Levent Çokdeǧerli
Das Boschwerk in München soll geschlossen und die dort beschäftigten Arbeiter entlassen werden. Der vorgeschobene Grund: Transformation zur Produktion von E-Autos. Wir haben uns mit Ferhat Kırmızı, Stellv. Betriebsratsvorsitzender, über die aktuelle Situation unterhalten.
Können Sie sich kurz vorstellen?
1997 habe ich meine Ausbildung zum Mechaniker angefangen. Nach der Ausbildung habe ich bis 2004 in der Werkstatt gearbeitet und bei Robert Bosch meine erste Erfahrung in der Industrie gemacht. 2005 habe ich einer Münzprägeanstalt gearbeitet. 2015 bin ich zurück zu Bosch und habe als Einsteller angefangen. 2018 wurde ich dann zum Betriebsrat gewählt und bin immer noch in dieser Funktion aktiv und vertrete heute als Betriebsratsvorsitzender die Interessen der Kolleginnen und Kollegen.
Warum plant die Geschäftsleitung von Bosch das Werk zu schließen?
Im Boschwerk in München arbeiten zurzeit 285 Personen. Das Problem des Unternehmens ist die Transformation. Da der Verbrennungsmotor keine vielversprechende Zukunft zu haben scheint, ist die Automobilindustrie zurzeit in einer großen Veränderung, das nennt man Transformation. Viele kleine Werke werden deshalb Probleme haben. Die Vorstände der Firma versuchen, die Lasten der Krise auf die Beschäftigten abzuladen. Bereits seit 10 Jahren wollen sie die Produktion von Benzin- und Dieselautos, sowie ihre Zulieferung ins Ausland verlagern. So wollen sie Profit machen und in E-Autos investieren. Wir fürchten, dass es in den Werken in Deutschland zu Massenentlassungen kommen wird. Für die Produktion eines Dieselautos braucht man 10 Arbeiter, für einen Benziner 4 und beim E-Auto nur einen. Wenn die Produktion von Verbrennungsmotoren hier endet, werden 9 von 10 Kollegen arbeitslos. Diese Zahl macht uns natürlich Angst. Bosch ist ein sehr großes Unternehmen. Es werden nicht nur Autoteile produziert. Wir können auch andere Dinge produzieren, deshalb muss das Werk in diesem Sinne nicht schließen. Das betonen wir bei unseren Verhandlungen immer wieder, aber die Manager ignorieren unsere Vorschläge. Sie bieten zwei Optionen an: entweder wird das Werk vollständig nach Brasilien verlagert oder ein Teil wird nach Tschechien ausgelagert und der andere Teil ins Boschwerk nach Nürnberg. Das Werk hier wird in beiden Fällen geschlossen. In dem Fall würden 285 Kolleginnen und Kollegen arbeitslos werden.
Der Vorstand von Bosch benennt den Übergang zur Produktion des E-Autos als Grund für die Schließung. Aber er will die Produktion von Verbrennungsmotoren in andere Länder verlegen. Also geht es kurz gesagt gar nicht um die Umwelt, sondern darum, sich selbst abzusichern?
Genau das macht uns ja so wütend. Sie wollen die Produktion nur für ihr eigenes Interesse und um mehr Profit zu machen ins Ausland verlagern und Werke in Deutschland schließen. Ich denke auch nicht, dass E-Autos für den Schutz der Umwelt einen Beitrag leisten.
Auch von jungen Menschen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, habt ihr Solidarität erfahren. Was war das für eine Erfahrung?
Ich habe mich sehr gewundert, als mich die Aktivsten das erste Mal angerufen haben. Ich habe ihnen gesagt, was wir produzieren. Ich habe ihnen gesagt, dass wir nichts Umweltfreundliches produzieren, sondern Pumpen für Kraftfahrzeuge. Sie haben mir geantwortet, dass sie das sehr wohl wissen und nicht wollen, dass die Werke in Deutschland geschlossen werden. Sie haben deutlich gemacht, dass sie das Vorgehen der Politik und der Automobilindustrie ablehnen und sich mit uns solidarisieren wollen. Ich habe sie dann durch die Fabrik geführt. Wir haben uns mehrmals getroffen und eine dem Arbeitgeber mitgeteilt, dass wir eine Unterschriftenkampagne gegen die Schließung starten werden. Obwohl die Unterschriftenkampagne in der Urlaubszeit stattgefunden hat, haben 2/3 der Kolleginnen und Kollegen sie unterstützt. Wären nicht so viele im Urlaub gewesen, hätten sie alle unterschrieben. Außerdem haben wir eine Demonstration durchgeführt. Es ist motivierend, dass die Klimaaktivisten sich mit uns solidarisieren und uns unterstützen. Die Jugendlichen setzen sich dafür ein, dass jetzige und kommende Generationen ihre Arbeit nicht verlieren. Das ist ein berechtigtes Anliegen. Es ist unklar, wo die Jugend und die kommenden Generationen arbeiten werden, wenn die Werke in Deutschland schließen. Wir wissen nicht, wie die Transformation ausgehen wird. Dass wir jetzt schon Solidarität erfahren, ist ein sehr schönes Beispiel. Ich hoffe es geht weiter. Die Kämpfe für den Schutz der Umwelt und für bessere Arbeitsbedingungen können auf jeden Fall zusammen geführt werden.
Wie steht die Gewerkschaft dazu?
Wir sind gerade in der Verhandlungsphase. Die Gewerkschaft ist nicht kompromissbereit. Der Arbeitgeber verlangt Kompromisse von uns, die Gewerkschaft hat aber erklärt, sich nur auf Verhandlungen einzulassen, wenn wir über einen Zeitraum von 10 Jahren sprechen. Eine der wichtigsten Forderungen der IG Metall ist, dass während der Transformation den Werken eine Chance gegeben wird. Unsere Gewerkschaft steht hinter uns. Wir sind zu 80 % organisiert. Es gibt alle 2 Wochen eine Versammlung mit den Vertretern der Belegschaft, wo sie Informationen über den Stand der Verhandlungen mitteilen. Im nächsten Monat treffen wir uns in Stuttgart. Unser Werk wird mit einem Bus dorthin fahren und teilnehmen. Die IG Metall wird bundesweit eine Unterschriftenkampagne starten.
Was für eine Unterstützung erwarten Sie von Kolleginnen und Kollegen von anderen Firmen?
Die Situation ist ernst. Alle Firmen versuchen jetzt Arbeiter zu entlassen. Die Kolleginnen und Kollegen müssen sich jetzt dagegen organisieren, kämpfen und sich miteinander solidarisieren. Wir dürfen nicht still sein, weil es uns vielleicht gerade noch nicht betrifft. Wem es heute noch gut geht, kann morgen schon vor der Kündigung stehen. Jetzt ist die Zeit für Solidarität. Wir können zusammen viel erreichen.