Alev Bahadır
Dass ausgerechnet die selbsternannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) nach dem Anschlag von Magdeburg zu einer Demonstration aufgerufen hatte, ist mehr als makaber. Schließlich sympathisierte der Attentäter Taleb al-A. mit den Positionen der AfD und ist selber islamfeindlich. Parteichefin Alice Weidel und Generalsekretär Jan Wenzel Schmidt versuchen daraus trotzdem eine Asyldebatte zu machen. Und auch wenn parallel 4.000 Menschen bei einer anderen Kundgebung gegen Hass Position bezogen haben, wird die Taktik der Rechten nicht unbedingt auf taube Ohren stoßen.
Fakt ist, dass das „Problem mit der Migration“ längst andere Themen bei den Ängsten der Deutschen abgelöst hat. Waren es in den Jahren zuvor noch Umstände, wie die Klimakatastrophe, die Coronapandemie oder der Krieg in der Ukraine, sind heute wirtschaftliche Not und Migration die großen Fragen der Zeit. Das zeigen mehrere Befragungen, so auch die Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ im Auftrag der R+V Versicherung. 57 % der Befragten gaben Angst vor steigenden Preisen an. Ganze 56 % äußerte die Befürchtung, dass „Gesellschaft und Behörden der Zahl der Geflüchteten nicht gewachsen“ seien. Die gesellschaftliche Stimmung gegen Migranten und Geflüchtete, vor allem aus dem vermeintlichen „arabischen Raum“ ist schon lange gekippt, doch im vergangenen Jahr hat sich dieser Umstand immer weiter zugespitzt. Angriffe auf das Zusammenleben, wie die Messerattacken in Solingen und Mannheim, aber auch zuletzt der Anschlag in Marburg, werden immer wieder instrumentalisiert, um Asylrecht und die Rechte von Migranten weiter einzuschränken.
Nicht nur in der Mehrheitsgesellschaft
Dass Rassismus und Nationalismus keine „Phänomene“ sind, die nur in der Mehrheitsgesellschaft vorkommen, ist allgemein bekannt. Rassismus ist in erster Linie ein Spaltungswerkzeug, das dafür sorgt, dass man sich mit den Kollegen, Nachbarn, Klassenkameraden beschäftigt, statt mit den Konzernchefs, Banken und der Politik, die sich in Wirklichkeit auf dem Rücken der Werktätigen und an ihrer Arbeitskraft bereichern. Wie unsere Zeitung schon so oft beschrieben hat, verlaufen die eigentlichen Linien nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen unten und oben. Doch indem Vorurteile und Rassismen aufrecht erhalten werden, wird dieser Umstand verschleiert. Rassismus wirkt nicht nur in die eine oder andere Richtung. So ist es nicht nur der klassische „Deutsche“, der von der rechten Propaganda, die nicht nur von der AfD, sondern auch von sämtlichen anderen großen Parteien verbreitet wird, beeinflusst wird. Auch aus Kreisen z.B. türkeistämmiger Menschen hört man, insbesondere nach solchen Anschlägen immer wieder Sätze, die auch problemlos von der AfD hätten kommen können. Im Gegensatz zu einem selbst, die hier Teil der Gesellschaft seien, gehörten solche „schnell abgeschoben“.
Als die größte Gruppe von Migranten, die bereits seit über 60 Jahren in Deutschland leben, haben die Türkeistämmigen hier eine Entwicklung gemacht. Angekommen als billige Arbeitskräfte, haben die meisten mittlerweile Kinder und Enkelkinder in Deutschland, von denen mindestens letztere in Deutschland sozialisiert und, auch wenn die Zahlen nach wie vor niedriger im Vergleich sind, höher qualifizierte Ausbildungsberufe erlernt oder studiert haben. In den Berufen mit besonders hohem Exploitationsgrad, wie z.B. in der Fleischverarbeitung, saisonbedingte Arbeit auf Spargelfeldern oder im Bau, sind es vor allem Menschen aus Osteuropa oder Geflüchtete, die beschäftigt werden und im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor, weniger Türkeistämmige. So haben wir den Umstand, dass – neben aller vorhandenen Probleme, wie Rassismus, Diskriminierung auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt etc. – Menschen, die seit vier Generationen oder mehr in Deutschland leben, sich als Teil der Gesellschaft empfinden, aber natürlich nicht befreit sind von der Anfälligkeit für die Propaganda, der die gesamte Gesellschaft momentan ununterbrochen ausgesetzt ist. Und selbstverständlich verfolgen Menschen, wie z.B. Düzen Tekkal, die als Mustermigrantin in der Öffentlichkeit gilt, ihre eigenen politischen Ziele, wenn sie ununterbrochen den palästinensischen Widerstand kriminalisieren oder muslimische Menschen unter Generalverdacht stellen.
Sind wir die „besseren Migranten“?
All dieses „nach-unten-treten“ wird uns genauso wenig vor der migrantenfeindlichen Stimmung schützen, die momentan vorherrscht, wie uns gegen unsere Kollegen ohne Migrationshintergrund aufhetzen zu lassen. Die aktuellen Debatten und ein verkürzter Wahlkampf zeigen bereits deutlich, dass Migranten noch lange als die „Sündenböcke“ für die wirtschaftlichen Probleme, die aus der Profitgier der Konzerne erwächst, herhalten sollen. Deshalb ist es vollkommen normal, wenn man nach dem Anschlag von Magdeburg entsetzt und wütend ist und eine harte Strafe für den Täter wünscht. Schließlich hat er uns alle angegriffen. Jedoch dürfen wir nicht zulassen, dass man unsere Wut und den Schmerz, den wir mit den Angehörigen und Betroffenen von Magdeburg teilen, instrumentalisiert, um härtere Überwachungsgesetze durchzubringen oder vorgeschobene „Asyldebatten“ zu führen. Wir haben einmal mehr gesehen, dass rückschrittliche Ideologien sich nie diametral entgegenstehen, sondern sich gegenseitig ihrer Elemente bedienen. Das aufzudecken und in den Vordergrund zu stellen, gilt es einmal mehr.