Written by 22:22 HABERLER

Über die Kämpfe im Hamburger Hafen

Interview mit Malte Klingforth

Malte Klingforth ist aktiver Kollege in der Gewerkschaft ver.di, Betriebsrat im Gesamthafenbetrieb Hamburg und im Rahmen seiner Arbeit auf allen HHLA und Eurogate Terminals im Einsatz. Er arbeitet seit 2008 im Hamburger Hafen. Wir haben mit Malte Klingforth gesprochen.

Die Kolleginnen und Kollegen befinden sich aktuell im Kampf gegen den Verkauf von 49,9 % der Aktien der städtischen Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) an die Schweizer Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC). Der Hamburger Senat jedoch hält klar an dem Verkauf fest. Zuletzt spitzte sich die Lage so weit zu, dass die Beschäftigten des HHLA-Terminal Burchardkai für fast zwei Tage in einen selbständigen Streik getreten sind, woraufhin der Senat auf die Gesprächsforderung eingegangen ist. Du bist auch Mitglied in der Gewerkschaft ver.di. Wie hast du sie erlebt? Hat sie den Streik unterstützt?

Wenn von ver.di die Rede ist, reden die meisten ja nur vom Apparat. Für mich sind ver.di erstmal wir aktiven Kollegen, die dort organisiert sind. Wir waren auf einem Betriebsratsseminar außerhalb der Stadt, als die Nachricht vom wilden Streik kam. Da sind wir abends natürlich sofort dahin. In der Vergangenheit hat ja die Gewerkschaft sowas zum Anlass genommen, um Leute rauszuschmeißen. So wie als sich 1951 nach einem wilden Streik der ganzen Kommunisten entledigt wurde. Diesmal ist es anders. Auch die Hauptamtlichen haben sich nicht gegen die Streikenden gestellt, auch wenn die Gewerkschaft zu dem Streik nicht aufgerufen hat, genauso wie wir Aktiven. Aber natürlich unterstützen wir den Kampf.

Wie kam es dazu und wie war die Beteiligung der Kollegen?

Mir wurde berichtet, dass sich das Ganze aus einer Pausenversammlung, mit der die Spätschicht am Burchardkai eingeläutet wurde, entzündete. Dort sollen Zahlen der HHLA mitgeteilt worden sein sowie dass die HHLA pleite sei. Das führte zu Entsetzen bei den Leuten, denn alle tariflichen und sozialen Zusagen sind hinfällig, wenn kein Geld da ist. So hat sich ein großer Teil der Kollegen der Spätschicht spontan zu dieser Streikaktion entschlossen. Das heißt, die Arbeit am Burchardkai konnte nicht mehr stattfinden, zumal auch die vorige Schicht nicht mehr da war. Zwar gab es keine 100 prozentige Beteiligung, aber es waren so viele, dass es ausreichend war, um den Betrieb stillzulegen.

Hatten sich die Kollegen der anderen Terminals dem Streik angeschlossen?

Die beiden anderen HHLA-Terminals haben ihre Arbeit nicht eingestellt. Da soll der HHLA-Vorstand auch schnell Tollerort und Altenwerder, also die beiden Terminals, besucht haben, um den Kollegen für das Weiterarbeiten zu danken.

Woran lag das?

Bei Tollerort haben wir einen Betriebsrat, der sich aktiv für den Einstieg der COSCO eingesetzt hat. Das heißt, dass die Mehrheit des Gremiums, wie ich finde, Reedereibeteiligungen insgesamt als auch in diesem konkreten Fall deutlich unterschätzen; sie unterschätzen, wie brutal dieser Kapitalismus auch ist. Die glauben, mit MSC wird man schon etwas Vernünftiges aushandeln können.

In Altenwerder sind die aktiven Leute eigentlich komplett auf unserer Seite, was den Deal angeht. Der Betriebsratsvorsitzende als auch die Vertrauensleute haben sich ganz klar geäußert. Ich weiß nicht, warum die nicht mitgestreikt haben.

