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Mein Interesse an Politik und meine Kreativität haben mich geleitet

Semra Çelik

Berfin Orman, eine transnationale Performerin, sammelte ihre ersten professionellen Theatererfahrungen als Assistenz bei in Istanbul. Drei Jahre lang assistierte sie am Thalia Theater in Hamburg. Während ihrer Assistenzzeit entstand die Lesung „Illegal“ über das Leben von Sevgi Soysal. Nach ihrer Assistenz inszenierte sie am Thalia Theater das Stück „Der Fall der Kometen und der Kosmonauten“ (Autorin: M. Skalova). Sie arbeitete außerdem im Team des Theaters Bremen und in weiteren Filmen wie „Hawaii“ (Autorin: C. Acar). In den kommenden Jahren werden die Stadttheater Dessau, Bremerhaven, Gießen und das Schauspiel Fürth ihre besten Stücke zeigen. Wir sprachen mit Berfin über ihren Beruf, ihre Stücke, ihre Arbeit als Regisseurin und Dramatikerin.

Wann und wie haben Sie Ihr Interesse an Theater oder verschiedenen Kunstbereichen entdeckt? 
Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für Theater. Ich habe meine Freizeit als Kind und Jugendliche mit Theaterkursen verbracht. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. So fing alles an.

Mein Philosophielehrer in der Schule hat mich damals beraten. Ich wusste, dass ich nicht Schauspielerin werden wollte. Ich fragte ihn, welche anderen Bereiche es im Theater gibt. Als mein Lehrer erklärte, was Regisseurinnen machen, interessierte ich mich instinktiv für den Beruf. Obwohl ich in einer Familie aufwuchs, die mich in der Kunst förderte, hatte ich nicht viel Wissen. In gewisser Weise lerne ich das Theater jeden Tag bis heute besser kennen und entwickle mich weiter.

Ich kann die Frage so beantworten: Meine Neugier und meine Vorstellungskraft für politische Themen waren schon als Kind stark ausgeprägt. Als Regisseurin kann ich meine Interessen und Fähigkeiten, wie Literatur, politische Philosophie und menschliche Psychologie und meine Vorstellungskraft vereinen.

Sie inszenieren in der kommenden Zeit verschiedene Stücke in verschiedenen Städten. Legen Sie bei der Auswahl Ihrer Stücke bestimmte Kriterien und Prioritäten zugrunde? 

Ich arbeite an verschiedenen Stadttheatern. Die Theaterstücke werden mir von der Theaterleitung vorgelegt. Zu den Themen, die ich bearbeite, erhalte ich einen Theatertext. Ich mag generell Themen, die Kapitalismus und Faschismus kritisieren und entlarven, sowie feministische Themen oder Texte, die eine gerechtere Welt imaginieren. Ich entwickle Stücke, die zu diesen Themenfeldern passen.

Außerdem schreibe ich eigene Theaterstücke. Ich hoffe, bald Regie meiner eigenen Texte führen zu können.

Können Sie mir kurz etwas über die Stücke in Bremen, Bremerhaven, Giesen, Dessau und Fürth sagen? 

Das Stück in Bremen läuft nicht mehr. Dort habe ich an dem Roman „Hawaii“ von Cihan Acar gearbeitet. „Hawaii“ erzählt die Geschichte eines jungen deutsch-türkischen Mannes und seiner Identitätssuche. Die Hauptrolle, Kemal, spielte in der ersten Liga eines Fußballvereins in Antep. Nach einem Autorennen verletzte er sich am Bein und kehrte deshalb nach Heilbronn zurück, wo er aufgewachsen ist. Er beginnt ein Leben, das hierhin und dorthin führt, ohne zu wissen, wohin. Er versucht, seine weißdeutsche Exfreundin zurückzugewinnen. Er verliert Geld durch Sportwetten. Während er all dies erlebt, erstarken rechte Gruppen in der Stadt. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen der rechtsextremen Gruppe HWA und einer von Migrantisierten gegründeten Selbstverteidigungsgruppe namens KANKA. Als die Gewalt und Spannungen in der Stadt zunehmen, verlässt Kemal die Stadt und macht sich auf die Suche nach einem neuen Leben. Der Theaterabend in Bremen führte das klassisches Schauspiel und Hip-Hop-Choreografie zusammen.

Im Dezember inszeniere ich „Jeeps“ von Nora Abdel Maksoud am Stadttheater Dessau. „Jeeps“ geht von einer Behauptung aus. In der Welt des Textes werden Vermögenswerte nicht wie gewohnt verteilt. Vermögen wird nach dem Tod einer Person an das Arbeitsamt übertragen. Dort werden die Erben oder neuen Eigentümer per Los bestimmt. Ausgehend von dieser Behauptung erzählt das Stück die Beziehungen und Diskussionen zwischen  zwei Beamten, einer ehemals reichen Frau, die durch ein neues Gesetz verarmt ist, und eines Lotterieerben. Kurz gesagt: Es wird eine kapitalismuskritische Komödie.

Nach Dessau arbeite ich an dem Stück „Bookpink“ von Caren Jeß am Stadttheater Bremerhaven. Das Stück ist eine Metapher in Miniaturszenen. Alle Figuren im Stück sind Vögel. Diese Vögel diskutieren jedoch über Feminismus, Körperpolitik, was es bedeutet, Philosoph zu sein, oder ob es race Unterschiede innerhalb von Blumen und Vögeln gibt. Das Stück wird eine Komödie sein, die politische und philosophische Themen anspricht. Die Premiere ist für Mitte Februar geplant.

