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Generalverdacht und Scheinheiligkeit

Alev Bahadır

Die Stimmung gegen Migranten und Geflüchtete, vor allem gegen jene, die aus muslimischen Ländern kommen, nimmt weiter zu. Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayıp Erdogan hat die Wogen auch nicht geglättet – wobei das ehrlich gesagt auch nun wirklich niemand erwartet hatte– sondern die Spannung verstärkt. Seit dem Angriff der Hamas auf Zivilisten in Israel, deren Ermordung und Entführung und dem Einmarsch der israelischen Armee in Gaza, bei dem mittlerweile 14.000 Palästinenserinnen und Palästinenser, allen voran Kinder, ermordet wurden, wird die Spaltung in Deutschland auf dem höchsten Niveau vorangetrieben.

Muslime unter Generalverdacht

Wer es wagt, das Leid der Menschen in Palästina anzusprechen – und zwar nicht das Leid, das die Menschen durch die Hamas erfahren (Stichwort „Schutzschild“), sondern aktuell durch den Angriff der israelischen Armee – wird sofort in die antisemitische Hamas-Freunde-Ecke gedrängt. Eine Gruppe von Menschen landet aber, auch ohne sich zu äußern, aktuell automatisch in diesem Feld: Menschen muslimischen Glaubens oder all jene, die nur so aussehen, als könnten sie aus einem muslimischen Land stammen. Neben BILD-„Manifesten“, hetzerischen Äußerungen von Politikern (nicht nur von der AfD) und einer tendenziösen Stimmungsmache durch Berichte von der „Sonnenallee“, müssen mittlerweile alle Muslime am besten ungefragt ein Bekenntnis in Solidarität mit dem Staat Israel abgeben, um jegliche Schuld nicht zugewiesen zu bekommen. Bei der Eröffnung einer Fachtagung der Deutschen Islamkonferenz forderte Nancy Faeser die Islamverbände dazu auf, ein klareres Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Schließlich sei Israels Schutz ja Staatsräson und Israel habe jedes Recht, sich zur Wehr zu setzen. Erst dann folgt die Betonung, dass man Muslime nicht unter Generalverdacht stellen dürfe und Muslimfeindlichkeit bekämpft werden müsse.

Kritik an DITIB

Mit dem neuentflammten Nahostkonflikt und dem Besuch Erdoǧans werden, wie alle Jahre wieder, auch wieder „kritische Stimmen“ gegen den Moscheeverband DITIB lauter. Zu zögerlich habe DITIB den Angriff der Hamas verurteilt. Mittlerweile hat sich dieses Spiel zum ewig grüßenden Murmeltier entwickelt. Wenn die Diskussionen um „den Islam“ oder das Verhalten „der Muslime“ oder Wahlen in der Türkei anstehen, wird die DITIB eine zeitlang kritisiert, aber anschließend nimmt alles seinen gewohnten Verlauf. Dass DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) direkt an das Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei angeschlossen und somit einen verlängerten Arm der AKP-Regierung in Deutschland darstellt, ist nun wirklich kein Geheimnis mehr. Auch dass DITIB Imame AKP-Kritiker beobachten und denunzieren oder die Verbindung der DITIB zu den türkischen rechtsradikalen Grauen Wölfen ist belegt. Dass in den Moscheen der DITIB AKP Propaganda gemacht wird und somit weiterhin ein Keil in die Gesellschaft getrieben wird (Erdoǧan sagte schließlich mal, dass Assimilation ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei und die 3 Mio. Türkeistämmigen in Deutschland die Interessen der Türkei in Deutschland vertreten sollen), reicht wohl nicht für die Bundesregierung um die Zusammenarbeit zu beenden. Naja, dass Erdoǧan in der Türkei Minderheiten und Oppositionelle wegsperrt und in den Nachbarstaaten Kurden bombardiert, reicht ja auch nicht um die Zusammenarbeit zu beenden.

Vor Scheinheiligkeit nicht zu retten

Deshalb ist die Kritik an DITIB oder an der AKP an Scheinheiligkeit nicht zu übertreffen. Sie kommt nur zu politisch-aufgeladenen Zeiten und sie kommt ohne spürbare Konsequenzen. Während Faeser einerseits darüber spricht, dass Muslimfeindlichkeit bekämpft werden müsse, macht nahezu die sämtliche parteipolitische Landschaft seit Monaten, sogar seit Jahren, Stimmung gegen Geflüchtete aus dem Nahen Osten. Faesers eigener Parteikollege und Bundeskanzler Olaf Scholz sagte erst vor kurzem, man müsse endlich konsequent abschieben. Die GEAS Reform (Gemeinsames Europäisches Asylsystem), die eine weitere Abschottung der EU-Staaten vorsieht, wird von Nancy Faeser persönlich vorangetrieben. Wenn man jahrelang Geflüchtete für alles, was im Land schiefläuft, verantwortlich macht, kann man plötzlich nicht so tun, als würde das alles aus heiterem Himmel kommen. Nein, es sind nicht die Kürzungen im sozialen Bereich, die Einsparungen, die seit Jahren z.B. in der Pflege vorgenommen werden, während das Rüstungsbudget angehoben werden soll, die das Leben grade in Deutschland schwierig machen. Es sind die Geflüchteten. Zu viele (arabische / muslimische) Geflüchtete sorgen dafür, dass die Muslimfeindlichkeit zunimmt – was für eine Logik! Dass Antisemitismus ein Problem ist, ist unbestritten – nur ist es eben keins, dass NUR bei Muslimen vorkommt. Dieses Bild weiter zu vermitteln, sorgt erstens nur dafür, sich aus der Verantwortung für den echten und nachhaltigen Kampf gegen Rechts zu ziehen und zweitens dafür, dass Menschen muslimischen Glaubens in die Arme von islamistischen Gruppen oder DITIB gedrängt werden. Weder sind alle Muslimen auf der Welt verantwortlich für die Taten der Hamas, noch müssen alle Türkeistämmigen die Politik Erdoǧans erklären oder alle Menschen jüdischen Glaubens Fans der Netanjahu-Regierung sein. Generalverdacht führt nur zu mehr Spaltung, während eigentlich nur eins wichtig ist: dass keine weiteren Zivilisten in der Region sterben müssen und nicht weiter ein Keil zwischen allen Menschen, die hier leben, getrieben wird.

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