Ist durch die räumliche Trennung der Funken vielleicht nicht übergesprungen? Oder war es ein bewusster Streikbruch?

Die Kommunikationskanäle sind mittlerweile relativ schnell und kurz. Aber ich glaube, es ist noch was anderes, in einer Versammlung zu sein, wo es eine Empörung gibt, wo man sich gegenseitig auch darin bestärkt, dass das jetzt der Weg sein muss. Über WhatsApp fehlt die Debatte, die zur Streikentscheidung geführt hat; dann fehlt der tatsächliche Zündfunken. Deshalb würde ich nicht sagen, dass das jetzt ein aktiver Streikbruch der Leute bei Altenwerder und Tollerort gewesen ist. Man darf nicht vergessen, dass in Deutschland ein wilder Streik äußerst ungewöhnlich ist.

War es nicht gefährlich für die Kollegen, diesen Streik zu beginnen?

Es war gut, dass sich die Kollegen der drei darauffolgenden Schichten, also immer ein anderer Personenkreis, dem Streik angeschlossen haben. Dadurch wurde verhindert, dass eine einzelne Schichtgruppe im Burchardkai isoliert stand. Die Masse schützt. Die HHLA hat zwar angekündigt, mit Abmahnungen um sich zu werfen, aber hätte nur eine Handvoll Kollegen gestreikt, würden wir über fristlose Kündigungen reden.

Alle, die den Streik durchgeführt haben, wussten, worauf sie sich einlassen, das finde ich daran auch so bemerkenswert. Die wissen, ich riskiere gerade meinen Arbeitsplatz oder zumindest heftige Repressalien. Und trotzdem haben sie es gemacht. Also, ich finde, das zeigt, wie groß die Verzweiflung ist, angesichts dieses drohenden MSC-Deals.

Die ver.di hatte den längst MSC-Deal aufgegriffen. Warum waren die Kollegen verzweifelt?

Der Zündfunke ist wohl gewesen, dass es eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gab, die den Deal befürwortet und eine aus dem Bundesvorstand, dass jetzt Überleitungstarifverhandlungen aufzunehmen seien. Das ist ja auf der einen Seite richtig, dass wenn der Deal durch ist, dann auf jeden Fall Tarifverhandlungen geführt werden müssen. Der Punkt ist aber: der Deal ist nicht durch. Und das haben, glaube ich, viele so aufgefasst, dass jetzt die ver.di-Spitze nicht mehr hinter uns steht.

Der ver.di-Bundeskongress hatte einen Beschluss gefasst, dass sie sich gegen die Teilprivatisierung der HHLA stellt. War der Eindruck der Kollegen, dass sich der Bundesvorstand doch dem hinweg setzt?

Der Bundeskongress hat eine Resolution gegen den Verkauf verfasst. Der Bundesvorsitzende, der Hamburger Landesbezirksvorstand und auch wir als Fachvorstand Maritime Wirtschaft haben sich glasklar gegen den Deal ausgesprochen. Dass dennoch sofort Misstrauen auftritt, hat eine Vorgeschichte. Unsere Bundesfachbereichsleiterin Christine Behle hat sich in ihrer Funktion als Aufsichtsrätin in der Vergangenheit auch schon völlig unabgesprochen für eine Beschleunigung des Fusionsprozesses von HHLA und Eurogate ausgesprochen, wo wir protestierten, dass wir als Gewerkschaft keine Fusion fordern können; dass das Arbeitsplätze kostet. Dass nun gesagt wurde, dass Verhandlungen aufzunehmen sind, obwohl wir noch am Kämpfen sind, spielte in die Reaktion mit rein.

Am Montag, den 13.11.2023, fand das Gespräch mit dem Senat statt, am Tag darauf standen Vertreter der Bürgerschaftsfraktionen Rede und Antwort. Wurdet ihr euch da einig?

