejorativen Sinne). Die Protestierenden wurden auf “Vertreter eines teuflischen Gedankenguts” reduziert. Die Opfer der Polizeigewalt wurden zu “Militaristen”, “unmoralischen Aggressoren” erklärt und somit die Polizeigewalt legitimiert.  
Die Volksverhetzung kann man in drei Kategorien untersuchen: 1. Die Definition des “Anderen” mit ehrverletzenden Stereotypen; 2. Die Dämonisierung des “Anderen”; 3. Die Förderung der Gewalt gegen den “Anderen”.

Diejenigen, die die Gezi-Protestierenden als “Akteure eines militaristischen Aufstands” bezeichnen, tun genau dies. Sowohl in den Mainstream-, als auch in den sozialen Medien, den verschiedensten Wiki-Plattformen und den Mailverteilern verfolge ich seit den Gezi-Protesten die Diskussionen. Ich analysiere die Sprache, die die AKP-Anhänger und manche liberalen Intellektuellen bei der Beschreibung der Proteste und deren Teilnehmer einsetzen. Und es schaudert mich. Nach Ansicht derer, die die Proteste als einen “Aufstand” bezeichnen, steckt dahinter eine “Geisteshaltung”, die in unserer Region für das “Böse” steht. Die Aufständischen beklagen sich über eine Repression. Dabei geht es ihnen hauptsächlich darum, “dass die Muslime keine Repressionen mehr erfahren. “Diese Leute” sind “wild” und “aggressiv”. Sie sind “wütende und dunkle Gestalten, unmoralisch, reaktionär und primitiv”. Sie tolerieren es nicht, dass Muslime dieselbe Luft einatmen. Sie wollen mit “Gewalt” die Regierung stürzen. “Diese Leute” sind Militaristen. “Diese Leute” sind CHPler. Sie hätten beinahe das Office des Ministerpräsidenten in Istanbul gestürmt und ihm Schaden zugefügt. “Diese Leute” reden von Freiheit und wissen nicht, was es ist. Sie gehen der Nation auf  “die Nerven”. Sie betreten die Moscheen mit Schuhen und trinken dort in gemischten (Frauen und Männer) Gruppen Alkohol. Sie üben Gewalt gegen Frauen mit Kopftuch aus. Fromme Menschen trauen sich wegen der Angst vor militaristischer Gewalt nicht mal mehr auf die Straßen. “Diese Leute” inszenieren ihren eigenen Tod und lassen sich töten, um zu beweisen, dass sie im Recht sind. “Diese Leute” freuen sich über jedes weitere Todesopfer. Mit dem Tod von Ahmet Atakan haben sie diesen “Prozess” eingeläutet. Sie sollen der “Nation” nicht weiter auf die Nerven gehen, wenn sie nicht eine “schmerzhafte Rache” erleiden wollen.
“Andersdenkende und -lebende” zu Feinden zu erklären, wie wir das in der politischen Sprache bezüglich der Gezi-Proteste erleben, ist nichts anderes als Volksverhetzung. Hier wird zunächst eine politische Sprache produziert, die durch Stigmatisierungen und Stereotypen unterstützt wird. Dann werden alle Gruppen, die in Opposition zur Regierung stehen (also auch die Gezi-Protestierenden) als eine Einheit dargestellt und zu Feinden erklärt. Anschließend wird jede Gewalt legitimiert, die man gegen sie anwendet. Ob sie zu deren Unterstützern gehören oder nicht, werden alle zu Anhängern der Oppositionspartei erklärt. Alle Gegner der Regierung werden dämonisiert. Von dieser Volksverhetzung bekommt jeder AKP-Gegner seinen Teil ab. Indem man ein Bild von Gezi-Protestierenden als Akteure eines von Verschwörern angezettelten Aufstands zeichnet, stärkt man eine Politik, die die Religion instrumentalisiert. Die Forderungen der Familienangehörigen von getöteten Demonstranten alevitischen Glaubens werden als “geeignet für die Anzettelung eines Aufstands der Aleviten” diskreditiert und damit die Grundlage für einen Konfessionskonlikt geschaffen.

Das I-Tüpfelchen wird gesetzt, indem man die Gezi-Proteste zum “Werk einer zionistischen Lobby” erklärt und deren Teilnehmern vorwirft, jetzt das Gesetz zur Bestrafung der Volksverhetzung zu befürworten. Besonders bemerkenswert ist, dass die Regierungspartei diese Volksverhetzung unterstützt. Deshalb fragt man sich unweigerlich, wie diese Regierung ein Gesetz zur Bestrafung der Volksverhetzung verabschieden will. Die Opfer der Volksverhetzung in unserem Land sind nicht nur die Muslime. Eine Gesetzesregelung, die von dieser falschen Wahrnehmung ausgeht, wird lediglich zur weiteren Polarisierung der Gesellschaft beitragen.

Die Volksverhetzung in der politischen Sprache ist ein Thema, über das man auch in Europa diskutiert. In Frankreich und Dänemark werden Politiker und Medien, die gegen Roma und Sinti und Muslime hetzen, angeprangert. Man diskutiert über neue Gesetze, um die Hetze gegen ethnische, nationale, religiöse Gruppen zu verhindern und Diskriminierungen zu unterbinden.

 

Esra Arsan

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