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„Wer den Krieg vorbereitet, wird den Krieg bekommen, deshalb müssen wir den Frieden vorbereiten“

Vom 6. – 9. Juni finden die Wahlen zum Europaparlament statt. Wir haben mit Özlem Alev Demirel, Kandidatin auf Listenplatz 3 für die Partei „Die Linke“, über die Bedeutung der Wahlen gesprochen.

Welchen Platz nimmt das Europaparlament in der Entscheidungsstruktur der EU ein?

Das Europaparlament ist formal und real ein Gesetzgeber für EU-Gesetze. Also wenn es um Richtlinienverordnung geht, entscheidet es mit dem Europarat zusammen in Verhandlungen über die Vorschläge der Kommission und kann diese verändern und dann durchaus eigene Vorschläge durchsetzen. Allerdings haben wir es beim Europaparlament mit einem etwas schwächeren Parlament zu tun, als es zum Beispiel die Landesparlamente oder der Bundestag sind. Dennoch ist es wichtig, in diesem Parlament auch Stimmen zu haben, die in einer Zeit von Krieg und Krise klar die Ablehnung dieser Kriege deutlich zum Ausdruck bringen und die Perspektive der Armen und Arbeiter vertreten und aussprechen.

Für welche Themen ist diese Wahl besonders relevant?

Wir befinden uns in einer Zeit, wo die verhärteten Machtkämpfe um Absatzmärkte und Ressourcen sehr groß sind. Es ist die Zeit, in der alle über Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit reden, in der Bundesrepublik Deutschland und auch auf europäischer Ebene, das ist ein Thema, womit die Bevölkerung sehr verunsichert wird.

Ich unterstreiche dabei immer, diese kriegerische Welt wird nicht zu mehr Sicherheit für uns führen, Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit wird nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern das Kriegsrisiko erhöhen.

Herr Weber, der Vorsitzende der europäischen Volksparteien (CSU/CDU-Fraktion), sagte mal, wer den Frieden möchte, muss den Krieg vorbereiten und ich warne davor, wer den Krieg vorbereitet, wird den Krieg bekommen, deshalb müssen wir den Frieden vorbereiten.

Ein anderes wichtiges Thema ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderdriftet, dass Mittelschichten erodieren. Wenn es nach den anderen Parteien geht, müsse es jetzt darum gehen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Unternehmen stärker zu begünstigen, um sich im internationalen, verhärteten Wettbewerb um Märkte und Ressourcen stärker durchsetzen zu können. Wir sagen, es muss darum gehen, soziale Sicherheit tatsächlich durchzusetzen, Errungenschaften für die Menschen zu erreichen und eben dieser immer auseinanderdriftenden Schere von Arm und Reich etwas entgegenzusetzen.

Das dritte wichtige Thema ist die Zunahme von Rassismus und Nationalismus. Dagegen braucht es natürlich eine Brandmauer, aber wenn die Rechten und Rechtspopulisten, wie die AfD, im Moment sehr viel Zulauf haben, dann hat das was mit den Verunsicherungen in der Bevölkerung zu tun.

Und deshalb sagen wir, es muss auch darum gehen, eine grundsätzlich andere Politik zu machen, die im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ist, damit man den Rechten und Rechtspopulisten den Nährboden entziehen kann.

Was würde das denn bedeuten, wenn die politische Rechte jetzt auch im EU-Parlament stärker wird?

Es würde vor allen Dingen bedeuten, dass mehr Ausgrenzung stattfindet. Es würde bedeuten, dass Tod, Leid und Elend sich weiter ausweiten. Es würde bedeuten, dass es unsozialer wird. Ich meine, die Rechtspopulisten und faschistischen Fraktionen, die sind bereits jetzt sehr stark und sie lehnen jegliche Sozialreform ab. Es gab eine Mindestlohnrichtlinie, die ich im EP mitverhandelt habe. Die besagt, dass da, wo wir gesetzliche Mindestlöhne in der EU haben, diese oberhalb der offiziellen Armutsschwelle bei mindestens 60 Prozent des mittleren Durchschnittseinkommens liegen müssen. Und die sagt auch, dass wir zum Beispiel mehr Tarifverträge brauchen und eine Tarifbindungsrate von 80 Prozent benötigen. Das sind Forderungen, die die Rechten und Rechtspopulisten immer abgelehnt haben. Insofern kann man davon ausgehen, dass es unsozialer wird, wenn diese noch stärker werden.