Genau wie der Senat, behaupten auch die Fraktionsvertreter, dass das alles ganz toll werde. Der Deal sei gut für die HHLA und damit gut für den Hafen und Hamburg, weil das Geld in die Kassen spüle und Umschlagsmenge generiere. Damit auch Arbeitsplätze. Aber bei genauerem Zuhören wird klar, dass dieser Deal aus einer Position der Schwäche heraus geschieht. Die Reeder haben eine solche Marktmacht, dass die Verantwortlichen dem Verkaufsdruck irgendwann nachgegeben haben. Mit der MSC sei der Deal dabei vermeintlich am besten. Aber der Einstieg der MSC erfolgt mit dem Ziel, die Transformation endlich voranzubringen. Das bedeutet Arbeitsplatzabbau. Das steht da schwarz auf weiß. Wir reden von einer Größenordnung von 1.000 Vollarbeitsplätzen, die da verlorengehen. Und zu einem nicht unmaßgeblichen Teil bei uns beim Gesamthafenbetrieb.

Wenn die Kollegen des GHB so stark betroffen sind, gibt es zugesagte Maßnahmen in dem Deal?

Die Senatoren sagen: Garantien gibt es nur für die HHLA-Beschäftigten. GHB und Lascher als Subunternehmer der HHLA müssen sehen, wo sie bleiben. Und dass es mit dem Unternehmensverband ausgemacht werden müsse, ob es zukünftig den GHB überhaupt geben wird oder ob sie der MSC nicht eigentlich zu teuer ist. Denn aktuell wird auf jede Hafendienstleistung 1,5 % für den Hafenfonds draufgeschlagen. Von den ganzen gesetzlichen GHBs sind ohnehin nur noch Hamburg und Bremen übrig. Und wenn die in fünf Jahren sagen, dass die Eigenverschickung innerhalb der HHLA so gut organisiert ist, könnten sie die von heute auf morgen die Axt an die GHB anlegen. Und eine Absicherung seitens des Senats gibt es eben nicht. Ich glaube, die Kollegen verstehen das. Die Aktiven haben sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat, dass sie den Spruch „Keine Jackenfarbe kann uns trennen!“ auch wirklich leben. Also egal, wo wir als was arbeiten, wir sind alles Hafenarbeiter. Und diese Angriffe gelten immer uns allen. Ich glaube, dieses Verständnis ist so hoch wie noch nie.

Das ist schon ein ausgeprägteres, gar Klassenbewusstsein, auch wenn sich das auf den Hafen bezieht. Es ist ja nicht selbstverständlich, wenn man schaut, wie in anderen Branchen trotzdem eine meistens Konkurrenzdenken da ist. Woher kommt der Unterschied im Hafen?

Als ich vor 15 Jahren angefangen habe, gab es noch eine präsente Stimmung von dem Sieg der Hafenarbeiter, das „Port Package“ zu verhindern. Sie hatten es geschafft, die europäische Kommission zu bezwingen. Und im Bewusstsein war völlig klar, dass sie es wieder versuchen und wieder scheitern werden. Auch wenn dieser Erfolg immer weiter in der Vergangenheit liegt, ist das Bewusstsein über die eigene Kampfesstärke und auch Kampfeswille weiterhin präsent. So sind die letzten Lohnrunden von einer hohen Streikbereitschaft geprägt. Auf der anderen Seite, und deshalb bin ich mit dem Begriff Klassenbewusstsein vorsichtig, sind unsere Belegschaften nicht per se fortschrittlich. Es gibt viele, die von der AfD angetan sind. Es ist sehr zwiespältig. Aber was die Aktiven angeht, sind die ganz klar links. Da hat auch ein Generationswechsel stattgefunden. Alles, was irgendwie noch so sozialpartnerschaftlich unterwegs war, ist weg. Die ganzen Gewerkschaftsaktiven, die wir jetzt im Hafen haben, sind alle eine Generation jünger und stehen alle deutlich links von der SPD.

Und wie kam das zustande?

