Tonguc Karahan
Auch wenn der dreitägige „Döner“-Besuch des deutschen Bundespräsidenten in der Türkei keinen „Wendepunkt“ in den Beziehungen zwischen beiden Ländern darstellte, so war es doch ein Besuch, der die gegenseitigen Erwartungen, Bedürfnisse und Abhängigkeiten unterstrich und moderate Botschaften für die nahe Zukunft der Beziehungen hervorhob. Wenn wir die Beziehung der beiden Länder aus der Vogelperspektive betrachten, können wir sagen, dass die „abweisende“ Haltung der Erdoğan-Regierung, die durch die turbulente und angespannte internationale Situation und die wirtschaftlichen Probleme in letzter Zeit weiter vertieft wurde, in den kommenden Tagen durch eine „Einigung auf eine realistischere und harmonischere Zusammenarbeit“ ersetzt werden wird. Das Bemühen Deutschlands, diese Schwäche in eine Chance zu verwandeln, war eigentlich das Resümee von Steinmeiers Besuch.
Obwohl die Inhalte des dreitägigen Besuchs von Bundespräsident Steinmeier in der Türkei durch den 60 kg schweren Döner in den Schatten gestellt wurden, handelte es sich nicht nur um einen einfachen diplomatischen oder touristischen Besuch. Der Besuch führte nicht zu konkreten Vereinbarungen, neuen Kooperationen oder neuen Schritten zwischen Deutschland und der Türkei, die beide auf eine lange Geschichte und weitreichende wirtschaftlich-militärisch-soziologische Beziehungen zurückblicken können. Jedenfalls hatte Steinmeier, der kein Exekutivamt bekleidet, solche Ziele nicht auf seiner Agenda. Im Mittelpunkt des Besuchs stand das Bemühen, sich gegenseitig die Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen beider Seiten für die Zukunft in Erinnerung zu rufen und in diesem Rahmen die Grundlagen für eine Stärkung der bilateralen Beziehungen zu festigen. Tatsächlich haben beide Seiten darauf geachtet, in vielen kontroversen Fragen moderate und zukunftsweisende Botschaften zu übermitteln, anstatt Erklärungen abzugeben, die die andere Seite ermüden und in Schwierigkeiten bringen würden.
“Unverzichtbare Partner”
Deutschland hofft und wünscht, dass die türkische Regierung von dem schleichenden, opportunistischen und unsicheren Weg, den sie unter Ausnutzung der internationalen Spannungen eingeschlagen hat, abrückt und eine harmonischere und stabilere Position einnimmt, die näher an der europäischen und westlichen Achse liegt. Auf der anderen Seite möchte die Türkei die Gelegenheit nutzen, aus den Krisen rauskommen, in denen sie sich befindet. Begleitet wird diese Gelegenheit von einem „win-win“-Versprechen beider Seiten. In diesem Zusammenhang war es nicht zufällig und nicht unbedeutend, auf die 100-jährige Geschichte der Freundschaft zu verweisen, auf die humanitären Brücken, die mit der Arbeitsmigration vom Bahnhof Sirkeci aus geschlagen wurden, auf die in der Türkei eingerichteten Lehrstühle, an denen vor dem Hitler-Regime geflohene Schriftsteller und Akademiker Zuflucht fanden, und natürlich auf den türkischen Döner, der zu einem Symbol der deutschen Küche geworden ist. Steinmeier, der diese Botschaften bei seinen Treffen in Istanbul, Antep und Ankara betont hatte, schloss sein Treffen mit Erdoğan auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit den Worten: „Kein anderes Land der Welt hat so intensive freundschaftliche und familiäre Beziehungen zu Deutschland…. Als zwei Länder sind wir füreinander unentbehrlich, wir brauchen einander“.
Heuchelei in der Frage um Israel
Der Besuch zeigte jedoch einmal mehr, dass beide Seiten in der Lage sind, durch geschickte – oder besser gesagt heuchlerische – Diplomatie zumindest die rauen Kanten zu ignorieren.
