Die Situation der jungen Menschen hat sich seit der Corona-Pandemie stark verschlimmert. Vor allem Krieg und Inflation haben dazu geführt, dass viele junge Menschen in prekären Lebenslagen sind. Sowohl in der Schule, als auch im Betrieb und in der Uni. Daher haben der Jugendverband der Föderation demokratischer Arbeitervereine (DIDF-Jugend) und der Internationaler Jugendverein (IJV) die Kampagne „100 Milliarden für die Jugend“ ins Leben gerufen. Wir haben ein Interview mit Roylan Tolay vom Bundesvorstand der DIDF-Jugend und Hanna Lubcke vom Internationalen Jugendverein geführt.
Hanna, aus welchem Bedarf wurde diese Kampagne ins Leben gerufen? Warum gezielt 100 Milliarden?
Die Kampagne wurde im letzten Herbst ins Leben gerufen. Es war für uns klar, dass es eine Kampagne braucht, mit der wir auf die zwei für uns wichtigsten Themen der Zeit reagieren: die zunehmende Verarmung im Rahmen der Inflation sowie die Kriegsvorbereitungen und die Aufrüstung. Mit dem Motto „100 Milliarden für die Jugend“ haben wir beide Themen aufgenommen und in ein Verhältnis gesetzt.
Für viele Auszubildende und Studierende ist es schon jetzt schwer, sich über Wasser zu halten – die Teuerungen treffen sie in allen Lebensbereichen und BaföG und Ausbildungsvergütung reichen nicht aus, um ein gutes und selbstständiges Leben führen zu können. Im Rahmen der Kampagne haben wir konkrete soziale Forderungen aufgestellt, damit die Teuerungen nicht auf dem Rücken der Jugend ausgetragen wird: dauerhafte Erhöhung der Löhne, Ausbildungsvergütungen und des BaföGs oder Preisdeckel auf dem Niveau von 2020 zum Beispiel.
Für uns war jedoch von Anfang an klar, dass Sozialproteste, die dort Halt machen und sich nicht zum anhaltenden Krieg in der Ukraine und der Aufrüstung positionieren, einen Fehler machen, denn das steht in direkter Verbindung miteinander. Wir sehen, dass Kriege wie in der Ukraine nicht in unserem Interesse geführt werden und dass auch die deutsche Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen in direktem Widerspruch zu den Interessen von Jugendlichen stehen, die in vielen Fällen von sozialen Leistungen abhängig sind, an denen das Geld angeblich immer fehlt.
Roylan, was sind Schwerpunkte dieser Kampagne? Und wie ist die praktische Umsetzung der 100 Milliarden Kampagne?
Die Schwerpunkte sind natürlich, wie im Motto schon enthalten, der Kampf gegen sowohl Krieg als auch soziale Probleme. Natürlich tragen wir die Inhalte nach außen und versuchen, sie allgemein in der Öffentlichkeit zu verbreiten, zum Beispiel durch Demonstrationen. Das besondere an der Kampagne ist aber, dass wir sie vor allem in unseren Basisbereichen umsetzen. Dazu zählen bei uns Schule, Hochschule und Berufsschule und Betrieb. Die Kampagne dort umzusetzen, wo wir alltäglich sind, heißt, dass wir die Forderungen und Inhalte der Kampagne auf diese Lebensbereiche beziehen, zum Beispiel an Schulen und Hochschulen einen Schwerpunkt auf die Unterfinanzierung zu setzen. Aber auch die Militarisierung zeigt sich jungen Menschen, zum Beispiel wenn die Bundeswehr noch mehr Werbung an Schulen macht und sich noch offensiver präsentiert. Wir nutzen also das allgemeine Motto, um im Alltag spürbare Probleme in einen größeren politischen Rahmen einzuordnen und somit neue Jugendliche für unsere Arbeit in den Bereichen zu gewinnen.
Hanna, was hat sich nach dem Krieg in der Ukraine für die Jugend verändert?
Ich denke, der Krieg in der Ukraine hat neben seinen sozialen Auswirkungen vor allem klargemacht, dass die Zeiten, in denen Jugendliche für die Interessen einiger weniger zu Kanonenfutter werden, noch lange nicht vorbei sind. Wir sehen ganz konkret, wie sowohl in der Ukraine als auch in Russland vor allem junge Menschen in den Krieg geschickt werden, nicht freiwillig, sondern auch mit Zwang, und dass es auf beiden Seiten nichts für sie zu gewinnen gibt. Für uns ist es ein großes Anliegen, die internationale Solidarität in diesem Zusammenhang zu stärken und zu zeigen, dass die Jugend dieselben Interessen teilt, egal in welchem Land. Aber auch in Deutschland hat die Militarisierung diese Themen wieder auf die Tagesordnung gesetzt, zum Beispiel mit den Diskussionen rund um die Wehrpflicht. Auf einmal ist es wieder normal, dass Jugendliche auf Schulhöfen diskutieren, ob sie „im Fall der Fälle für Deutschland kämpfen würden“. Der Krieg macht vielen Angst und sie spüren, dass er auch für sie selbst näherkommt. Ich denke, das macht es auch immer wichtiger, eine antimilitaristische Position in der Jugend zu stärken und das Friedensthema, das lange unter Jugendlichen wenig Anklang gefunden hat, wieder mehr auf die Tagesordnung zu setzen.
Roylan, in Anbetracht der Ostermärsche: Inwiefern ist die Jugend ein Teil der Friedensbewegung?
Allgemein muss gesagt werden, dass die Jugend in der Friedensbewegung sehr wenig präsent ist. Das liegt auch daran, dass die heutige Jugend viel weniger über aktuelle friedenspolitische Themen politisiert wurde – es standen lange eher Themen, wie Umwelt oder Flucht, im Vordergrund. Viele spüren auch keine starke Betroffenheit, selbst die Wehrpflicht ist seit 2011 bis vor kurzem kaum noch Thema gewesen. Als Jugendorganisationen sind wir zwei von sehr wenigen, die sich schon vor dem 24. Februar in Friedensbündnissen eingebracht haben. Mit dem Krieg in der Ukraine und den eben beschriebenen Entwicklungen wird eine Friedensbewegung, die eine klare Position gegen Krieg bezieht, immer wichtiger, und zwar nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch für die Jugend. Es liegt auch in unserer Hand, die Friedensbewegung zu einer starken Bewegung zu machen, die die in der Jugend weit verbreitete Sorge und Angst vor dem Krieg politisch aufgreifen kann.
Hanna, am 1. April fand die Aktionskonferenz der DIDF-Jugend und des Internationalen Jugendvereins statt mit dem Fokus auf die Kampagne. Was sind konkrete Ziele/Beschlüsse für die Zukunft?
Auf der Aktionskonferenz haben wir die Kampagne bewertet und ein Zwischenfazit gezogen. Wir haben festgestellt, dass das Thema der Kampagne über den Winter nicht weniger, sondern mehr Wichtigkeit bekommen hat und dass das Motto unter Jugendlichen viel Anklang findet. Da wir die Kampagne auch gestartet haben, um unsere Basisarbeit zu stärken und die Forderungen in Schule, Uni und Betrieb konkret anzuwenden haben wir auch auf der Aktionskonferenz einen Schwerpunkt daraufgelegt, die Basisarbeit zu bewerten und Erfahrungen auszutauschen. Durch diesen Austausch konkreter Beispiele konnten wir uns auch nochmal inspirieren und motivieren. Somit gab es sehr viel Zustimmung, die Kampagne bis zum gemeinsamen Sommercamp im Juli weiterzuführen und die Arbeit noch einen Schritt voranzutreiben!