Ich glaube, es liegt daran, dass wir systematisch mindestens zehn Jahre in den Lohnrunden und den Gremien für einen Bewusstseinswechsel gestritten haben. Wir haben zehn Jahre dafür gekämpft, dass ein Warnstreik überhaupt eine reale Option ist. Da sind wir vorher für verlacht worden. Doch die ständige Arbeitsverdichtung, immer höhere Flexibilität, Arbeitshetze und Druck haben die Kollegen von der Sozialpartnerschaft desillusioniert. Zusammen mit dem Gefühl, schlechte Lohnrunden gehabt zu haben, wurde der Wunsch, zu kämpfen, immer weiter gestärkt.

So ein Kampf fällt natürlich nicht vom Himmel. Wie schätzt du die Rolle politischer Organisationen dabei ein, dass die Kollegen wieder eine selbstbewusste Position einnehmen?

Grundsätzlich glaube ich, dass momentan die Gewerkschaft die einzige Organisation ist, die es schaffen kann, die Klasse gezielt auf die Straße und in den Kampf zu bringen. Und wenn wir in diesen Kämpfen Solidarität erfahren, sind das immer linke Organisationen, was den Kollegen zeigt, wer ihre Bündnispartner wirklich sind. Ich möchte ein Beispiel bringen. Der letzte Verhandlungstag unserer Lohnrunde letztes Jahr war in Bremen. Wir wollten mit dem Zug zum Bremer Hauptbahnhof und von dort zum Kundgebungsort marschieren, was die Polizei verboten hatte. Leider nahm die Bremer ver.di dieses Verbot hin. Dass wir dennoch marschieren konnten, war links organisierten Kollegen vom Daimlerwerk zu verdanken.

Kommen wir zurück zum Hamburger Hafen. Wie sehr hat die ver.di das Thema der HHLA-Privatisierung aufgegriffen? Ist es deiner Meinung nach ausreichend oder gibt es Verbesserungsbedarf? Wie diskutieren die Kollegen das?

Den allermeisten Kollegen ist klar, dass der Deal nur negatives bringt, wenngleich auch einzelne Bastionen existieren, die glauben, man könnte den Deal schönverhandeln. Diese Minderheit bildet ein unangenehmes Störfeuer, was sich leider auch auf die Betriebsratsstrukturen erstreckt, wodurch wir bei Kämpfen nicht automatisch alle Kollegen hinter uns wissen. Die Organisation selbst wiederum hat den Kampf im Prinzip ab der ersten Minute aufgenommen, auch die hauptamtliche Landesleitung hat mehrfach die Ablehnung der ver.di deutlich gemacht und sich für eine vollständige Rückführung in öffentliche Hand ausgesprochen. Woran es mangelt, ist die Klarheit darüber, wie dieser Kampf konkret zu führen ist.

Sind die von ver.di ergriffenen Initiativen also ausreichend?

Nein, definitiv nicht. Wir müssen viel mehr in die Aktion kommen. Die Grundhaltung von ver.di ist richtig: wir lehnen das ab und kämpfen dagegen. Das ist schon mal die halbe Miete. Aber das Kämpfen selbst ist noch zu wenig. Da ist noch etwas Ratlosigkeit. Wie kriegen wir die Leute mobilisiert? Wie kommen wir gegen den Kleinmut an? Die Leute, die sagen, der Kampf ist ja eh schon verloren. Wie kriegt man den dazu, doch zu sagen, der ist verloren, wenn der Deal unterzeichnet ist und keine Minute vorher? Also da müssen wir jetzt aufdrehen, und ich glaube, das werden wir auch können.

Was ist deiner Meinung nach sonst zu tun?

Ich denke, dass es auch darauf ankommt, die Stimmung in der Stadt zu gewinnen. Dafür müssen wir häufiger auf die Straße. Es darf keine Bürgersprechstunde von Abgeordneten geben, in der der HHLA-Deal nicht zum Diskussionsgegenstand gemacht wird. Und wir haben eine gute Grundlage für diese Überzeugungsarbeit. Während unserer Unterschriftenaktion am 3. Oktober haben wir fast ausschließlich positive Rückmeldungen bekommen, sogar von Leuten, die aus ökologischen Gründen dem Hafen kritisch gegenüberstehen, sei es wegen der Elbvertiefung oder dem unnützen Verschiffen von Waren über die ganze Welt. Die konnten wir davon überzeugen, dass mit dem Einstieg von MSC mit ihrem Kapital die politische Steuerfähigkeit und damit die Möglichkeit, sich gegen das Ausbauen jedes Hafenplatzes bis in die Unendlichkeit zu stellen, schwindet.

