Written by 21:00 HABERLER

Tote Mädchen lügen nicht

Cigdem Kardelen

Die amerikanische Serie „13 Reasons Why“ (13 Gründe warum) ist seit Ende März auch in Deutschland über Netflix unter dem Namen „Tote Mädchen lügen nicht“ verfügbar. In der 13-Folgen-Serie geht es um ein Mädchen, das an der High School ist und sich am Ende umbringt. Vor ihrem Selbstmord hat das Mädchen 13 Hörkassetten aufgenommen, auf denen sie erklärt, warum sie sich das Leben genommen hat. Es sind 13 Aufnahmen und 13 Gründe. In jeder Folge wird ein Grund genannt und die damit zusammenhänge Person wird namentlich genannt. Clay Jensen (Dylan Minnette), ein Mitschüler von Hannah und ihr Schwarm, erhält in der ersten Folge ein Päckchen mit den 13 Aufnahmen. Er hat die Aufgabe, wie jeder, der die Kassetten hört, die Kassetten am Ende weiterzugeben. Auf den Kassetten werden viele Geheimnisse aufgedeckt, mit denen die beteiligten Mitschüler nicht mehr klar kommen, auch Clay Jensen nicht, der selber auch benannt wird. Die Geschichten ergänzen sich immer mehr und Hannah sieht sich als Mobbingopfer, das keinen Anschluss an der neuen Schule findet. Schließlich sieht sie die Lösung darin, sich das Leben zu nehmen.

Eine umstrittene Serie

Die Serie ist nach dem gleichnamigen Roman von Jay Asher gedreht worden und soll Mobbingopfern an amerikanischen Schulen eine Stimme geben. Deshalb wird der Roman schon seit Jahren auch an Schulen gelesen und thematisiert, auch in Deutschland. Die Serie ist jetzt schon sehr beliebt, aber auch genauso umstritten. Es gibt Stimmen, die der Auffassung sind, dass das Thema Mobbing in der Geschichte sehr gut aufgearbeitet wird. Andererseits sehen einige die Gefahr darin, den Teenagern, die bereits Probleme haben, den Weg zum Selbstmord zu öffnen. Einige Länder empfehlen sogar, dass die Serie nur mit Erwachsenen geschaut werden soll, um sich auch kritisch mit der ganzen Thematik auseinanderzusetzen.

Auf die Kritik und die Gefahren ist jedoch Netflix eingegangen und hat eine 25-minütige Dokumentation über die Hintergründe der Serie gemacht. Sie haben Selina Gomez, die Produzentin der Serie, die eigentlich Hannahs Rolle übernehmen sollte, alle Schauspieler, den Buchautor Jay Asher, verschiedene Psychologen und Schulsozialarbeiter interviewt, um aufzuzeigen, was sie dazu bewegt hat, diese Serie zu drehen. Sie wollen klarstellen, dass Hannah keineswegs als Heldin betrachtet werden kann, sondern als eine Protagonistin, die viele Baustellen hinter sich gelassen hat. In der Dokumentation wird auch erklärt, dass sie bewusst diese schmerzhafte Selbstmordmethode ausgewählt haben, um zu unterstreichen, dass Selbstmord nicht einfach ist. Auch die psychischen Probleme, die die Familie nach dem Selbstmord hat oder die Mitschüler, die sich das Leben nehmen, ins Gefängnis kommen, sollen die Konsequenzen zeigen.

