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Am rechten Rand

Alev Bahadır

Anfang des Jahres gingen Millionen Menschen gegen Rechts auf die Straßen. Damals waren Pläne öffentlich geworden, Menschen mit Migrationshintergrund oder die sich in der Geflüchtetenhilfe engagieren, systematisch auszuweisen. Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am 1. September hat sich allerdings ein ganz anderes Bild ergeben, Wahlgewinner war zweifelsohne die AfD. Wie weit stehen wir heute also am rechten Rand?

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich 2013 als „eurokritische“ Partei gegründet. Schon damals waren die rechten Einflüsse innerhalb der Partei stark. Diese haben sich immer weiter ausgeweitet und schließlich dafür gesorgt, dass die AfD in Bundesländern, wie Thüringen und Sachsen, heute als „gesichert rechtsextrem“ von den Verfassungsschutzbehörden der jeweiligen Länder eingestuft wird. Konkrete Auswirkungen hat das nicht. Sie konnte trotzdem zur Wahl antreten und gewinnen. Auch wenn in Sachsen die CDU die stärkste Kraft geworden ist, liegt die AfD knapp dahinter. Mit 30,6 % und somit 40 Sitzen im Landtag hat sie nur einen Sitz weniger als die Union. In Thüringen ist das Bild schon eindeutiger. Mit 32,8 % ist die AfD vor der CDU (23,6 %) und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (15,8 %) die stärkste Kraft im Erfurter Landtag. Ausgerechnet in Thüringen, wo Björn Höcke mit dem „Flügel“ als einer der stärksten rechtsradikalen Landesverbände der AfD auftritt.

Besonders heiß diskutiert wird auch der Aufwind, den die AfD bei jungen Menschen bekommen hat. Sowohl bei den U-18 Wahlen, als auch in der Altersgruppe der 18 – 25-Jährigen ist die rechte Partei eindeutiger Gewinner. Während wir die Jugend vielmals mit progressiven Bewegungen, wie “Fridays for Future”, frauenpolitischen oder antirassistischen Kämpfen verbinden, sehen wir einmal mehr, dass auch die Jugend nicht abgekoppelt von den sozialen Problemen unserer Zeit ist und sich Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit auch hier auf die Stimmverteilung auswirken.

Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen fanden in einem aufgeheizten politischen Klima statt. Asylrechtsverschärfungen, Messerattacken in Mannheim und Solingen durch vermeintliche Islamisten und eine sehr präsente Diskussion um Abschiebung und Aufnahmestopp sind zurzeit in aller Munde. Natürlich prägen nicht nur die kurzfristigen politischen Entwicklungen Wahlergebnisse, sondern auch die langfristigen. Mit Beginn des Ukrainekriegs hat Deutschland aktiver und aggressiver begonnen, aufzurüsten. Waffenlieferungen in Milliardenhöhe, Erhöhung des Budgets für die Bundeswehr und immer stärkere Werbekampagnen für die Rekrutierung haben ihren Preis. Die Preise dafür werden auf die arbeitende Bevölkerung und die Jugend abgewälzt. Weniger Geld im sozialen Bereich und Einsparungen bei uns sind die Folgen. Steigende Energie- und Lebensmittelpreise wurden nicht zuletzt mit dem Ukrainekrieg erklärt. Und natürlich hat sich der Krieg auch auf diese Bereiche ausgewirkt. Schließlich war Russland Hauptgasversorger Deutschlands und auch Sonnenblumenöl und Weizen sind wichtige Exportgüter Russlands und der Ukraine. Nichtsdestotrotz sind die Preissteigerungen nicht allein mit dem Krieg zu erklären. Heute kosten Lebensmittel knapp 30 % mehr, als noch vor drei Jahren. Die Lebensmittelindustrie hat im Jahr 2023 einen Umsatz von 204 Milliarden Euro gemacht und auch wenn für sie die Preise gestiegen sind, bedeutet das immer noch – anders als beim Endverbraucher- ein fettes Plus.

Diese Probleme sind deutlich für jeden von uns spürbar. Wir merken es schließlich ganz deutlich, dass wir am Ende des Monats weniger in der Tasche haben, als früher. Dass wir uns überall und immerzu einschränken müssen. Dass unsere Schwimmbäder und Jugendhäuser geschlossen bleiben und bei uns immer weiter gespart wird. Auch wenn uns das Wort „Protestwähler“ zum Hals raushängt, kann man doch nicht anders, als diese Entwicklungen zu sehen. Oder kann man es nur damit erklären, dass in Thüringen und Sachsen nun mal alles Nazis sind, die einfach gerne rechte Parteien wählen?