Ist diese Option denn heute mit der HHLA in städtischer Hand realistisch?

Nein, ich glaube, dass das unter den momentanen gesellschaftlichen Bedingungen nahezu ausgeschlossen ist, denn den Unternehmern kann man schlecht politisch Handlungsweisungen erteilen. Das ist ja das Problem mit der Marktwirtschaft. Da wird nichts gemacht, wenn es sinnvoll ist, sondern nur, wenn es Geld bringt. Aber dennoch wird diese Möglichkeit eher erschwert, wenn der politische Einfluss rausgenommen und stattdessen mit der MSC Standortkonkurrenzdenken in den Hamburger Hafen reingeholt wird. Und diesbezüglich sind die Behauptungen des Senats unwahr. Denn MSC soll die Ladung nach Hamburg bringen. MSC kann jedoch keine Ladung generieren, da sie lediglich die Ladung anderer Leute verschiffen. Somit kann die MSC weder Volumen garantieren noch zur HHLA bringen, ohne sie von Eurogate innerhalb Hamburgs oder von Bremen abzuziehen. Damit geraten die Kollegen unter Druck und durch unsere tarifliche Einheit auch wir. Die Kollegen der HHLA haben also nichts davon. Ganz zu schweigen von den Drohungen anderer Reedereien, Ladungen für den deutschen Markt außerhalb Hamburgs abzufertigen.

Den Kollegen könnte es egal sein, woher die Ladung nun kommt, solange ihre Arbeit gesichert scheint. Wie ist da das Bewusstsein?

Hättest du mich vor 12 Jahren gefragt, wäre ganz klar, dass die Standortlogik voll durchgreift. Ich glaube aber, dass das bröckelt und das Bewusstsein, dass es uns nicht gut geht, wenn es den anderen schlecht geht, setzt sich zunehmend durch und bei den Aktiven ist das völlig klar. Ladungszugewinne auf Kosten der anderen Hafenplätze ist für uns nichts Positives.

Gehen wir weg von dem Kampf gegen den MSC-Deal. Was kommt auf die Hafenarbeiter Hamburgs in der nächsten Zeit zu?

Wir haben das feste Anliegen, eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchzusetzen. Aktuell diskutieren wir über die Forderung nach Senkung der Arbeitszeit von 35 auf 30 Stunden pro Woche.

Bei vollem Personalausgleich? Das wäre eine weitreichendere Forderung als die in der Stahlbranche oder bei der GDL. Heißt das, dass ihr fordert, dass das Personal analog zur Senkung der Arbeitszeit aufgestockt wird?

Unsere Forderung bezieht sich auf die bevorstehende Automatisierung und Digitalisierung. Wir wollen erkämpfen, dass die Transformation unsere Arbeit erleichtert, statt sie uns wegzunehmen. Es kann so viel rationalisiert werden, wie sie wollen. Aber jeder einzelne bleibt. Deshalb: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das haben wir im ver.di Fachbereich besprochen, dass wir als Hafenarbeiter als Erste diesen Kampf aufnehmen, da wir zu den kampfesstärksten Einheiten zählen. Wir haben nun geschafft, unser Anliegen in der Bundestarifkommission Seehäfen zum Thema zu machen. Und wenn wir das tariflich durchgesetzt kriegen, dann werden auch andere nachziehen können. Mein Traum wäre ja, dass eine gesamtgesellschaftliche Bewegung dazu entsteht, wie damals in den 80ern im Kampf um die 35-Stunden-Woche der IG Metall, die gar mit der Produktivität der 80er Jahre möglich war. Wir sind jetzt 40 Jahre weiter. Es gibt keine Notwendigkeit, 40 Stunden zu arbeiten.

