„Die ethische Haltung, die wir in der Armenierfrage brauchen, ist Empathie. Ich glaube, die Entwicklung von Empathie ist der einzige Weg zu einem gemeinsamen Gedächtnis beider Gesellschaften…“, erklärte Hrant Dink bei einem Interview zur Armenierfrage in der Türkei. Nun sind genau sechs Jahre vergangen, seit Dink mitten am helllichten Tag in Istanbul vor seinem Büro von einem 17jährigen Jugendlichen, Ogün Samast, erschossen wurde. Doch die Empathie, die er sich gewünscht hat, scheint immer noch nicht als Mittel zur Lösung eingesetzt zu werden. Vielmehr versuchte der türkische Staat während des langjährigen Gerichtsprozesses gegen Dinks Mörder die Hintermänner und Hintergründe des Mordes zu
verbergen und die Beweise zu verdunkeln. Auch wenn das Mitwirken des türkischen Geheimdienstes, des Militärs und der Polizei an dem Attentat aufgedeckt ist, werden die einzelnen Verfahren absichtlich nicht zusammengeführt. Das Hauptverfahren wird durch unzählige fadenscheinige Vorwände und Hürden erschwert. Vor kurzem erst wurde Hintermann Erhan Tuncel freigesprochen, obwohl auch hier mehrfach seine Rolle als Anstifter zum Mord Dinks bestätigt wurde.
Hrant Dink wurde 1954 als Armenier in Anatolien geboren. Er sah sich als Armenier und türkischen Staatsbürger. Er war ein Intellektueller, ein Menschenrechtler, ein Journalist, Vater von drei Kindern und Ehemann. Zugleich bildete er eine Stimme der Verstummten. So gründete er 1980 die erste türkisch-armenisch sprachige Wochenzeitung „Agos“ in der Türkei und rührte an eines der größten Tabus türkischer Geschichtsschreibung: dem Genozid an den Armeniern 1915. Dink, der, wie Orhan Pamuk und andere Intellektuelle, wegen „Beleidigung der türkischen Nation“ ― mehrfach – vor Gericht gebracht wurde, fasste viele heiße Eisen an und wurde jahrelang bedroht, bevor ihn ein minderjähriger Täter, angeblich aus eigener Motivation, im Jahre 2007 erschoss. Als armenischer Journalist hatte er dafür gearbeitet, dass es zwischen dem türkischen und armenischen Volk zu einer „Verständigung“ kommt. Er forderte Dialogbereitschaft und gegenseitigen Respekt und warb für ein friedliches Miteinander.
Auch dieses Jahr organisieren viele Verbände und Kultureinrichtungen Gedenkveranstaltungen zu Hrant Dinks Ermordung. Viele dieser finden dieses Jahr unter dem Motto „Wir werden nicht vergessen!“, als Reaktion zu den Verjährungsversuchen des Dink-Falls seitens der türkischen Justiz, statt. In Köln organisiert das Hrant Dink Forum am 21. Januar in der Aula der Kölner Universität eine Lesung mit anschließender Diskussion. Als Hauptredner ist Autor Hasan Cemal eingeladen, welcher vor kurzem ein Buch zum Völkermord von 1915 veröffentlicht hat. Gleichzeitig ist Hasan Cemal Enkelsohn des für den Völkermord an den Armeniern mitverantwortlichen Cemal Pascha. Die Moderation der Veranstaltung übernimmt Dr. Raffi Kantian. Im Berliner Ballhaus Naunynstrasse findet bereits am 19. Januar eine Veranstaltung statt. Hierbei wird der Istanbuler Verleger und Menschenrechtler Ragip Zarakolu zum Thema „Vergangenheitsaufarbeitung und Probleme der Minderheiten in der Gegenwart“ einen Vortrag mit anschließender Diskussion halten.
In Frankfurt hingegen wird ebenfalls am 19. Januar parallel zu den Protesten in vielen türkischen Städten eine Mahnwache mit einer Kundgebung am Weisenbrunn/ Zeil stattfinden.
Seval Mengi