Written by 09:44 HABERLER

Arbeit in Zeiten von Corona

Sidar Carman

Die Coronakrise geht nicht spurlos an Millionen von lohnabhängig Beschäftigten vorbei. Während ein Teil in Kurzarbeit geschickt wird, geht ein anderer Teil täglich zur Arbeit. Entweder im Homeoffice oder weiterhin am Arbeitsplatz. Die Folgen der Coronakrise einschließlich der behördlichen/staatlichen Verordnungen trifft auf die Lohnabhängigen und Angestellten in unterschiedlichem Umfang und Ausmaß. Die Schließung von Kinderbetreuungsplätzen und Schulen hat die Frage der Betreuung fast auf die Familien bzw. Frauen abgewälzt. In Betrieben, in denen Produktion oder der Vertrieb weiterläuft, gibt es kaum oder unzureichende Schutz- und Hygienemaßnahmen. Entweder fehlen sie weiterhin vollständig oder werden erst dieser Tage im Schritttempo umgesetzt.

Das Kontaktverbot bzw. der vorgeschriebene Abstand bis zu 2 m wird noch in vielen Betrieben nicht eingehalten. „Wir sorgen dafür, dass die Apotheken schnell zu Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken kommen. Und wir? Wir arbeiten eng aneinander, ohne irgendwelchen Schutz“, berichtete neulich ein Kollege aus dem Pharmagroßhandel. Diejenigen, die von Kurzarbeit betroffen sind, teilen die Angst und Sorge, wie sie mit dem wenigen Geld auf dem Konto die laufenden Lebenshaltungskosten bezahlen sollen. Das ist ein Problem, das nicht mit der Pandemie neu entstanden ist, sondern sich mit ihr gravierend zugespitzt hat. Offizielle Studien haben 2019 Deutschland als den größten Niedriglohnsektor Europas bescheinigt. Millionen lohnabhängig Beschäftigte arbeiten als Minijobber, in unsicherer und unfreiwilliger Teilzeit, als Leiharbeiter. Rund 4 Millionen Vollzeitbeschäftigte hatten laut Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke im Frühjahr 2019 weniger als 2000 Euro brutto im Monat verdient. Schaut man vor allem in den Niedriglohnsektor wie dem Handel, Reinigung oder Gastronomie, stellte sich seit Jahren immer wieder die existenzielle Frage nach Arbeit, von der man leben kann. In diesen Tagen noch viel mehr.

Krise wird dazu genutzt, um für sich daraus Profit zu schlagen

Der erleichterte Zugang zum Kurzarbeitergeld hat aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zur Folge, dass rund 470.000 Unternehmen Kurzarbeit beantragt haben. Betroffen sind über 2 Millionen Beschäftigte. Vielen von ihnen bleibt nichts anders übrig, als Wohngeld oder Sozialleistungen (SGB II) zu beantragen. Eine einheitliche, rechtliche Absicherung durch Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf 90%, so wie sie von den Gewerkschaften gefordert wurde, ist auf Druck der Arbeitgeberverbände gescheitert. Die von der Bundesregierung ausgerufene Parole nach Solidarität richtet sich (wieder einmal) im Interesse der Arbeitgeber.

Die fatale Lücke bei der Regelung der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, die der Arbeitgeber bisweilen nicht schließen will, wird in der Praxis auf die Betriebsräte und einzelnen Beschäftigten abgewälzt. Die Erfahrungen der letzten Tage zeigen, dass in den Unternehmen – egal ob mit oder ohne betrieblicher oder gewerkschaftlicher Organisierung der Beschäftigten – die Arbeitgeber dieselbe Haltung einnehmen: die Krise wird dazu genutzt, um für sich daraus Profit zu schlagen. Dies tut sie, in dem sie Angst verbreitet und mit Sanktionen droht.

Aktuell kämpfen viele Betriebsräte im Einzelhandel für Vereinbarungen, die die Einkommensverluste ihrer Kolleg*innen auffängt, während der Arbeitgeber mit staatlichen Zahlungen gestützt werden. So berichten viele Betriebsräte, dass auf die Forderung nach Aufstockung des Kurzarbeitergeldes mit Kündigungen gedroht wird. Wie in einem Betrieb, wo der Arbeitgeber alle Beschäftigten auf den Parkplatz versammeln ließ, um ihnen zu drohen, dass wenn sie den Betriebsrat unterstützen, er jedem einzelnen die Kündigung aussprechen wird.

Erfolgserfahrungen durch Solidarität von Betriebsräten und Kollegen

In Bereichen ohne gewerkschaftliche und betriebliche Organisierung, bleiben Arbeiter*innen gegen die Angriffe der Arbeitgeber auf sich alleine gelassen. Beschäftigte sollen Vereinbarungen unterzeichnen, in dem sie sich einverstanden erklären, dass sie für zwei Monate auf Lohn verzichten. Ihnen wird Zwangsurlaub angeordnet, d.h. sie zahlen ihre Freistellung aus der eigenen Tasche. Viele Beschäftigte berichten sogar, dass sie für die Dauer der Kurzarbeit gezwungen wurden, den kompletten Jahresurlaub zu nehmen. In den vielen Gesprächen stellen sie immer die berechtigte Frage: „Wie soll ich vom Kurzarbeitergeld leben? Wie soll ich die Miete zahlen? Das Geld reicht nicht, welche Nebenjobs kann ich ausüben?“

Mit diesen und ähnlichen Fragen haben sich bspw. Verkäuferinnen einer Modekette auseinandergesetzt. Die Arbeitskolleginnen telefonieren, schreiben sich täglich. Sie geben Tipps, wie sie ihre Kinder zuhause beschäftigen können. Sie machen sich Gedanken über ihre Gesundheit. Sie grübeln über die Hamsterkäufe und gestehen, dass auch sie bestimmte Produkte auf Vorrat eingekauft haben. Und eine Frage drängt sich zunehmend auf: „Verlieren wir unsere Jobs?“ Ihre Fragen und das Verlangen „etwas“ gemeinsam tun zu müssen, sich abzusichern. Das erste Mal haben sie das starke Bedürfnis, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Auch das passiert: Kollektive Erfolgserfahrungen durch aktives Praktizieren von Solidarität von Betriebsräten und Kollegen, die sie vertreten.

Sie sehen und erfahren konkret, was es bedeutet, organisiert zu sein, sich zusammenzuschließen und daraus kollektive Stärke aufbauen zu können – um ihre Interessen durchsetzen zu können, so wie es die Verkäufer*innen bei H&M, Primark oder ZARA mit ihren Betriebsräten erreichen konnten. Sie haben es geschafft, dass u.a. das Kurzarbeitergeld auf 90% bzw. 100% durch den Arbeitgeber aufgestockt wird und Kündigungen während der Kurzarbeit verboten sind. Von Berichten wissen wir unter welchen schwierigen Bedingungen die Abschlüsse zustande kamen: Androhung von Arbeitsplatzabbau, Filialschließungen und ein immenser Druck, den die Betriebsräte aushalten mussten. Ihre Solidarität untereinander hat ihnen geholfen, sich nicht einzuschüchtern zu lassen. Auch in Zeiten der Coronakrise.

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