Erstaunlich gut ist, dass die Mobbingopfer selber große Probleme in ihrem Leben haben, wie etwa, dass die Mutter ein Junkie ist und nicht hinter ihrem Sohn steht. Oder der alleinstehende Fotograf, der von anderen als Loser betrachtet wird. Nach dem Tod von Hannah geht die Fassade bei allen kaputt und sie bereuen fast alle am Ende ihre Tat. Der Zuschauer denkt sich beim Schauen: „Hätte es ein Gespräch doch zwischen den Beteiligten gegeben, wäre es nie so weit gekommen!“ „Hätte Clay seine Liebe gestanden, hätte Hannah sich das Leben nie genommen!“ Die Serie ist vielmehr ein Appell an die Täter und die Gesellschaft, als an die Opfer, genauer hinzuschauen. Bei Zeichen zu reagieren, anstatt auch einen drauf zu geben. Bei der Serie wird jeder einzelne in Verantwortung gezogen. Selbst Toni, der in den Kassetten zwar nicht verantwortlich gemacht wird und sogar dafür verantwortlich ist, dass die Kassetten weitergegeben werden, fühlt sich für den Selbstmord verantwortlich, weil er in der Serie mehrmals erwähnt: „Wir sind alle verantwortlich, dass sich Hannah das Leben genommen hat.“ Am Ende der Serie hat Clay diese Erkenntnis und geht zu einer Mitschülerin, die sich selber die Arme ritzt und befreundet sich mit ihr, um nicht auch hier zu spät zu reagieren.

20 Prozent aller Suizide werden wegen Mobbing unternommen

So umstritten die Serie ist, so wichtig ist das Thema. In der Dokumentation wird erwähnt, dass jeder zweite Tod der Teenager der Selbstmord aufgrund von Mobbing ist. Somit ist es längst hinfällig, dass man mit allen Mitteln dieses Problem bekämpfen muss. Nach einer Studie der Leuphana Universität Lüneburg ist jeder dritte Schüler (31,2 Prozent) Opfer von Mobbing. Und jeder zehnte Schüler (9,7 Prozent) sogar Opfer körperlicher Gewalt. Andersherum gefragt sind die Zahlen sogar höher. Als Mobbingtäter betrachten sich 37,2 Prozent der Befragten und 15 Prozent gaben zu, schon mal Gewalt gegen Mitschüler eingesetzt zu haben. Teilnehmende Schulen waren alle Schulformen in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen.

Doch, was bringt Opfer mit sich? Vielleicht ist die Situation in Deutschland nicht so schlimm wie in den USA, wo die High School als die schlimmste Phase im Leben eines Menschen bezeichnet wird, aber auch hierzulande tragen die Opfer schwerwiegende Konsequenzen, bis hin zum Suizid. Unter regelmäßigen Beschwerden wie Rücken-, Kopf-, Bauchschmerzen und Schlafstörungen sollen nach der Studie 14 Prozent leiden. Experten gehen davon aus, dass 20 Prozent aller Suizide wegen Mobbing unternommen wird. Das sind ca. 30000 Menschen. Psychische, psychosomatische Erkrankungen und soziale Defizite gehören zum Alltag der Opfer.

Die Zahlen nehmen mit jedem Jahr jedoch mehr zu. Ursache dessen ist vor allem Cybermobbing. Immer mehr junge Menschen verbringen ihren Tag vor dem PC und an ihren Handys. In sozialen Medien ist die Hürde, jemanden zu mobben, leider sehr gering. WhatsApp ist nach Experten eine der größten Mobbingmethoden. Kinder und Jugendliche, die vielen Dingen, eine andere Gewichtung geben als Erwachsene, leiden stark darunter, wenn es eine Klassengruppe gibt und sie nicht in diese aufgenommen werden. Oder wenn die Freundinnen über Dinge sprechen, die in der WhatsApp-Gruppe besprochen wurden, und man ist als einziger außen vor.

Diese Probleme werden in der Zukunft immer mehr die Gesellschaft beschäftigen müssen. Genau deshalb ist es wichtig, in Schulen und überall, wo junge Menschen ihre Freizeit verbringen, sich dem Thema zu widmen und sie gegen Mobbing stark zu machen und nach Handlungsalternativen zu suchen. Es fällt allen Lehrern, Psychologen, Schulsozialarbeiten, Ärzten und Eltern die Verantwortung, sich zu Experten zu machen und auf Zeichen für genug zu achten.

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