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100 Jahre Frauenwahlrecht: Festveranstaltung im Stuttgarter Rathaus

Sidar Carman

Am 30. November lud die Gleichstellungsabteilung der Stadt Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Frauennetzwerk zu einer Festveranstaltung anlässlich des 100. Jubiläums der Einführung des Frauenwahlrechts in den großen Sitzungssaal im Rathaus ein. Es war der Auftakt einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel „100 Jahre Frauenwahlrecht – ein Grund zum Feiern und Nachdenken“, der am Internationalen Frauentag 2019 mit einem Festakt enden wird. Am 30. November 1918 trat die Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung in Kraft und somit konnten Frauen am 19. Januar 1919 erstmals auf nationaler Ebene ihr Wahlrecht nutzen und auch selbst gewählt werden.

Über 200 überwiegend Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen an diesem Abend zusammen, die von Bärbl Mielich, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg und Dr. Ursula Matschke, Leiterin der Abteilung für individuelle Chancengleichheit von Frauen und Männern, begrüßt wurden. Beide betonten, dass der Weg zur Verbesserung der gleichberechtigten Teilnahme von Frauen noch nicht abgeschlossen ist. Zwar hat das Frauenwahlrecht für die politische Gleichberechtigung einen wichtigen Meilenstein markiert. Doch gilt es noch die Ärmel hochzukrempeln bspw. bei der ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern oder bei der Sorgearbeit, die immer noch auf den Schultern der Frauen lastet.

Im Anschluss der Begrüßungen führte Corinna Schneider M.A. vom Verein Frauen & Geschichte Baden-Württemberg durch die Historie der politischen Beteiligung von Frauen von der Vergangenheit in die Gegenwart. Dabei arbeitete sie auch die regionalen Frauenbewegungen heraus. Nach der Novemberrevolution gab es auf Initiative von Clara Zetkin zwei große Frauenversammlungen im Stadtgarten und im Landestheater, um die Frauen auf die Wahlen vorzubereiten. Im Stadtgarten hatte Clara Zetkin in ihrer Rede nochmals deutlich gemacht, dass das Frauenwahlrecht kein Geschenk ist, sondern eine verdiente Gegenleistung. Die Einräumung dieses Rechts bedeutete die Mündigkeitserklärung des weiblichen Geschlechts. Bisher fand die Frau keine Wertung als Einzelpersönlichkeit, sondern nur als Anhängsel des Mannes.

Dem Vortrag folgte ein Theaterstück des Stuttgarter Frauennetzwerks unter der Leitung von Christa Hourani. Dargestellt wurden drei Frauenfiguren aus drei unterschiedlichen Generationen: Clara Zetkin, Heidi – eine Frauenrechtlerin aus der Zeit der 70´er Jahre und Anna, eine junge Frau der heutigen Zeit. Der Dialog widmete sich den wichtigen Errungenschaften der Frauenbewegung, eng verbunden an die Leistungen und Werke von Clara Zetkin als auch an die Frauenbewegung in den 70`er Jahren bis hin zu den aktuellen Forderungen und Kämpfen von Frauen heute. So erinnerte das Theaterstück daran, dass im Jahre 1994 es die erste Platzbesetzung in Stuttgart und den ersten Frauenstreiktag am 8.März gab. Der Charlottenplatz wurde von über 1000 Frauen besetzt unter dem Motto: Charlotte nimmt sich ihren Platz. Damals gab es keine Straßenüberquerung. Frau musste treppauf – treppab unten durch – mit Kinderwagen oder im Rollstuhl nicht zu schaffen. Es ging um barrierefreien Zugang und Übergang. Die Besetzung hatte Erfolg. Seither können ebenerdig der Charlottenplatz und viele anderen Plätze und Kreuzungen in Stuttgart überquert werden. Eben Kinderwagen- und Rollstuhlgerecht. Bundesweit nahmen damals eine Million Frauen an diesem Frauenstreiktag teil – dies war in den letzten Jahrzehnten die größte Protestaktion am Frauentag.

Der Abend endete mit vielen Anregungen und Ideen. Und in den vielen Gesprächen war immer wieder zu hören: Es tut sich was: Durch die Frauen und wegen den Frauen. Viele Streiks haben heute ein weibliches Gesicht, z.B. der Erzieherinnenstreik, die Streiks im Einzelhandel, von Reinigungskräften oder auch die Aktionen des Pflegepersonals. Das ist neu in der Geschichte der Streiks, dass so viele Frauen aktiv geworden sind und für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen und auch erfolgreich sind. Auch der Internationale Frauentag wird wieder mehr zum Highlight. Am diesjährigen 8. März gab es in Spanien große Frauenstreiks mit ca. 6 Millionen Teilnehmerinnen. In 300 Städten gab es Demonstrationen unter dem Motto: Wenn Frau will, steht alles still. Vorbild für diesen Frauenstreik war u.a. der Streik 1991 der Schweizer Frauen. Knapp ein halbe Million legten die Arbeit nieder und gingen auf die Straßen. Die Schweizer Frauen wollen nächstes Jahr eine Neuauflage dieses Streiks von 1991 machen. In allen größeren Städten in der Schweiz haben sich bereits Komitees zur Vorbereitung gegründet. Auch in Deutschland hat sich ein Netzwerk gegründet, um 25 Jahre nach dem letzten Frauenstreiktag wieder eine große Aktion zu planen. Sie bereiten einen bundesweiten Frauenstreik am 8. März 2019 vor, um gegen Sexismus und Benachteiligungen in der Arbeitswelt zu protestieren. Frauen kämpfen (weiterhin) für ihr Recht – auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht.

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