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Oktoberfestattentat vor 40 Jahren

Gamze Karaca

Jetzt um diese Zeit hätte sie stattgefunden: „die Wiesn“, das größte Volksfest Deutschlands, das Millionen von Menschen aus aller Welt in die Hauptstadt Bayerns treibt. Doch vor allem das jüngere Publikum weiß nichts von dem Attentat vor genau 40 Jahren, als eine Rohrbombe detonierte, die 213 Menschen verletzte und 12 Menschen aus dem Leben riss.

Es ist der 26. September 1980 als um 22.19 Uhr die Rohrbombe am Haupteingang des Oktoberfests explodierte. Sieben Menschen starben sofort, fünf weitere erlagen später ihren Verletzungen. Dass 12 Menschen in die Luft gesprengt wurden, hat wohl nicht für eine Absage des Fests ausgereicht: Es ist in der Nacht des Attentats eine Diskussion darüber entfacht, ob das Oktoberfest fortgeführt oder abgesagt werden soll. Der damalige in München wohnhafte Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel, der noch in der Nacht zum Tatort eilte, bestand darauf, dass zumindest bis zur Gedenkfeier für die Opfer das Oktoberfest unterbrochen werden soll. Das sahen aber sowohl die Gastwirte als auch die Polizei anders. Der damalige Oberbürgermeister Erich Kiesl entschied sich für eine Fortführung, legte allerdings für den Dienstag die Gedenkfeier fest, an dem die Wiesn ruhen soll. Dem umsatzschwächsten Tag wohlbemerkt. 

Unmittelbar nach dieser Entscheidung setze man alle Hebel in Bewegung und säuberte den Platz, nur um ja keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen, die den Besuch der Wiesn unattraktiv machen könnten. Am nächsten Morgen stürmte die erwartete Menschenmenge erneut auf das Fest, neugierig auf den Platz blickend, an dem wenige Stunden zuvor Menschen in die Luft gesprengt wurden und während im selben Moment, Menschen im Krankenhaus um ihr Leben kämpften.

Kurz darauf gab der Verfassungsschutz den Namen des Attentäters bekannt: Gundolf Köhler, 21 Jahre alt. Er lag neben dem Abfalleimer, in dem die Bombe explodierte. Es wurde erklärt, dass er der rechten Wehrsportgruppe Hoffman angehörte, die für die Rückkehr eines Führerstaat kämpfte und viele junge Männer militärisch ausbildete. Doch all diese Informationen waren für die Behörden kein Anlass, nach einem rechten Motiv zu suchen. Seine rechte Gesinnung, die seine Mitgliedschaft in der mittlerweile verbotenen Wehrsportsgruppe Hoffmann nochmals unterstreicht, wurde im Zuge der Ermittlungen nicht thematisiert. 

Vielmehr wollte der damalige Ministerpräsident Bayerns, Franz Josef Strauß, die Verantwortlichen des Attentats im linken Spektrum verorten. Er gab 12 Stunden nach dem Anschlag dem Bundesinnenminister Gerhart Baum die Schuld an dem Anschlag, er habe sich durch die „Verharmlosung des Terrorismus“ der RAF (Rote Armee Fraktion) schuldig gemacht. 

Aus politischer Sicht ist die Stimmung in dieser Zeit durch die bevorstehende Bundestagswahl sehr angespannt, die zehn Tage nach dem Anschlag stattfand. Gundolf Köhler hatte Freunden anvertraut, Bomben auf dem Oktoberfest legen zu wollen. Anschließend müsse man Linke für diese Taten verantwortlich machen, was dazu führen werde, dass die Stimmung im Land kippt und die NPD in den Bundestag einziehen kann und Franz-Josef-Strauß zum Kanzler küren könne. Strauß hatte das Verbot der Wehrsportsgruppe Hoffmann belächelt und war jahrelang der Auffassung gewesen, es würde sich bei der Gruppe doch nur um ,,Spinner“ und ,,Verrückte“ handeln, denen man doch ,,den Spaß lassen“ solle. 

Für das Landeskriminalamt Bayern stand schnell fest, dass Gundolf Köhler aufgrund vieler persönlicher Probleme wie Liebeskummer und Nichtbestehen einer Prüfung, Suizid begangen hatte. Frust und Verzweiflung seien die Motive gewesen. Das Hitlerbild, das über seinem Bett hing oder seine Aktivitäten in der rechten Wehrsportgruppe Hoffmann waren irrelevant. 

Da keine Hintermänner gefunden wurden, wurde Köhler als Einzeltäter ausgemacht. Zwei Jahre später wurden die Ermittlungen eingestellt, 1981 bereits die meisten Beweismittel vernichtet, wie beispielsweise die 40 Zigarettenstümmel im Aschenbecher des Fahrzeugs, mit dem Köhler nach München fuhr und in dem er laut Zeugenberichten nicht alleine saß. 

Der Anwalt von 16 der Opfer, Werner Dietrich, und der Journalist Ulrich Chaussy setzten allerdings alles daran, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Sie scheiterten dreimal daran. Chaussy veröffentlichte 1985 das Buch ,,Oktoberfest  – das Attentat“, in dem er nach den Hintermännern des Attentats fragte, Zeugen zu Wort kommen ließ, die ein auffälliges Verhalten weiterer Männer am Tatort gesehen haben wollten oder stellte Fragen nach der Wehrsportgruppe Hoffmann. Diese Fragen blieben allerdings unbeantwortet, bis sich im November 2011 der NSU enttarnte, der ungehindert über Jahre hinweg 13 Menschen ermorden konnte. Die Enttarnung des NSU bedeutete auch zeitgleich die Inkompetenz der Ermittlungsbehörden, die nicht in der Lage waren, dieses Netzwerk zu stoppen, was in Teilen der Gesellschaft zu einem Misstrauen in die Sicherheitsbehörden führte. 

Der Anwalt Werner Dietrich erhielt zu der Zeit eine Information einer neuen Zeugin im Fall des Oktoberfestattentats. Sie will demnach im Spind eines Freundes eine Pistole als auch einen Flyer gesehen haben, auf dem Köhler als Märtyrer innerhalb des rechten Spektrums abgebildet wurde. Wenige Jahre später, 34 Jahre nach dem Attentat wurden im Dezember 2014 die Ermittlungen mit dem Namen ,,Soko 26. September“ wieder aufgenommen. 

Die Hoffnung auf eine lückenlose Aufklärung wurde allerdings 1008 Zeugenbefragungen, 888 Hinweise und 300.000 Seiten Akten später zerstört. Im Juli 2020 wurden die Ermittlungen erneut eingestellt, da es keine ,,zureichenden, tatsächlichen Anhaltspunkte für die Beteiligung weiterer Personen als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen an der Tat des Gundolf Köhler“ gebe. Zumindest wurde aber erklärt, dass nicht persönliche Probleme das Motiv der Tat waren, sondern ein ganz klar rechtes Weltbild, das die Bundestagswahl 1980 beeinflussen sollte. Die Stadt München schaffte es 2018 dann doch endlich – 38 Jahre später – eine Gedenktafel im Rathaus anzubringen. 

Zum 40. Jahrestag des Attentats ist die Situation aber eine andere. Am 26. September 2020 wird es das erste Mal seit dem Anschlag keine Wiesn geben – allerdings aufgrund eines Virus und nicht, weil vor 40 Jahren aus deutlich rechten Motiven gemordet und daher die Notwendigkeit gesehen wurde, jenen Tag als offiziellen Gedenktag zu bestimmen, an dem alles ruhen soll.

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