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Kein Unglück, sondern Mord

Bei einem Brand in einer Sammelunterkunft in Istanbul starben am 11 Bauarbeiter. Die verstorbenen Arbeiter waren in einem der auf einer Großbaustelle aufgestellten Zelte untergebracht worden. Nach Angaben des Bezirksbürgermeisters von Esenyurt schliefen insgesamt 35 Personen in dem Zelt, das für 10 Personen ausgelegt ist und tagsüber als Essraum diente. Ersten Ermittlungsergebnissen zufolge ist der Brand auf den Kurzschluss an einem der elektrischen Heizgeräte zurückzuführen, mit denen sich die Arbeiter vor den eisig kalten Nächten zu schützen versuchten.

Ein Überlebender erklärte, auf der Baustelle würden insgesamt 200 Bauarbeiter beschäftigt. Sie hätten sich immer wieder bei dem Bauherren beschwert und gefordert, in Containern statt in Zelten untergebracht zu werden. Diese Forderung sei aber zurückgewiesen worden, da ein Container rund 3000 Lira mehr koste, als ein Zelt.

Profit geht vor Menschenleben

Wenn man sich die mangelhaften Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften im türkischen Arbeitsrecht vor Augen führt, wird die Kritik verständlich, die das Unglück als „Mord am Arbeitsplatz“ bezeichnet. Seit dem Inkrafttreten der entsprechenden Gesetze im Jahre 1946 starben in der Türkei knapp 60.000 Arbeiter bei Arbeitsunfällen, was einen Jahresdurchschnitt von knapp 1.100 Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang bedeutet. Erst vor wenigen Wochen starben 10 Arbeiter in der Provinz Adana, als sie bei Reparaturarbeiten an einem Staudamm eingesetzt wurden.

Die entsprechenden Gesetze greifen nur in Betrieben mit mindestens 50 Angestellten. Selbst in solchen Betrieben werden die Vorschriften in den meisten Fällen nicht eingehalten, weil die Unternehmer nicht kontrolliert werden und Verstösse mit sehr niedrigen Geldstrafen geahndet werden. Forderungen von Gewerkschaften nach Gesetzesänderungen wurden bis jetzt mit Hinweis auf Gefährdung von Arbeitsplätzen zurückgewiesen. Bei dem aktuell laufenden Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit der EU-Integration laufen Arbeitgeberverbände Sturm gegen geplante Gesetzesänderungen.

Deutsches Kapital beteiligt

Die Baufirma, die auf einem Gelände die Bauarbeiten für ein großes Einkaufscenter vor einem Jahr gestartet hatte, ist ein Tochterunternehmen des Hamburger Baukonzerns ECE. Als Subunternehmer wird von ECE Türkiye Kayit Insaat eingesetzt. ECE Türkiye ist seit 2000 in der Türkei aktiv und wirkte an zahlreichen Großprojekten mit. Bei der Grundsteinlegung des Einkaufscenters vor einem Jahr war auch der Bezirksbürgermeister von Esenyurt anwesend, der den Tod als einen „schweren Schicksalsschlag“ bezeichnete und die „klirrende Nachtkälte“ als eigentliche Ursache des Unglücks ausmachte.

ECE gehört zu den zahlreichen Unternehmen mit deutschem Kapital, die wegen der laschen Vorschriften und der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze im türkischen Arbeitsrecht in der Türkei investieren und sich dadurch hohe Gewinne versprechen. Allein in der Metallbranche übersteigt die Zahl der Firmen mit deutscher Beteiligung die Grenze von 3.000. In vielen dieser Betriebe ist die Freiheit auf gewerkschaftliche Organisierung nicht gegeben und damit der Ausbeutung der Arbeiter unter schwierigsten Arbeitsbedingungen die Tore weit geöffnet.

Auch der eingesetzte Subunternehmer Kayit Insaat ist kein unbeschriebenes Blatt. Der türkische Ministerpräsident verlieh ihm im Jahre 2007 den Preis für Innovation. Bei der Preisverleihung versprach er der Firmenleitung, „alle gesetzlichen Hindernisse vor der unternehmerischen Bewegungsfreiheit“ abzuschaffen. Als die Steuerfahnder im Jahr 2009 die Bilanz des Konzerns unter die Lupe nahmen, stellte sich heraus, dass er trotz eines Jahresumsatzes von 1,1 Mrd. US-Dollar Steuern in Höhe von lediglich 10.000 Dollar abführte. Die Konsequenz war, dass die Firmenleitung zu einer Geldstrafe von umgerechnet 12.000 Euro verurteilt wurde.

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