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Wie weit kommt man mit der Eskalation?

İhsan ÇARALAN

Es war offensichtlich, dass nach der Krise mit Deutschland die nächste Krise mit den Niederlanden, wo am 15. März Parlamentswahlen stattfinden, vor der Tür steht. Dass diese viel stärker als die erste ausfallen würde, war selbst für außenpolitisch nicht bewanderte Menschen ebenfalls absehbar. Die führenden Außenpolitiker der Türkei haben diese Krise herbeigeführt, auch wenn sie sich jetzt überrascht zeigen und ihre Hände in Unschuld waschen.

Die Niederlande verweigerten dem Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, der im Falle einer Einreiseverweigerung mit Sanktionen drohte, die Einreise. Die Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya, die den Landweg wählte, wurde zur “unerwünschten Person” erklärt und nach Deutschland ausgewiesen.

DIE KRISE ESKALIERT

Der Staatspräsident und andere führende Politiker bezeichneten die Entscheidungen der niederländischen Regierung als eine “Praxis von faschistischem Überbleibsel”. Der niederländische Botschafter wurde zur “unerwünschten Person” erklärt. Dem ins Außenminiterium einbestellten Geschäftsträger der niederländischen Botschaft wurde eine Protestnote überreicht. Der Staatspräsident deutete an, den Fliegern aus den Niederlanden zukünftig die Landerechte streichen zu wollen. Der Ministerpräsident kündigte eine “mehrfache Vergeltung” an. Nach Aussagen des Außenministers werden gegen die Niederlande “schwere Sanktionen” verhängt. Und der EU-Minister übte schwere Kritik an den Niederlanden und der EU aus.

An dieser Propaganda, mit der innenpolitische Ziele und eine Zustimmung zur Verfassungsänderung verfolgt werden, beteiligten sich auch Vertreter von MHP und der CHP-Vorsitzende Kılıçdaroğlu, der der Regierung “uneingeschränkte Unterstützung” zusicherte. Der Dank des Ministerpräsidenten für diese “nationale Haltung” ließ nicht lange auf sich warten.

Kurzum, in weniger als 24 Stunden erlebten wir sämtliche Spannungen, die zwischen zwei Ländern in Nicht-Kriegszeiten auftreten können.

DIE ANNÄHERUNG DER VÖLKER ZERSTÖRT

Was kann als nächstes passieren?

Das, was in Deutschland passierte, wird auch in diesem Fall passieren. Die gegenseitigen Beschuldigungen werden noch eine Zeit lang fortgesetzt. Nachdem die Wahl in den Niederlanden und das Referendum in der Türkei vorbei ist, wird der Weg der “Normalisierung” eingeschlagen. Allerdings wird die Eskalation für die Millionen von Türkei-Stämmigen in Europa dazu führen, dass die Integrationspolitik weniger Unterstützung erfährt. Die Wunden, die der steigende Nationalismus und die Islamophobie aufgerissen haben, werden tiefer. Und die Annäherung zwischen den Völkern in der Türkei und in Europa wird zerstört.

Die Eskalation, die die Regierungen und die herrschenden Führer in den jeweiligen Ländern vom Zaun gebrochen haben, die nationalistische und religiöse Hetze haben wie immer der Völkerfreundschaft geschadet, die Konflikte verstärkt. Die Hetze, wie wir sie im Falle von Deutschland, den Niederlanden und davor Österreich erlebten, liegt nicht im Interesse der Völker.

Wir erleben gerade, wie die Regierungen versuchen, mithilfe der Konflikte, die sie mit Nationalismus, Xenophobie und Islamophobie hinaufbeschworen haben, von ihrem Scheitern im Hinblick auf die Interessen ihrer eigenen Länder abzulenken. Auch die derzeitigen Spannungen zwischen der Türkei und europäischen Ländern haben mit den Interessen der Türkei nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich bei der Eskalation um den Versuch, die Mehrheit für das “Ja” beim Referendum zu erreichen. Deshalb wirft man Deutschland, den Niederlanden und fast der gesamten EU vor, für das Nein-Lager zu werben. Eine andere logische Erklärung für die Krise gibt es nicht.

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