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Moria – Gipfel der EU-Abschottung

Sinem Yesil

Am 9. September brannte auf der griechischen Insel Lesbos in Moria das Geflüchtetenlager. Nicht das erste und vermutlich nicht das letzte Mal. Doch in dieser Nacht brannte das gesamte Lager ab und damit wurden über 13.000 Menschen obdachlos. Viele versuchten, in andere Teile der Insel oder in benachbarte Gebirge zu flüchten, um sich vor dem Feuer zu schützen. Währenddessen versuchten Bewohner der Insel die Geflüchteten aufzuhalten. Probleme zwischen den Inselbewohnern und den Bewohnern des Lagers bestehen bereits seit geraumer Zeit, denn beide Seiten sind maßlos mit der Situation überfordert.

Denn das Lager in Moria ist lediglich für 2.800 Personen ausgelegt. Trotz flächenbedingt geringer Kapazitäten lebten zuletzt 13.000 Geflüchtete, teilweise Familien mit kleinen Kindern im Lager. Auch ist das Lager nicht für langfristige Aufenthalte ausgelegt, da es ursprünglich als Übergangslager für die Registrierung für Asylsuchende eingerichtet wurde. Dementsprechend sollte die Dauer der Aufenthalte so kurz wie möglich gehalten werden, um die Menschen im Anschluss auf das griechische Festland bringen zu können. Doch diesem Plan wurde weder die griechische Regierung, noch die EU gerecht. In Moria lebten Geflüchtete teilweise bis zu fünf Jahre unter menschenunwürdigen Bedingungen. Während sämtliche Kapazitäten des Lagers überlastet waren, machten die EU-Behörden sowie die griechische Regierung keine Anstalten für eine Entlastung. Das Lager bat keine Möglichkeiten zur Behausung, da weder Zelte, noch die nötigen Hygienemöglichkeiten zur Verfügung standen. Außerdem wurde keine Nahrung und kein Wasser bereitgestellt. Diese Zustände zwangen die Bewohner letztendlich dazu, auf eigene Initiative Unterkünfte zu bauen, um wortwörtlich überleben zu können, denn auch den Winter mussten sie im Freien verbringen. Doch die Situation in Moria verschärfte sich immer weiter, nicht zuletzt durch die aktuelle Pandemie. Während weltweit Hygienemaßnahmen ergriffen werden und medial gezeigt wird, wie man sich am besten vor einer Infektion schützen kann, erfüllen die Bedingungen innerhalb des Geflüchtetenlagers nicht einmal die Mindeststandards für eine geeignete Hygiene. Eine unzureichende Wasserversorgung, unzureichende Sanitäranlagen und fehlende Hygieneartikel, wie Seife, Toilettenpapier etc. sind nur einige Beispiele, die den Ernst der Lage verdeutlichen. Dazu kommt, dass die ärztliche und medizinische Versorgung sowie eine entsprechende Versorgung mit Medikamenten nicht gewährleistet wird. Die Lagerinsassen sind auf die ehrenamtliche Hilfe von NGO’s angewiesen, die jedoch nur begrenzte Kapazitäten und Mittel oder Kenntnisse für die ärztliche Versorgung haben. EU-Behörden und die griechische Regierung liefern somit geflüchtete Menschen auf Lesbos schutzlos einer Pandemie aus, mit der Hoffnung, dass diese aufgeben und wieder abreisen.

Seit Beginn der Pandemie warnten ehrenamtliche Helfer und NGO’s bereits vor einem möglichen Corona-Ausbruch. Nun war es geschehen, eine Vielzahl der Bewohner wurde positiv getestet und der Virus bereitete sich aus. Nach Bekanntwerden der Coronainfektionen setzten die Behörden das Lager für ganze zwei Wochen unter Zwangsquarantäne. An der Situation und an dem Elend, unter denen die Menschen dort leben mussten, änderte sich hingegen nichts. Kurz darauf organisierten die Geflüchteten in Moria Proteste, da sie das verantwortungslose Handeln der Behörden nicht hinnehmen wollten. Die massenhafte Unterbringung der Menschen in dem Lager sowie die Lebensbedingungen verstößen gegen europäisches und internationales Recht, so auch NGO-Vertreter. Die Bedingungen, denen Kinder dort ausgesetzt sind, verstoßen außerdem gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

Doch der eigentliche Grund für das Bestehen solcher Lager wie in Lesbos oder das „Höllenlager“ auf der anderen Seite des Mittelmeeres in Libyen, ist bekannt. Die EU setzt bereits seit Jahren auf eine Abschottungspolitik, die geflüchtete Menschen an den EU-Grenzen aufhalten soll. Um diese Menschen abzuschrecken, werden menschenunwürdige Zustände in Geflüchtetenlagern nicht nur toleriert, sondern von der EU bewusst geschaffen, gefördert und in Kauf genommen. Einerseits trägt die EU mit der Ausbeutung von Menschen und Natur in den Fluchtländern für Armut und Flucht bei, andererseits sorgt sie aktiv mit militärischen Eingriffen oder Waffenverkäufen an Konfliktparteien dafür, dass Lebensgrundlagen zerstört werden. Auf der anderen Seite verweigert sie Menschen die Flucht und lässt diese nicht EU-Grenzen überqueren. Die katastrophalen Zustände in den Lagern sind deshalb nicht nur von Vorteil, sondern notwendig und systematisch für die Abschreckungs- und Abschottungspolitk der EU.

Derweil kann man in der Handlung der deutschen Politiker die Heuchelei förmlich riechen. Während teilweise schockiert davon gesprochen wird, dass die Bundesregierung zu wenig Hilfe in Sachen Moria leistet, wird völlig verdrängt, dass die Bundesrepublik mit ihrer Zustimmung zu der Dublin-Verordnung, gemeinsam mit den anderen EU-Staaten, einen wesentlichen Beitrag zur Errichtung dieser schändlichen Geflüchtetenlager geleistet hat. Letztendlich sind es Staaten, die geographisch nah am Mittelmeer gelegen sind, wie Griechenland, die aufgrund der Dublin-Verordnung Massenlager für geflüchtete Menschen betreiben müssen. Doch die EU und die Bundesrepublik können sich nicht aus der Verantwortung ziehen, denn genau sie sind es, die für diesen menschenunwürdigen Umgang mit Geflüchteten verantwortlich ist. Jährlich sterben Tausende von Menschen auf dem Mittelmeer, weil die EU-Politik Menschen ertrinken lässt und Organisationen, die Seenotrettung betreiben kriminalisiert, wobei genau diese die Aufgabe der EU übernehmen. Nämlich die Pflicht, Menschen in Seenot zu retten. Als Antwort auf diese schändliche Politik des Sterbenlassens im Mittelmeer hat die Bundesregierung gemeinsam mit der EU die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex aufgebaut. Zudem will die Bundesregierung lediglich 1.500 weitere Geflüchtete aufnehmen, obwohl sich zahlreiche Kommunen bereit erklärt haben und weitaus mehr Kapazitäten für die Aufnahme von Asylsuchenden bereit stellen möchten. Diskussionen im Bundestages zeigen jedoch, dass die EU in Zukunft weitere Lager mit den griechischen Behörden errichten möchte. Dies verdeutlicht erneut das Interesse der EU, nämlich die Fortsetzung einer Abschottungspolitik, dessen stärkste Erscheinung Moria ist. Denn Moria ist Gipfel dieser Politik.

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