Parteien, wie die AfD oder aber auch das Bündnis Sahra Wagenknecht, das sowohl in Thüringen, als auch in Sachsen zum ersten Mal angetreten ist und auf Anhieb über 10 % in beiden Bundesländern geholt hat, bieten einfache Antworten. Deutschland müsse zuerst an sich selbst denken. Und an sich selbst zu denken bedeutet auch, nicht mehr Geld für Geflüchtete und Integration auszugeben, wo es doch „den Deutschen“ fehle. So auch die aktuelle Politik der Union, die anscheinend nur noch aus Hetze gegen Geflüchtete besteht. Auch SPD, Grüne und FDP versuchen auf diesen Zug aufzuspringen, doch haben sie sich mit ihrer Regierungspolitik für viele nicht mehr wählbar gemacht. Nichtsdestotrotz haben sie mit ihrer Politik der Ablehnung von Geflüchteten und Migrant:innen, gemeinsam mit CDU, AfD und Co. das politische Klima angeheizt und die Vorurteile verschärft.

Im Osten geht die Sonne auf

Natürlich können wir den Wahlerfolg der AfD nicht „nur“ mit Protest und Unzufriedenheit erklären, doch spielt das eine wichtige Rolle. Wir erleben, Hand in Hand mit den sozialen Problemen, einen Ruck nach rechts in der Gesellschaft. Das Märchen der „politischen Mitte“ löst sich immer mehr auf. Studien, wie z.B. die Mitte-Studie zeigen, dass viele Aussagen, die vor einigen Jahren noch nicht getroffen wurden, heute mehr Zustimmung erfahren. So stimmen in besagter Studie 34 % der Behauptung zu, dass Geflüchtete nach Deutschland kommen würden, um das Sozialsystem auszunutzen.

Wenn es um den Rechtsruck in der Gesellschaft geht, wird immer mit forschendem Blick in den Osten geschaut. Und natürlich stellt sich die Frage, wie die Menschen in Thüringen die Höcke-AfD, die mit ihren rechten Ansichten nicht hinterm Berg hält, wählen konnten. Thüringen ist auch das Entstehungsbundesland der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), wurde aber gleichzeitig bis zur jetzigen Wahl von der LINKEN regiert. Was paradox klingt, sind aber ebenfalls die Auswirkungen der Politik, die im Osten betrieben wird. Nach der Wiedervereinigung 1990 wurden Fabriken, Grundversorgung usw. des ehemaligen DDR-Gebiets schnellstmöglich an Konzerne verscherbelt und privatisiert. Viele verloren ihre Lebensgrundlage, ihre Jobs und ihre Perspektive. Nicht umsonst radikalisierten sich in den 90er Jahren immer mehr Menschen nach rechts. Denn Ostdeutschland wurde zum unkontrollierten Spielball der Konzerne und ist es bis heute. Noch heute gibt es dort weniger Betriebe, die nach Tarif bezahlen, was dazu führt, dass Beschäftigte im Osten 14 % weniger verdienen, als Gleichqualifizierte im Westen. Das führt zu höheren Armutsquoten und größeren Abstiegsängsten. Genau das, an dem sich die AfD und Co. nähren.

Und nächstes Jahr?

Nächstes Jahr finden die Bundestagswahlen statt. Was uns da erwarten wird, ist schwierig vorherzusagen. Gesellschaftliche Trends können sich schnell verändern. Wenige Monate vor der Wahl 2021 hätte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass die SPD den Bundeskanzler stellen würde. Aber die Wahlen in Thüringen und Sachsen sind eine Warnung. Nach dem Anschlag in Solingen hat die Politik deutlich gemacht, wo sie steht. Weiter spalten und auf der rechten Welle mitschwimmen ist ihre „Strategie“. Verändern können nur wir etwas. Nicht indem wir pseudo-verständnisvolle Sprüche wie „wir müssen den Menschen zuhören“ bringen, sondern indem wir das in den Mittelpunkt rücken, was der Grund für diese Probleme ist: die soziale Frage. Antirassistische Kämpfe und Arbeitskämpfe, sowie soziale und Friedensproteste müssen Hand in Hand gehen, nur so verändert sich was und wir fallen nicht alle über den rechten Rand.

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