Und auch die Militarisierung wird stärker werden: Die AfD betreibt zwar Demagogie und tut so, insbesondere in Ostdeutschland, als ob sie für den Frieden stehen würde, weil sie aus geopolitischen Erwägungen Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, aber Zeiten, in denen der Militarismus um sich greift, in dem massive Aufrüstung stattfindet, sind immer Zeiten, in denen die liberale Demokratie nicht gestärkt wird, sondern autokratische Systeme, Parteien und Strukturen erstarken.

Wie steht es denn um die linken Parteien in der EU?

Die Realität ist die, dass die linken Parteien nicht alles richtig gemacht haben in der Vergangenheit. Sonst würden sie stärker dastehen. Aber sie waren im Europaparlament die Stimme, die an der Seite der Arbeitenden, an der Seite der Armen gestanden haben, sich für ihre Forderungen und Interessen stark gemacht haben, sie haben gekämpft für die Lieferkettenrichtlinie für eine Lohnrichtlinie. Sie haben immer wieder Position bezogen gegen die massive Militarisierung der Europäischen Union. Doch haben wir heute in der Politik, Gesellschaft und auch in den Medien einen Diskurs, der so einseitig ist, wie ich das in der Bundesrepublik Deutschland lange Jahre nicht erlebt habe. Die Rechten und Rechtspopulisten schaffen es im Moment, eine Art Kollektiv aufzubauen. Sie scheinen Antworten auf nationalistischer Ebene zu haben, die aber keine wirklichen Antworten auf die Krisen und Kriege dieser Zeit sind. Und ich glaube, die Linke muss es schaffen, dem ein alternatives Kollektiv entgegenzusetzen. Eines der Armen und Arbeitenden mit Klassenperspektive, das Antworten auf die Krisen heute gibt. Es waren die Mittelschichten und Arbeiter, die immer weiter die Zeche gezahlt haben in den Krisen der letzten Jahre. Deswegen ist es wichtig, dass wir wirklich ein Kollektiv aufbauen entlang der Klassenfrage, das nicht an den Grenzen halt macht, sondern international, wirklich internationalistisch ist.

Die Partei Die Linke geht gespalten in den Wahlkampf. Denkst du, das wird euer Wahlergebnis schwächen?

Es ist eine schwierige Zeit, aber ich möchte an dieser Stelle klar und deutlich sagen, was ich an „BSW“ kritisiere.

BSW kritisiert zum Beispiel die GEAS-Reform nicht. Sie kritisiert die Aufrüstung an den Außengrenzen nicht. Sie sagt kein Wort zu Frontex und mit Frontex wurde die Militarisierung der Außengrenzen vorangetrieben. Mit Frontex verdient die Rüstungsindustrie sich eine goldene Nase an den europäischen Außengrenzen, aber wird von BSW verschont.

Deshalb sehe ich das nicht als Alternative, was dort mit der BSW aufgebaut wurde.

Im Gegenteil, sie betreibt sogar diese Demagogie des Standortnationalismus. Doch was wir vor allen Dingen machen müssen, ist entlang der Klassenfrage für soziale Errungenschaften zu kämpfen. Die Linke hat abgelehnt, dass Kriegsmandate verlängert werden, sie steht gegen Aufrüstung. Sie hat als einzige Partei im Deutschen Bundestag tatsächlich die GEAS-Reform, die de facto Abschaffung des Asylrechts, abgelehnt.

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