Written by 14:00 Allgemein

Die Wahrheit, die 366 Tage ins Bewusstsein rief

ank-03-01-12-odtu-roboski8

İhsan Çaralan

Seit dem Morgen des 28. Dezember 2011, an dem 34 Bürger der Türkischen Republik durch Kriegsflugzeuge des türkischen Militärs bombardiert wurden und dabei ihr Leben ließen, sind genau ein Jahr vergangen. Gleich nach dem Massenmord hatten die politisch Verantwortlichen – um die Proteste einzudämmen – erklärt, dass „dieses Verbrechen aufgeklärt wird, Recherchen und Nachforschungen zügig durchgeführt werden und zu einem Abschluss gebracht werden“. Bis heute jedoch ist noch nichts passiert, was im Ansatz darauf hindeutet, dass tatsächlich eine Aufklärung stattfinden könnte. Ganz im Gegenteil; der Präsident weist seine eigenen kurdischstämmigen Abgeordneten in die Schranken, befiehlt ihnen: „Sagt nicht ´Roboski`, sprecht nicht wie Terroristen, sagt ´Uludere`“. Somit hat der Präsident selbst die Aussprache des eigentlichen Dorfnamen ´Roboski` verboten.  Auf die Forderung „Die Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen der getöteten 34 Zivilisten“ antwortete der Präsidenten „Moment mal, ihr sagt zwar ´Zivilisten`, aber auch Terroristen sind ´Zivilisten`. Wartet mal ab, was da noch kommen kann.“ Somit versuchte der Präsident, die Forderungen derjenigen abzuschwächen, die dieses Verbrechen Massenmord nannten. Dies zeigt, warum die Aufklärung zu diesem Vorfall nicht einen Millimeter vorangeschritten sind.  Eine von der Öffentlichkeit mit großem Interesse erwartete Recherche war die der Menschenrechtskommission des Türkischen Parlaments. Der Abschluss des Berichts der Menschenrechtskommission wurde jedoch durch die AKP-Vertreter der Kommission verhindert. Ihsan Sener, AKP-Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der Unterkommission der Menschenrechtskommission sagte „Es könnte sein, dass der Befehl vom Generalstab kam.“ Daraufhin bekam er Schelte aus den eigenen Reihen, Sener zog seine eigene Aussage zurück und behauptete „so habe ich das nicht gesagt“.

Obwohl die Aussage „Es könnte sein, dass der Befehl vom Generalstab kam.“ eine so selbstverständliche Aussage ist, wie „Die Sonne geht im Osten auf“. Selbstverständlich wird der Befehl vom Generalstab oder den ihm unterstellten Verantwortlichen gegeben worden sein. Etwas anderes kann gar nicht sein!

Der Kern dieser Diskussion ist nicht, wer genau auf militärischer Seite den Befehl ausgesprochen hat; sondern, dass dieser Befehl nicht allein aus dem Militär kam, sondern, dass eine „zivile Institution“ dabei ebenfalls eine Rolle gespielt haben muss. Wer auf der zivilen Seite mitentschieden hat, ist die Frage, um die es geht. Deshalb ist das Wichtige in Seners Aussage nicht die, dass der Befehl vom Generalstab gekommen sein könnte, sondern, dass „der Generalstab nicht alle Dokumente zur Einsicht freigegeben hat“. Das heißt, der Generalstab verweigert der Menschenrechtskommission des türkischen Parlamentes Dokumente, die zur Aufklärung eines Vorfalles, die in der Öffentlichkeit für höchste Empörung sorgt, beitragen könnten. Nach der provokativen Schlagzeile „Vorbereitungen für einen Mordanschlag gegen Bülent Arinc“ (Anm. d. Übersetzerin: AKP-Abgeordneter und Vizepräsident) war es problemlos möglich gewesen, die „unantastbaren Räume“ des Generalstabes zu betreten. Ist es eben derselben Justiz und der eben derselben Regierung nicht möglich, die zur Aufklärung des Mordes an 34 Zivilisten nötigen Dokumente einzuholen? Selbstverständlich wäre es möglich; wenn es tatsächlich gewollt wäre, die militärischen und zivilen Verantwortlichen zu ermitteln. Wir haben es aber mit einer Regierung zu tun, die genau diese Aufklärung nicht möchte. Nach 366 Tagen, die auf den Massenmord in Roboski verstrichen sind, ist die einzige Wahrheit, die dazu gesagt werden kann: Die AKP Parlamentarier und die Regierungsmitglieder sind nicht gewillt, die Wahrheit und die Verantwortlichen dieses Massenmordes aufzuklären. Alles andere ist nur Gerede und Verklärung der eigentlichen Tagesordnung. Der Polizeiterror, der sich in der ODTÜ zeigt, die Gewalt und Ignoranz in Bezug auf die Lösung der Kurdenfrage, die Gewalt gegenüber diejenigen, die Recht und Gerechtigkeit fordern, dieselbe Gewalt, die auch gegen Arbeiter angewandt wird, die einen Mindestlohn fordern, resultieren alle aus derselben politischen Grundhaltung, die auch die Wahrheiten über den Massenmord in Roboski vertuschen sollen. Das ist die wichtigste Wahrheit, die sich nach einem Jahr nach dem Massenmord  Roboski zeigt.

 

Übersetzt von Serpil Karahan

Close