Nach jenen Komödien inszeniere ich „Druck!“ von Arad Dabiri am Stadttheater Gießen. In einer sanften und poetischen Sprache geschrieben, erzählt „Druck!“ die Beziehungen, Probleme und Lösungen zwischen jungen Menschen der post-migrantischen Generation. Der Text spielt in Österreich. Ein junger Mann, Hasan, kommt wegen eines einfachen Verbrechens ins Gefängnis. Seine Schwester und drei Freunde bleiben zurück. Sie unterhalten sich über ihr Leben. Sie sprechen darüber, wie sie sich gegen die Bedrohung durch Neonazis und Faschismus verhalten sollen, wie sie sich angesichts der Verhaftung verhalten sollten und beteiligen sich an linken Protesten. Ich werde die Geschichte dieser Freunde und Brüder inszenieren und freue mich schon sehr auf die Arbeit in Gießen. Die Premiere ist Ende März.

Im Sommer 2026 inszeniere ich das Stück „Istanbul“ für die große Bühne des Schauspiels Fürth. „Istanbul“ ist ein Text von Selen Kara und Akın Emanuel Şipal. Die Geschichte der Arbeitsmigration wird im Text umgekehrt. Die Handlung auf der Bühne beginnt mit der Anwerbung deutscher Arbeitskräfte durch die Türkei in den 1960er Jahren. Das Stück erzählt die Geschichte eines deutschen Einwanderers in Istanbul. Mit den Liedern von Sezen Aksu beinhaltet die Inszenierung viele musikalische Szenen und Live-Musik, bei denen es möglich sein wird, mitzusingen.

Die vier Stücke weisen thematische Überschneidungen auf. Aber natürlich werden es unterschiedliche Werke in Bezug auf Ästhetik, Schauspiel und Bühnenform sein.

Sie bezeichnen sich selbst als transnationale Künstlerin – was meinen Sie damit, warum definieren Sie sich so? 

Ich bin Kurdin und Alevitin. Meine eigenen Erfahrungen und die meiner Familie haben mich geprägt. Meine sozioökonomische und ethnische Identität und Herkunft haben meine Persönlichkeit und meine Sicht auf die Kunst beeinflusst. Da ich politische Themen aus einer globaleren Perspektive betrachte, hinterfrage ich alle Arten nationalstaatlicher Vorstellungen. Die von Nationalstaaten verursachten Kriege, Grenzpolitik und systematische Monoethnisierung empfinde ich als großes Problem. Daher hinterfrage ich – ob im Theaterstück, das ich inszeniere, in den Texten, die ich schreibe, oder in den Ausstellungen, an denen ich teilnehme – den Nationalstaat, die ethnische Monogamie und die Idee von Nationen. Ich denke, diese Perspektive lässt sich am besten mit der Definition einer „transnationalen Künstlerin“ beschreiben.

Sie sagen, Sie schreiben in Texte. Worüber schreiben Sie? Was sind Ihre aktuellen Projekte – möchten Sie uns davon erzählen? 

Ich habe während der Corona-Zeit angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben. Seit meiner Kindheit interessiert mich die Geschichte des Putsches des 12. September meiner Familie. Die damaligen Erlebnisse haben mich inspiriert und ich habe eine Geschichte inspiriert von meiner Biografie entworfen. Sie heißt „Hanans Geschichte“. „Hanan“ ist ein arabischer Name und bedeutet Fürsorge oder Mutterliebe. Ich arbeite derzeit an der Romanfassung von „Hanans Geschichte“. Darin erzähle ich die Lebensgeschichte einer Mutter und ihrer Tochter. Einerseits die Geschichte einer Mutter, die ihre Tochter früh aus politischen Gründen verließ, andererseits die Geschichte ihrer Tochter,  welche das Fehlern ihrer Mutter zu einer Fähigkeit machte und Familienpsychologin wird.

Ich habe ein Literaturstipendium der Kunststiftung NRW gewonnen. Ab Winter nächsten Jahres werde ich intensiver an meinem Roman arbeiten. Ich hoffe, er erscheint 2027. Kurz gesagt, ich arbeite als Regisseurin und Autorin. Ich würde mich freuen, die Leser:innen dieses Interviews bei Inszenierungen zu treffen.


BIOGRAFIE

Berfin Orman ist eine transnationale Künstlerin. Ihre ersten professionellen Theatererfahrungen sammelte sie als Assistentin bei Moda Sahnesi in Istanbul. Nach ihrem Studium der Philosophie und der Orientalistik in Köln arbeitete sie drei Jahre lang als Assistentin am Thalia Theater in Hamburg. Während ihrer Assistenzzeit entwickelte sie die Lesung „Illegal“, die das Leben von Sevgi Soysal erzählt. Nach ihrer Assistenz inszenierte sie das Stück „Der Sturz der Kometen und der Kosmonauten“ (Autorin: M. Skalova) am Thalia Theater. Anschließend inszenierte sie mit einem großen Team das Stück „Hawaii“ (Autorin: C. Acar) am Theater Bremen. Sie ist Mitglied des Internationalen Theaterinstituts (ITI Deutschland) und Absolventin der ITI-Akademie. Im Rahmen eines ITI-Stipendiums nahm sie an Theater der Welt 2024 teil. Berfin arbeitet aus einer intersektional-feministischen Perspektive. Sie nutzt transnationale Narrative als Grundlage ihrer Regiearbeit und kritisiert und versucht, die rassistischen Grundlagen des sogenannten Kunstkanons zu entschlüsseln. Dabei verwebt sie ihre politische und künstlerische Praxis mit kollektiven und individuellen biografischen Reflexionen. Im kommenden Jahr inszeniert Berfin Orman am Stadttheater Dessau, Stadttheater Bremerhaven, Stadttheater Gießen und Schauspiel Fürth.

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