Written by 20:00 HABERLER

30 Jahre Wiedervereinigung: Es gibt nichts zu feiern- aber viele Gründe, yu kämpfen

Herbert Polifka*

4. November 1989

Heute sagen die Apologeten des Kapitalismus, dass es 1989/1990 für die Entwicklung der DDR keinen anderen Weg mehr gab als die Wiedervereinigung mit der BRD und die Einführung der „Marktwirtschaft“ in Ostdeutschland.

Mit keinem Wort und auf keinem Transparent wurden bei den Leipziger Montagsdemonstrationen im Oktober und der Berliner Massenkundgebung am 4. November 1989 die Abkehr vom sozialistischen Ideal und der Anschluss an die BRD verlangt.

Viele Menschen wurden  aktiv. Schüler und Studierende gründeten Rätestrukturen. Neben diesen unmittelbaren Komitees und Initiativen bildeten sich in vielen Städten unzählige Bürgerkomitees zur Aufdeckung von Korruption, Machtmissbrauch, gegen die StaSi. Und schließlich entstanden in vielen Städten sogenannte Ortsräte, wo sich EinwohnerInnen zusammen taten, um lokale Entscheidungen mit zu gestalten. Fast alle Zutaten für einen „erneuerten Sozialismus“ waren vorhanden. Es ging um die Demokratisierung der DDR-Gesellschaft und die Beibehaltung der „volkseigenen“ Betriebe. Diese Haltung ist mit ein Grund, warum im Herbst /Winter 89/90 kaum gestreikt wurde. Die Belegschaften wollten „ihre“ Betriebe und „ihre“ Wirtschaft als Ganzes nicht schädigen. Es ging nicht um die Einführung von Privateigentum an Produktionsmitteln, Marktkonkurrenz und Profitmaximierung – das war nicht Teil der von den Volksmassen, den Initiativen und Oppositionsgruppen geäußerten Wünsche und Forderungen.

Die Massen betraten die Bühne der Geschichte, brachen ihr Schweigen und fingen an, erste Initiativen der Selbstorganisation zu entwickeln. Die Herrschenden gerieten in die Defensive und wankten – doch wer hätte sie stürzen können? Und wie hätte eine „erneuerte“ Gesellschaft aussehen sollen?

Ein revolutionäres Programm für die DDR existierte 1989/90 nicht!

Die Massenbewegung in der DDR prangerte Privilegien und Korruption an, die Allmacht der herrschenden SED-Bürokratie wurde in Frage gestellt und demokratische Diskussionen über Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft wurden eingefordert. Es gab Ansätze zur Selbstorganisation der Werktätigen.

Doch fehlte eine marxistisch-leninistische Partei in der DDR. Bekanntlich wurden die KPD/Sektion DDR durch die Stasi Anfang der 80er Jahre zerschlagen und ein Neuaufbau verhindert.

Die DDR-Opposition hatte weder konkrete Konzepte noch wirklich charismatische Persönlichkeiten, die sie hätten vermitteln können. Stefan Heym resümiert das Dilemma folgendermaßen: „(…) die Revolution wurde von Leuten ohne Konzeption gemacht, von Dilettanten. Im Grunde hätte es in dieser Situation eines neuen Lenin bedurft, wobei ich allerdings nicht unbedingt an den Lenin der politischen Theorien denke, sondern an den Mann, der eine politische Konzeption besaß, die er klar zu formulieren wusste. Dann wäre die Geschichte anders verlaufen. Wir dagegen hatten niemanden – niemanden jedenfalls von diesem Schlag. Einen de Maiziere hatten wir, der auch noch unter Druck stand, und einen Krause … Gott helfe uns! Damit ist die DDR dann wirklich zu Pott gegangen.“

Wenn ein Kern ausgebildeter, organisierter und in der Arbeiterklasse verankerter Marxisten-Leninisten an der Spitze der Oppositionsbewegung gestanden hätte, hätten de Maiziere und Krause möglicherweise niemals die DDR an den kapitalistischen Westen ausverkaufen können. Eine erfolgreiche antirevisionistische und tatsächlich sozialistische Revolution in der DDR hätte der Welt ein anderes Antlitz gegeben.

„Der „Sozialismus“ in der DDR wurde 1989 von der Konterrevolution beseitigt“, sagen bis heute eine Reihe von politischen linken Organisationen/Parteien. Sie verschleiern damit die inneren Ursachen und teilweise ihre eigene Verantwortung. Die Wirren und die Konfusion über den Sozialismus sind noch immer allgegenwärtig. 1989/90 war dies ein Hauptgrund, um in den westdeutschen Staat als DDR aufzugehen!

Belogen durch die SED – Betrogen durch die BRD

„Aber der Sozialismus funktioniert doch nicht“, hören wir immer wieder. Millionen sind doch 1989 auf die Straße gegangen, wollten Änderungen, wollten so nicht mehr weiter leben. Richtig! Die DDR war am Ende einer Entwicklung angelangt, in der es nach den alten Methoden nicht mehr weiterging. Der Sozialismus ist die erste Phase des Kommunismus, in der der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus noch nicht entschieden ist, in der die Entwicklung zu beidem möglich ist. Um einer Entartung des Sozialismus zum Revisionismus vorzubeugen, muss darüber Klarheit herrschen, wie es dazu kommen kann. Eine führende  Partei muss sich von Anfang an bemühen, die Werktätigen zur Leitung auf allen Ebenen heranzuziehen, die Staatstätigkeit in der Ausrichtung auf die allseitige Förderung und Entfaltung der Selbsttätigkeit der Gesellschaftsglieder auszurichten. SED-Führer wie Ulbricht, Honecker wollten diesen Weg von Anfang an nicht beschreiten. Sie konnten sich keine Zukunft vorstellen und wollten keine Zukunft, in der nicht alle gesellschaftlichen Entscheidungen in ihren Händen monopolisiert sein sollten. Auf dieser Grundlage war das Verfaulen der DDR gesetzmäßig. Die Lüge war demnach für die Revisionisten lebenswichtig. Die Möglichkeit, dies aber zu verhindern, wäre die erneute Machtergreifung durch das revolutionäre Proletariat.

Doch sind die subjektiven Bedingungen für eine proletarische Revolution schlechter als im Kapitalismus. Heute sagen die Apologeten des Kapitalismus, dass es 1989/1990 für die Entwicklung der DDR keinen anderen Weg mehr gab, als die Wiedervereinigung mit der BRD und die Einführung der Marktwirtschaft in Ostdeutschland. Die Bilanz der 30 Jahre „Wiedervereinigung“: Weitgehende Vernichtung der industriellen Strukturen; Zerstörung noch vorhandener positiver Errungenschaften in Bildung, Kultur, Gesundheitswesen, Landwirtschaft usw.; starke Arbeitslosigkeit; Niedriglöhne; ökonomischer und kultureller Niedergang bis auf wenige Ausnahmen.

Doch der Verlauf der Geschichte ist nicht festgeschrieben. Karl Marx schrieb: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“ (In: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, 1852)

Eine der wenigen kritischen Berichte über die Einverleibung der DDR:

Raubzug DDR1

Raubzug DDR2

* Herbert Polifka war Mitglied der illegalen Sektion der KPD/ML in der DDR. Er wurde dafür von dem revisionistischen Regime verurteilt. Er kämpft bis heute weiter für ein sozialistisches Deutschland.

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