Seyda Kurt
In Deutschland entscheiden sich viele Menschen in jungem Alter zum Bund zu gehen. Ein guter Freund hat sich trotz eines recht guten Schulabschlusses dafür entschieden, freiwillig zur Bundeswehr zu gehen. „Warum möchtest du lernen, wie man Menschen tötet?“ fragte ich ihn. Bei der Frage lächelte er, als hätte ich eine äußerst sinnlose und peinliche Aussage gemacht. Wie auch bei vielen Anderen, die sich für diesen Weg entscheiden, ist wohl die Vorstellung, Menschen zu töten oder es zumindest zu lernen, unglaublich abstrakt. Das Verständnis von der Tätigkeit eines Soldaten wurde jahrelang durch Politik und Medien manipuliert: Bundeswehr als Hilfsengel, Bundeswehr als Retter aus der Not, die netten Bundeswehrsoldaten, die den afghanischen Kindern Bonbons reichen. Dieses gewaltige Ding in der Hand, das zum Töten gedacht ist, wird zu einem Accessoire passend zu der Kleidung!
2010 erkrankten laut Spiegel mindestens 557 Soldaten nach einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan an starken psychischen Erkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen: wiederkehrende Angstgefühle, Depressionen, Schlafstörungen und multiple Erschöpfungssyndrome. In diesem Jahr wurden sogar 587 ehemalige Soldaten behandelt. Das sind natürlich auch nur die offiziellen Zahlen. In einem Interview mit einem Afghanistan-Veteran gab dieser zu, welch eine Überwindung es war sich zu solch einer Krankheit zu bekennen. Denn man ist ja der mächtige, harte Soldat- ein mutiger, unberechenbarer Mann. So wird es einem doch die ganze Zeit in der Ausbildung eingehämmert. Und dann erstarrt man plötzlich und bekommt Schweißausbrüche bei dem Geräusch eines Helikopters, noch Monate nach dem man schon zuhause ist.
Etwa 600 dieser erkrankten Soldaten haben sich bisher zu einem Wehrdienst-Beschädigungsverfahren entschieden, nur weniger als ein Drittel hatten dabei Erfolg vor dem Gericht. In einem Fall bezeichnete die medizinische Gutachterin Beschuss als „nicht außergewöhnlich belastend“ für einen Soldaten und lehnte die Anerkennung einer dienstbedingten Schädigung ab. Kann doch mal jedem passieren, dass man plötzlich von allen Seiten beschossen wird, oder? Doch diese Verfahren bleiben weiterhin in geringen Zahlen. Denn ein Soldat ist für lange Zeit von dem normalen, gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen.
Niemand möchte hier Soldaten, die sich in Deutschland freiwillig zu einem Auslandseinsatz entscheiden, als genötigte Opfer darstellen. Doch treiben oft auch finanzielle und gesellschaftliche Tatsachen vor allem junge Männer zu diesem Schritt. „Nicht jeder, der zur Bundeswehr geht, nimmt an einem Auslandseinsatz teil“, sagte mein ehemaliger Schulfreund „Für mich ist wichtiger, diese Disziplin und Ordnung zu lernen. Ich glaube das ist eine gute Erfahrung für`s Leben!“. Standhaftigkeit und Orientierung: etwas wonach sich viele Jugendliche sehnen. Fakt ist, dass, wer einmal in die Bundeswehr integriert ist, nicht mehr vollkommen eigenständig kontrollieren kann, wie weit seine Hemmschwelle sinkt. Die Bundeswehr ist eine Einrichtung mit Ideologie- je mehr diese auf ein Leben zugreift, desto mehr bemächtigt sie sich dieser. Ein Auslandseinsatz, der vor der Ausbildung nicht in Frage kam, erscheint plötzlich nichts mehr so unmöglich. Gutes Geld ist im Spiel. Einen Menschen zu töten, was vor der Ausbildung mehr als unmöglich war, ist dann plötzlich auch nicht mehr eine Tragödie. Und wenn man dann nach dem Einsatz perspektivlos außerhalb der Gesellschaft steht, ist ja auch nicht so dramatisch: für einen verlorenen Unterschenkel oder Verlust der Hand bekommt man immerhin 150.000 Euro. Davon kann man sich ja vielleicht eine Neue kaufen!
In Israel z.B. sind Männer und Frauen ohne Geschlechterunterschied zum Armeedienst verpflichtet. Die Frage, wie doppelt und dreifach belastend die Kriegserfahrung für eine Frau, ein junges Mädchen von 19 Jahren ist, würde noch viele Seiten beanspruchen. Eine vage Vorstellung kann wohl jeder haben. Die Realität zeigt, dass der Mensch diesen Anforderungen der Militär-Ideologie nicht gewachsen ist! Doch hat sich auf der anderen Seite genau diese Weltanschauung vollkommen in unsere Alltäglichkeit integriert. So gibt es im türkischen den Begriff „Silah Arkadasi“, was so viel bedeutet wie „Waffenbrüder“ und eine starke Freundschaft unter Kriegsgenossen aber auch außerhalb symbolisiert. Welche absurde Vorstellung ist es, dass das gemeinsame Töten eine Freundschaft besiegelt? Nietzsche sagte eins: „Der Krieg ist ein Winterschlaf der Kultur.“ Der Krieg lässt einen jungen Menschen in einer der prägendsten Zeit seines Lebens die Kultur der Menschlichkeit verlernen.