Silvia Gingold durfte nicht Beamtin bleiben, weil sie den Kommunisten nahestand. Inzwischen ist die Lehrerin im Ruhestand, der Verfassungsschutz beobachtet sie aber noch immer. Der Fall ist nun vor Gericht. Wir haben uns mit ihr getroffen und mit ihr über ihre Geschichte und ihre Wünsche gesprochen.
Özgün Onal
Können Sie sich uns kurz vorstellen?
Mein Name ist Silvia Gingold. Ich bin 1946 in Frankfurt am Main geboren und ich stamme aus einer jüdisch-kommunistischen Familie. Meine Großeltern waren von den Nazis verfolgt und mussten 1933 nach Frankreich emigrieren. Meine Eltern waren während der Nazi-Zeit auch in Frankreich im Exil und haben an der Widerstandsbewegung gegen Hitler teilgenommen. Ein Teil meiner Familie ist in Auschwitz ermordet worden. Geschwister meines Vaters, mein Onkel und meine Tante, sind in den Gaskammern von Auschwitz ermordet worden. Weil sie Juden waren! Mein Vater selbst wurde während seiner Widerstandstätigkeit von der Gestapo, das war die Geheime Staatspolizei, verhaftet und schwer gefoltert, doch er konnte durch eine spektakuläre Flucht fliehen und somit sein Leben retten. 1945 als der Krieg zu Ende war, sind meine Eltern zurück nach Deutschland gekommen. Ich selbst habe in Frankfurt am Main in Französisch und Sozialkunde auf Lehramt studiert und habe 1971 mein erstes und 1974 mein zweites Staatsexamen gemacht.
Sie haben in den 70’er Jahren Berufsverbot bekommen. Warum?
Nach meinem zweiten Staatsexamen bin ich zu einer sogenannten Anhörung ins Regierungspräsidium Kassel zitiert worden und dort wurden mir „Erkenntnisse des Verfassungsschutzes“ vorgelegt. Aus denen habe ich entnommen, dass ich seit meinem 17. Lebensjahr vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, was sicher daran lag, dass ich in einer kommunistischen Familie gelebt habe. Die KPD war damals verboten und meine Eltern und somit auch ich standen unter Beobachtung. Bei dieser Anhörung wurde mir vorgehalten, dass ich an Demos gegen den Krieg in Vietnam teilgenommen, Flugblätter gegen die Notstandsgesetze verteilt und Reisen in die DDR unternommen habe. Dazu sollte ich Stellung nehmen. Ich habe dort erklärt, dass ich mich im Rahmen meines grundgesetzlich garantierten Rechts auf Meinungsfreiheit betätigt habe und ich überhaupt nicht einsehe, warum es eine Veranlassung gibt, mich zu beobachten. Zu dieser Zeit wurde jeder Bewerber für den öffentlichen Dienst überprüft, ob gegen ihn etwas vorliegt. Es waren hauptsächlich Linke, die Mitglieder in kommunistischen Organisationen und Parteien oder z.B. Kriegsdienstverweigerer waren. Viele wurden entlassen oder gar nicht erst eingestellt. Bei mir kam, nachdem ich bereits vier Jahre als Lehrerin gearbeitet hatte, vom hessischen Kultusminister mein Entlassungsschreiben, in dem es hieß, die „Zweifel an meiner Verfassungstreue“ seien nicht ausgeräumt. In der ganzen Bundesrepublik ging es vielen so, weil sie sich demokratisch engagiert haben. Es herrschte ein Klima der Angst und Einschüchterung. Man wollte verhindern, dass Linke in den öffentlichen Dienst kamen.
Ich sah ich in dem Berufsverbot eine Verletzung des Grundgesetzes, welches ich immer verteidigt habe. Meine im Grundgesetz garantierten Rechte wurden nicht geschützt, sondern durch die Praxis der Berufsverbote verletzt.
Der Verfassungsschutz beobachtet Sie nach wie vor. Womit wird das begründet?
Damals wurden alle, die im öffentlichen Dienst tätig waren, vom Verfassungsschutz beobachtet. Bei mir wurde es damit begründet, dass ich in der kommunistischen Partei und für sie aktiv war. Wir, ehemalige vom Berufsverbot Betroffene , haben uns vor fünf Jahren vernetzt, um unsere Rehabilitierung zu fordern, das heißt, eine Entschuldigung für das an uns begangene Unrecht sowie materielle Entschädigung für die damaligen finanziellen „Einbußen“. Für viele von uns bedeutete das Berufsverbot die Zerstörung der beruflichen Laufbahn. Deshalb haben wir bei den Verfassungsschutzämtern die Offenlegung und Löschung aller über uns gespeicherten Daten gefordert. Nach Anfrage bei dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen wurde mir mitgeteilt, dass aus den 70`ern nichts vorliegt, ich aber seit 2009 im Bereich Linksextremismus gespeichert sei. Und das wiederum wurde damit begründet, dass ich eine Rede zu „40 Jahren Berufsverbot“ gehalten habe und dass ich aus der Biografie meines Vaters gelesen habe. Mein Vater hat vor seinem Tod alle seine Erinnerung in einem Buch erfasst, weshalb ich zu Lesungen eingeladen werde. Man wirft mir diese Lesungen vor, weil ich sie vor allem in Veranstaltungen linker Organisationen wie z.B. der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) halte.
Welchen Zweck erfüllt der Verfassungsschutz, wenn man das gescheiterte Verbot der NPD oder die NSU als Beispiele nimmt?
Gute Frage! Wenn man die ganzen NSU- Skandale verfolgt und sieht, wie tief verstrickt der Verfassungsschutz in diese NSU-Morde ist. Der Verfassungsschutz hat bisher vollkommen die Aufklärung behindert. Da wurden Akten geschreddert, Pannen eingeräumt, die schützende Hand über bestimmte Verfassungsschutzleute gehalten. Der Verfassungsschutz betreibt einen großen Aufwand, Linke zu beobachten und tut alles, um die, die wirklich Verfassungsbruch begehen, zu schützen. Und das ist ein riesiger Skandal. Ich halte den Verfassungsschutz für gefährlich. Genauso ist es mit dem NPD-Verbot. Diese Neonazi-Partei hat nachweislich Volksverhetzung getrieben, welches nach dem Grundgesetz verboten ist. Ihre rassistische , antisemitische und nationalistische Ideologie steht nicht im Einklang mit dem Grundgesetz, in dem es im Artikel 3 heißt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Trotzdem man dieser Partei eine Nähe zum Nationalsozialismus bescheinigte, wurde sie nicht verboten.
Zu einem anderen Thema. 100 Jahre Oktoberrevolution: wohin steuert die Welt?
Eine sehr schwierige Frage. Im Moment ist es so, dass in der Welt vieles aus den Fugen geraten ist, überall gibt es Krisen und Konfliktherde und das Gefährliche ist, dass auch die Existenz von Atomwaffen dazu dient, die Rüstungsspirale hoch zu treiben. Ich sehe eigentlich eine Riesengefahr darin, dass man immer weiter hochrüstet und nicht versucht, auf friedlichem und diplomatischem Weg miteinander auszukommen. Ich denke es müsste weltweit mehr friedensbewegte Menschen geben, die sich wehren gegen Hochrüstung, Ausbeutung und Kriege.
In was für einer Welt würdest du selbst gern leben?
Ich möchte in einer Welt leben, in der es keine Rassendiskriminierung gibt, in der es keine Obdachlosen und Menschen zweiter Klasse gibt, in der es soziale Gerechtigkeit gibt und keine Diskriminierung aufgrund der Religion, Herkunft, Aussehen oder politischen Ansichten.