Dabei wünschen wir euch natürlich viel Erfolg! Wer euch weniger Erfolg wünschen wird, ist die Arbeitgeberseite. Die schmieden sicherlich genauso Pläne wie ihr. Was für Angriffe sind von der Seite zu erwarten?

Von der Gegenseite wird eine erhöhte Arbeitsverdichtung aufgedrückt. Eurogate will aufgrund einer angeblichen finanziellen Schieflage mit der Einführung von Arbeitszeitkonten die Flexibilität deutlich erhöhen. Das heißt, die Leute müssen dann arbeiten, wenn die Arbeit wirklich da ist und nicht, wenn es auf dem Schichtplan steht. Bist du also heute früher fertig geworden, bist du auch ausgestempelt. Damit hast du Minusstunden, die du dann durch Mehrarbeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausgleichen musst. Damit wollen sie die Regelarbeitszeit vermehrt ins Wochenende ausdehnen. Und dieses Thema läuft gerade Gefahr, durch die Aufmerksamkeit auf den MSC-Deal unterzugehen.

Könnte die Eurogate-Führung also die Gunst der Stunde ergreifen und diesen Angriff umsetzen?

Wir haben im Vorfeld eine gute Arbeit geleistet, denn so eine Chance lässt sich Eurogate sicher nicht entgehen. Sie versuchten, auf Grundlage des Krisentarifs diese Neuregelung über eine Einigungsstelle durchzudrücken. Den Arbeitgeber interessierten all unsere Argumente, dass dieser Tarif nur eine Übergangs- und keine Dauerlösung ist, nicht, und als sich abzeichnete, dass die Einigungsstelle in eine ähnliche Richtung geht, haben wir uns in der Bundestarifkommission mit den Kollegen aus Bremen-Niedersachsen zusammengeschlossen und prompt den § 6 des Rahmentarifs aufgekündigt, der solche Regelungen erst ermöglicht. Ich glaube nicht, dass der Arbeitgeber damit gerechnet hat. Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass die Bundestarifkommission sich zu diesem Schritt durchringt. Ich freue mich, mich geirrt zu haben, denn das ist ein großer Erfolg. Damit ist das Thema eigentlich vom Tisch.

Wie blickst du in die Zukunft?

Ich glaube, wir müssen als Gewerkschaften und als Kollegen insgesamt viel Risikobewusster werden, uns mehr vornehmen. Alle jammern immer, dass wir keine französischen Verhältnisse haben. Warum haben wir die nicht? Weil wir sie nicht schaffen. Der politische Streik ist hierzulande angeblich verboten, dabei ist es nur eine Gesetzeskommentierung von einem ehemaligen Nazirichter, was man infrage stellen muss. Ist das politische Streikrecht nicht eigentlich das direkte Gegenstück zu den Lobbymöglichkeiten des Kapitals? Denn wir können nicht mit einem Geldkoffer in irgendwelchen Lobbys aufwarten. Die Macht unserer Klasse ist nicht das Geld, sondern die Masse. Wenn also Lobbyarbeit erlaubt ist, dann muss das auch für den politische Streik gelten.

Davon abgesehen verstößt unser Streikrecht teilweise auch gegen internationales Recht. Also, dass Beamte nicht streiken dürfen, verstößt gegen EU-Recht und Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation. Aber am Ende ist es auch nicht eine Frage, ob erlaubt oder nicht. Ähnlich wie jetzt bei dem wilden Streik, ist die Frage, ob man es macht oder nicht. Nehmen wir an, es würde wirklich ein Generalstreik ausgerufen und dann auch durchgeführt werden, flächendeckend. Das kann keiner verhindern. Ob erlaubt oder nicht, ist dann völlig egal. Es passiert dann. Solange wir die Verhältnisse aber hinnehmen, bleibt es wie es ist.

Die nächsten Jahre werden spannend. Die Gewerkschaften und insbesondere die ver.di sind auf einem stärker kampforientierten Kurs. Die 150 000 Neueintritte seit den Lohnrunden im letzten Jahr stimmen mich optimistisch!

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