Beide Seiten betonten eher ihre gemeinsamen Positionen zu Israel und Palästina als ihre Differenzen. Die offizielle deutsche Politik, die in Deutschland mit der geringsten Kritik an der israelischen Regierung und dem humanitären Drama in Palästina sehr hart umgeht, versuchte, weichere Botschaften zu vermitteln, mit Betonungen wie „dauerhafter Frieden in der Region, Zweistaatenlösung, humanitäre Hilfe“. Interessant sind in diesem Zusammenhang die folgenden Sätze Steinmeiers in seiner Pressekonferenz, die in Deutschland für Kritik gesorgt hätten: „Wir müssen die humanitäre Situation in Gaza verbessern … Ohne eine politische Perspektive für die Palästinenser kann es mittel- und langfristig keine Sicherheit für Israel geben. Diese politische Perspektive kann am Ende nur eine Zweistaatenlösung sein, und wir müssen wieder Schritte in diese Richtung gehen“.
Auch die Erdogan-Seite zog es vor, harmonisch zu erscheinen, anstatt innenpolitisch eine scharfe antiisraelische Haltung einzunehmen. Tatsächlich sind diese Manöver für die Regierung Erdogan, die alle möglichen wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel unterhält und sich gleichzeitig als entschieden propalästinensisch präsentiert, eine ganz normale Flexibilität, mit der sie keine Schwierigkeiten haben wird! Die Haltung der Türkei zu Israel und Palästina ist Deutschland und Europa im Allgemeinen nicht unbekannt und unverständlich. Im Gegenteil, diese „Flexibilität“ ist diplomatisch sogar sehr wertvoll. Denn für die Türkei ist es wichtig, als Regionalstaat über eine Option zu verfügen, die bei Bedarf in die Planungen der westlichen Staaten als Vermittler einbezogen werden kann. Die Regierung Erdoğan ihrerseits ist zu solchen Aufgaben mehr als bereit.
Deutschland profitiert in der Freundschaft der ungleichen Partner
Man kann sagen, dass die Tatsache, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Themen lenkten, bei denen sie trotz ernsthafter Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeiten können, wie z.B. die Ukraine und Israel, ein Zeichen für den Charakter des Besuchs war. Hervorzuheben ist hier die Botschaft der deutschen Seite an die Türkei: „Wenn Sie in Harmonie mit uns handeln, werden Sie auch davon profitieren“.
Natürlich geht es Deutschland nicht um den Gewinn für die Türkei, sondern um das Kalkül, dass der Einstieg in die angestrebte Partnerschaft mehr Vorteile für sich bringt. Und angesichts der regionalen Lage, des wirtschaftlichen Verwertungspotenzials und tief verwurzelter soziologischer Bindungen, wie die über 3,5 Millionen Türkeistämmigen in der BRD, ist es für Deutschland wichtig, dass ein solch vorteilhaft-nützlicher Partner nicht vom Weg der Achse abweicht, sondern im Gegenteil als loyaler und hilfsbedürftiger Freund gehalten wird. Beispiele für kurzfristige Lösungen, wie die Rolle der Türkei bei der Begrenzung der Geflüchtetenbewegung, sind in der Tat eine bestätigende Erfahrung für Deutschland.
Und Deutschland plant längerfristig: Aus diesem Grund waren die Fotos mit den Bürgermeistern der Opposition und dem Vorsitzenden der CHP, die auf Alternativen zu Erdoğan hinwiesen, ein zentraler Bestandteil des Türkei-Besuchs. Mit diplomatischer Finesse wurde somit die politische Zukunft der Türkei angedeutet. Diese Treffen mit den aussichtsreichsten Kandidaten für die politische Macht nach Erdoğan, der bei den Kommunalwahlen eine empfindliche Niederlage erlitt, wurden diplomatisch übersetzt als: „Wir erkennen seine Schwäche an und im Gegensatz zu früher gibt es nun Alternativen.“